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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Gaben in die Hand nehmen. Bis jetzt sind bei den genannten Herren bereits gegen 3000 Mark eingegangen.“

Dreitausend Mark – das wären drei Mark für jede Cholera-Waise, also noch herzlich wenig, namentlich da die Zahl der Cholera-Waisen leider jeden Tag wächst. Allein sicherlich wächst auch jeden Tag um ein Beträchtliches die Summe der für die Cholera-Waisen eingehenden Spenden.

Ich habe mich damit begnügt, die nackten schlichten Thatsachen vorzuführen – leicht ließen sich von den Stätten des Jammers schreckliche Einzelheiten erzählen. Aber ich denke, es bedarf nicht eines Appells an das Grausige, um die Herzen zu rühren und die Börsen zu öffnen. Tausend Cholera-Waisen – das sagt genug! Gustav Kopal. Hamburg.      

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Wir haben den warmherzigen Worten des vorstehenden Berichtes und dem packenden dichterischen Aufruf, den wir gleichzeitig in dieser Nummer veröffentlichen, nur wenig hinzuzufügen. Das Unglück jener Cholera-Waisen ist groß, groß aber ist auch das deutsche Vaterland und groß, das hoffen und wissen wir, die Bereitwilligkeit, zu helfen. So richten wir denn an unsere Leser die herzliche dringende Bitte, ihre Gaben zu senden; jedes kleinste Scherflein in Gestalt einer Zwanzig- oder Zehn- oder Fünf-Pfennigmarke soll willkommen sein. Bald steht Weihnachten vor der Thür – schaffet jenen verlassenen Waisen ein fröhliches Weihnachtsfest, eine lichtere Zukunft im neuen Jahr! Das ist die Ueberschrift, die wir der Sammlung für die Cholera-Waisen geben möchten, welche wir hiermit eröffnen. Sämmtliche Beiträge bitten wir zu richten an die Expedition der „Gartenlaube“ in Leipzig, Königsstraße 33. Die Redaktion.     


0 Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Gretchens Liebhaber.

Erzählung von Luise Westkirch.

Ein wenig Sonnenschein, gedämpft durch qualmversengte Buchenblätter; ein wenig frische Luft, wie sie in der Umgebung großer Städte weht, verdickt vom Rauch der Schornsteine und dem Staub der Fahrdämme; die schmetternden Weisen eines unverdrossenen Orchesters vierten Rangs und vor sich auf den primitiven Tischen der Gartenwirthschaft einen dampfenden bräunlichen Aufguß, der sich für Kaffee ausgiebt; dazu das süße Bewußtsein, einen ganzen langen Sommernachmittag, frei von jeder Werktagspflicht, nach eigenstem Ermessen verträumen zu dürfen – was braucht’s mehr, um sonntägliche Feststimmung in den Herzen hart arbeitender Menschen hervorzubringen? Ungetrübt lagerte solche Feststimmung über dem dicht gefüllten Konzertgarten am Ende der Stadt, dessen eine Seite den letzten Häuserreihen zugekehrt war, während an zwei anderen der Stadtforst seine Grenze bildete und hart an der vierten ein Fahrweg vorüberführte, gerade hinein in das Dunkel des hochstämmigen Buchenwaldes. Freude und Frohsinn strahlten aus den Augen der jungen Schönen, klangen im Lachen der Männer wieder, im Geschmetter der Hörner und wirkten ansteckend auf jeden, der in die Umzäunung des Gartens eintrat. Und als wären sie solcher Ansteckung froh, rückten die Menschen an den Tischen enger und enger aneinander. Die Plätze am Fahrweg waren die gesuchtesten, denn dort fuhr in eigenen Wagen oder in hübsch ausgestatteten Miethkutschen die elegante Welt vorüber, und man fühlte sich immerhin in Berührung mit ihr, wenn auch nur der Staub, den ihr Fuhrwerk aufwirbelte, den Kaffeetisch in seine grauen Wolken hüllte.

Vor einem Tische, dicht an der Umzäunung, saß eine ehrbar und gut gekleidete Frau mit glattgescheitelten grauen Haaren über einer breiten Stirn und strickte an einem wollenen Strumpfe. Dann und wann richtete sie ihre Blicke über die Stricknadeln und das Kaffeegeschirr hinweg auf ihre beiden erwachsenen Kinder an ihrer Seite, und jedesmal, so oft sie es that, nahm ihr Gesicht einen Ausdruck von fast hochmüthigem Stolz an. Und sie hatte Ursache, stolz zu sein: ein hübscheres Menschenpaar fand sich vielleicht nicht im ganzen Garten.

