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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

über Rövers Werben nur der Neid gesprochen habe; und hatte der Bruder dann am Ende auch in dem anderen recht?

Alle diese Vorstellungen beunruhigten Grete, am meisten jedoch das höfliche, aber entschiedene Ausweichen des Kassierers. Es machte sie unsicher, es war ihr ein stündlich erneuter Vorwurf, verdroß sie, weil es ihr dadurch unmöglich wurde, den langweiligen Menschen aus ihren Gedanken zu verbannen. Als Röver eines Tages eine geschäftliche Frage durch eine Dritte an sie richten ließ, brach ihre verhaltene Erregung in helle Flammen aus, und sie trat zu der Kasse, an der Anton Röver, über ein Buch gebeugt, saß.

„Ein Wort, Herr Röver! Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann bitte, sagen Sie es mir selbst!“

„Wie Sie befehlen, Fräulein Meermann.“ Er hob dabei den Blick nicht von seinem Buche.

„Sie haben überhaupt in den letzten Wochen eine Art gegen mich angenommen,“ fuhr das Mädchen gereizt fort, „die allen im Geschäft auffällt. Sie begreifen, daß mir das nicht angenehm sein kann.“

„Ich glaubte im Gegentheil, Ihren Dank zu verdienen. Ich möchte den Vorwurf vermeiden, daß ich Sie – lächerlich mache.“

Grete biß sich auf die Lippen. „Sie haben ein in der Erregung gesprochenes Wort zu ernst genommen, Herr Röver, viel ernster, als es gemeint war. Wenn es Sie gekränkt hat, so verzeihen Sie mir! Ich hatte nicht die Absicht, Ihnen wehe zu thun!“

„Nicht? Wirklich nicht, Fräulein Meermann? Ich danke Ihnen für dieses Wort!“

Jetzt sah er zu ihr auf und Grete dachte: „Was reden nur die dummen Menschen? Seine Augen sind in der Nähe gar nicht finster, sondern sanft und geradezu hübsch in ihrer Art.“ Und sie reichte ihm die Hand. „Ich bin ehrlich, ich möchte niemand täuschen, am wenigsten einen braven tüchtigen Menschen wie Sie, und ich fürchtete –“ sie stockte.

Der Kassierer blickte erröthend auf seine Fingerspitzen nieder, die er auf dem Pulte zu verschiedenen Figuren übereinander legte. „Sie brauchten nichts zu fürchten, Fräulein Meermann; ich würde keine vermessenen Hoffnungen gehegt haben, auch nicht, wenn Sie mich mit ein wenig Güte behandelt hätten. Ich begreife sehr wohl, daß ich den Damen nicht gefalle. Und Sie brauchen sich keinen Zwang mir gegenüber aufzuerlegen, weder im Guten noch im Bösen.“

Grete spielte mit ihrem Notizblock. Es ließ sich darauf nicht gut etwas erwidern, und doch wollte sie nicht ohne ein freundliches Wort von ihm scheiden.

„Was ist das für ein Buch, in dem Sie lesen?“ fragte sie endlich.

„Eine spanische Grammatik. In dieser Zeit giebt es ja doch im Geschäft fast nichts zu thun, und so verwende ich die stilleren Stunden, um meine Sprachkenntnisse zu erweitern. Zum Verkäufer tauge ich schlecht, und dieser Posten eines Kassierers, den Herr Franz mir freundlich eingeräumt hat, ist eigentlich für eine Dame bestimmt und dementsprechend besoldet. Bis zum Frühjahr aber hoffe ich, mich neben dem Französischen und Italienischen auch im Spanischen soweit vervollkommnet zu haben, daß ich auf die Stellung eines Korrespondenten hoffen darf.“

„Wie strebsam Sie sind, Herr Röver!“ rief Grete in unwillkürlicher Bewunderung.

Er lächelte gutmüthig. „Irgend etwas in der Welt muß man doch leisten. Ein freundliches Geschick hat es gefügt, daß ich Muße behalte zu meiner Ausbildung.“

(Fortsetzung folgt.) 


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Polizei und Verbrecherthum in Berlin.[1]

Von Paul Lindenberg. 0Mit Abbildungen von L. Manzel.
Moabit.
Im Untersuchungsgefängniß. – Der Justizpalast. – Eine Schwurgerichtssitzung. – Vom Leben zum Tode.

In unseren bisherigen Schilderungen haben wir die Laufbahn der Verbrecher bis zu ihrer Verhaftung durch die Kriminalpolizei und ihrer Internierung im Central-Polizeigebäude am Alexanderplatz verfolgt; es erübrigt uns zum Schlusse dieser Artikel noch, einen Blick auf die Untersuchungshaft, die Verurtheilung der Ueberführten und schließlich auf die Sühne der blutigen That zu werfen. Wie wir schon früher erwähnt haben, währt der Aufenthalt eines eingefangenen Verbrechers im Polizeigefängniß am Alexanderplatz nur kurze Frist, da nach einer alten Verfügung die Untersuchungsakten eines jeden Verhafteten binnen vierundzwanzig Stunden so weit gefördert sein müssen, daß er zugleich mit den Akten dem Untersuchungsrichter überwiesen werden kann[.] Zu gleicher Zeit erfolgt seine Ueberführung in das Untersuchungsgefängniß zu Moabit mittels des „Grünen Wagens“, und dort wird er womöglich noch am selben, spätestens am nächsten Tage dem Untersuchungsrichter vorgeführt, der ihn verhört und, falls er nicht seine Entlassung verfügt, was in den seltensten Fällen geschehen kann, die Untersuchungshaft über ihn verhängt. Diese kann Wochen und Monate lang dauern, bis die Akten über das Verbrechen abgeschlossen sind und in öffentlicher Gerichtssitzung die Anklage erhoben wird. Welche Anforderungen übrigens an die Thätigkeit und den Pflichteifer der Untersuchungsbeamten gestellt werden, geht daraus hervor, daß einzelne derselben jährlich bis dreitausend Personen vernehmen müssen, wozu sich noch ihre Anwesenheit bei Obduktionen, Lokalbesichtigungen oder Lokalterminen gesellt.

Die Centralhalle des Moabiter Untersuchungsgefängnisses mit dem überwachenden Beamten.

Unterwerfen wir nun, ehe wir uns den ferneren Schicksalen des Inhaftierten zuwenden,


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_731.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2024)