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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


’s Wisperl.

Von Arthur Achleitner.0 Mit Zeichnungen von Hugo Engl.

Den „Isarwinkel“ nennt man den Landstrich im Isarthale flußaufwärts von Tölz bis Vorderriß, wo die wilde bergfrische Riß sich in die junge Isar ergießt und die Berge immer stolzer in die Höhe streben, wo Fluß und Gebirge sich zu einem der herrlichsten Landschaftsbilder des bayerischen Hochlandes vereinen. In der Tölzer Gegend noch den Charakter des Vorlandes bewahrend, verändert sich das Bild, je weiter isaraufwärts der Wanderer dringt, links auf dem Sträßlein über Lenggries, Hohenburg nach der Vorderriß oder rechts über Wackersberg, Arzbach zu den Felskolossen der Benediktenwand mit dem Kirchstein, der seit dem Jahre 1888 das höchstgelegene Denkmal für Kaiser Wilhelm I., 1686 Meter über dem Meere, trägt. Auf einer Syenitplatte, über welcher der Reichsadler die Kaiserkrone hält, ist in schlichten Versen, aber zum Zeugniß um so besserer Gesinnung mit Goldbuchstaben eingegraben:

0„Zum ewigen Gedächtnisse an Kaiser
 Wilhelm I.,
geb. 22. März 1797, gest. 9. März 1888.

Weil er das Deutsche Reich gebaut,
Wurd’ ihm sein’ Nam’ in Fels gehaut,
Hier auf Kirchsteins hoher Alpenwelt,
Schlafe wohl, Du Kaiser–Held.“

Zwei mächtige bayerische Löwen bewachen des Kirchsteins Schatz. Drüben aber schauen trotzig die Häupter der Karwendelgruppe, der Wetterstein und viele andere Zacken aus der starren Hochlandswildniß hervor, als wollten sie dem Wanderer das Eindringen wehren.

Ein herrlicher Fleck Erde ist dieser Isarwinkel und seine Bewohnerschaft ein urkräftig biederes Volk. Seine Söhne haben immer kraftvolle Flößer, fleißige Bauern und kernige Soldaten geliefert, sauber und nett sind die Dirndln, und sie besitzen noch immer ihre alte rührende Naivität wie die Jachenauerinnen, für die in guter alter Zeit am Thalschluß die Welt aufgehört hat.

Außerm Dorf steht von altersher eine Schmiede, bequem am Sträßlein gelegen, so daß der Fuhrmann den Meister rasch zur Seite hat, wenn der Gaul frischen Beschlag braucht oder der Wagen der Ausbesserung bedarf. Der Bergbach speist das Wasserwerk, welches den Blasebalg treibt, und munter arbeitet der Bergschmied an der glühenden Esse, mit ihm der wackere Geselle, genau so schwarz und fleißig wie der Meister selbst. Der Schmiedflori (Florian) ist trotz seiner Jugend ein achtbarer Mensch, der großes Ansehen genießt rechts und links der Isar. Die Fuhrleute kehren am liebsten bei ihm ein, weil er nicht bloß das Beschlagen so gut los hat, sondern überhaupt viel vom Roß versteht, und das erweckt bei den Fuhrleuten immer starkes Vertrauen. Denn ein einziger Nagel, zu tief in den Huf eingetrieben, macht den Gaul lahm, und zu wenig ist auch vom Uebel. Aber der Flori, der junge Meister, weiß den Nagel auf den Kopf zu treffen und gerade recht in den Huf zu treiben, so daß das Eisen nicht locker sitzt. ’s ist überhaupt ein halber Doktor, der Flori, der sich auch aufs Menschenkurieren versteht, wenn’s nicht schon gar zu weit gekommen und mit der „Sympathie“ und mit dem Wasser noch was zu machen ist. Der Flori hält gar viel auch auf andere Einwirkungen; zuerst macht die Einbildung beim Menschen sehr viel aus, dann das Wasser und die Luft und die Kost, und endlich die guten und bösen Geister. Der Flori sagt’s, also muß es wahr sein, daß grad’ der Isarwinkel genug Geister habe in seinen Bergen. Man darf bloß das richtige Ohr haben, dann kann man beispielsweise an windstillen Tagen ganz deutlich hören, wie es von der Benediktenwand her leise rollt und kugelt, als wenn man Steine abladen wollte. Das sind die Klosterherren von Benediktbeuren, die zum ewigen Kegelschieben verdammt sind, weil sie selbst die besten Almen in Besitz genommen und den armen Leuten den Viehauftrieb und die Weide verweigert haben. Und sogar an heiligen Sonn- und Festtagen sind die geistlichen Herren auf die Wand gestiegen und haben oben ohne Rücksicht auf Gott und die Welt Kegel geschoben. Deshalb sind sie verwünscht worden und müssen ihr Kegelspiel fortsetzen bis zum jüngsten Tag.

Auf der Höhe des Kirchsteins haben nach der Sage die Benediktbeurer Herren ihre Namen an die Wand geschrieben und dort, wo jetzt des großen Kaisers Gedenktafel angebracht ist, dort soll die älteste Schrift aus dem Jahre 1548 gestanden haben. – Der Schmiedflori ist ein „Wissender“, der genau Bescheid geben kann über die Sagen und Geistergeschichten seiner bergumrahmten Heimath, die Ueberbleibsel aus einer Zeit, wo noch mehr Wunder geschahen, weil die Menschen sich nicht wie heutzutage selber helfen konnten. Er weiß, daß man zu gewissen Zeiten auf den Klang der Benediktenglocke horchen muß, damit einem die Hexen nicht ankönnen. Das ist eine gar bedeutsame Glocke, bei deren Guß der Prälat und die Klosterherren ganze Hände voll geweihter Silberthaler hineinwarfen. Beim Klostersturm sollte diese Glocke eingeschmolzen werden, aber das wollten die Einwohner nicht, sie sammelten Geld, selbst der ärmste Dienstbote mußte 24 Kreuzer geben, und so brachte man die nöthigen 2000 Gulden zusammen, um die Glocke, die man zu rechter Zeit drei Stunden weit hört, frei zu kaufen.

Die Hohenburger und Lenggrieser Burschen lachen freilich oft den glaubensstarken Flori aus. „’s waar z’dumm,“ meinen sie, „die alten Weiberg’schichten baumfest z’ glauben.“ Aber nachts um zwölf Uhr ginge doch keiner auf den Lenggrieser Friedhof, wo im Jahre 1742 die Panduren unter Oberst Trenck von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_700.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2024)