Das Mädchen, schlank aufgeschossen, mit dem hochmüthigen Ausdruck der Mutter in den pikanten Zügen, mit dem keck zurückgeworfenen auffallend kleinen Kopfe, den in Lackschuhen steckenden zierlichen Füßen, dem schwarzen Wollkleid von jenem eigenthümlich knappen übermodernen Schnitt und Schick, den manchmal das Kleid der großen Dame und immer das ihrer Schneiderin aufweist, stellte sich jedem kundigen Blicke als Verkäuferin in einem großen Modewarengeschäft dar. Auch der Bruder gehörte dem Kaufmannsstand an, auch er war Verkäufer, offenbar in guter Stellung, nach seiner Kleidung zu schließen. Wie seine Schwester die vornehme Dame, so war er bestrebt, den großen Herrn zu spielen, er trug kurz geschnittenes, straff gescheiteltes Haar, einen hellen Jackettanzug mit dazu passendem runden Hute, blendend weiße Wäsche. Einzig aus den zu großen goldenen Manschettenknöpfen, dem falschen Brillanten in der Kravattennadel und aus der Gepflogenheit, den Hut um eine Linie zu tief in den Nacken zu setzen, guckte unverkennbar die Stutzerhaftigkeit hervor. Diese kleinen Schwächen verdarben aber den guten Eindruck nicht, den seine Erscheittung [ ... ] machte. Nicht seiner Mutter Augen allein, auch die [ ... m]ancher vorüberfahrenden Dame ruhten mit Wohlgefallen [auf d]em hübschen Burschen, um dessen etwas vollen Mund eitel Lebensfreude und Schelmerei lag.

Nachlässig in seinen Stuhl zurückgelehnt, klimperte er mit einigen Münzen in der Tasche und sah dabei mit gutmüthigem Spotte zu seiner Schwester hinüber, welche eben ihrem Stuhl eine unsanfte Wendung gab, dadurch mit offenbarer Absichtlichkeit einer bestimmten Ecke des Gartens den Rücken zukehrend.

„Mensch, ärgere dich nicht!“ rief er lachend.

„’s ist unverschämt!" zischte das Mädchen zwischen den Zähnen hervor.

Die Mutter ließ den Strickstrumpf sinken. „Was ist unverschämt, Grete?“

„Ach, Mutter, drüben der Herr Röver glotzt mich mit seinen bösen Augen schon wieder an, als wollte er mich umbringen.“

„Und das Schwesterchen will’s einmal nicht leiden, daß der arme Bursche sie hübsch findet. Warum eigentlich nicht? Kann er dafür, daß seine Augen schwarz sind und nicht blau? Ist er n[icht] im übrigen ein netter anständiger Kerl, der sein gutes Auskommen hat? Gar kein übler Freier, Gretchen!“

„Sein Vater ist im Zuchthaus gestorben!“

„Um so mehr Verdienst, daß er selbst sich so tapfer emporgearbeitet hat! Bedenke auch, der Kassierer Eures Geschäfts! Den Kassierer, Schwesterchen, muß man sich immer zum Freunde halten – schon der Rechenfehler wegen, wenn man einmal ein bißchen zerstreut ist. Bei jungen Damen soll das gelegentlich vorkommen.“

Die Mutter hatte während dieser Zwiesprache ihre Augen in richtigem Instinkt nach der Gegend gewandt, wohin der Rücken ihrer Tochter wies, und dort an einem runden Tischchen einen alleinsitzenden jungen Mann entdeckt, der seine großen Glieder unter ihrem forschenden Blick auf einen möglichst engen Raum zusammenzuziehen trachtete und sich dem Anschein nach am liebsten hinter seinem winzigen Tische verkrochen hätte. Dabei sah aber sein Gesicht merkwürdigerweise eher drohend aus als schüchtern – ein wohlgebildetes, durchaus nicht häßliches Gesicht, dem jedoch schnurgerade pechschwarze Brauen, die an der Nasenwnrzel zusammenliefen, und ein Paar langgeschlitzter, tiefliegender Augen etwas Wildes, Trotziges verliehen.

„Grete braucht sich keinen Menschen zum Freunde zu halten,“ erwiderte die Mutter jetzt streng auf des Sohnes Rede. „Nicht einmal im Scherze will ich eine solche Ansicht von Dir äußern hören, Julius! Und sie hat auch ganz recht, wenn sie es vermeidet, in irgend jemand, der ihr zuwider ist, trügerische Hoffnungen zu erwecken. ‚Thue recht und scheue niemand!‘ das ist der Grundsatz Eures seligen Vaters gewesen, und ich hoffe, es soll der Grundsatz meiner Kinder bleiben bis an ihr Lebensende. Dann braucht Ihr nach niemandes Gunst zu fragen. Niemals soll man sein Leben abhängig machen von dem guten Willen eines Fremden, und wär’ dieser der Bravste und Beste. Darum hab’ ich es auch nach Eures Vaters frühem Tode meine eifrigste Sorge sein lassen, daß Ihr beizeiten selbständig würdet

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