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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Yucatan stand noch um eine Stufe höher als das Reich der Azteken. Denn die Mayas, die Bewohner Yucatans, besaßen eine eigentliche Schrift, die nicht bloß wie die Malereien, welche bei den Azteken die Stelle einer solchen vertraten, aus bildlichen Darstellungen der Gegenstände bestand, sondern buchstabenförmige Hieroglyphenzeichen aufwies, also mit der ägyptischen Hieroglyphenschrift Aehnlichkeit hatte. Die Mayavölker waren die einzigen in ganz Amerika, die es bis zu einer Schrift im eigentlichen Sinne gebracht hatten; weder die Azteken noch die alten Peruaner des Inkareiches hatten diese Höhe erreicht, sie waren entweder bei bloßen Hilfsmitteln für das Gedächtniß – wie den Quippos, der Knotenschrift der Peruaner – oder bei symbolischen Darstellungen und einfachen Abbildungen der zu beschreibenden Dinge stehen geblieben. Einen Schritt näher zu dem Endziele hatten die Azteken in Mexiko allerdings schon insofern gethan, als sie Eigennamen ganz in der Weise unserer Bilderräthsel durch Abbildungen von Dingen darstellten, die zusammengesetzt den Namen ergaben, so wie wir etwa den Namen der Stadt „Hirschberg“ im Rebus durch einen Hirsch und einen Berg wiedergeben können.

Wenn nun auch die Kenntniß der Schrift bei den Mayas nicht so allgemein verbreitet gewesen zu sein scheint wie im alten Aegypten, wo jedermann lesen und schreiben konnte, so besaßen sie doch eine vollständige Litteratur, und die Anzahl der Bücher in ihrer Hieroglyphenschrift war zu der Zeit, als die Spanier ins Land kamen, erstaunlich groß. Es wurde offenbar im alten Yucatan viel geschrieben. Man verfertigte ein Papier aus Agavefasern, das mit den chinesischen und japanischen Papiersorten einige Aehnlichkeit hat, und glättete die Oberfläche durch einen Ueberzug mit einer kal[k]artigen Masse, auf der sich mit Hilfe eines feinen Pinsels sehr gut schreiben ließ. Die wenigen erhaltenen Schriftreste, von denen noch die Rede sein wird, weisen manchmal so feine Linien auf, daß man mit einer guten Stahlfeder nicht zierlicher schreiben kann. Die Bücher wurden fächerartig zusammengelegt in der Weise wie bei uns Albums mit Ansichten von Städten, Badeorten u. dergl., oben und unten bildete ein fester Deckel den Abschluß. Ferner wurden auch Inschriften auf Stein gemeißelt, und namentlich die mit Reliefdarstellungen verzierten Wände der Tempel wurden mit Hieroglyphenschrift bedeckt. Hier verwendete man allem Anschein nach andere, ornamentalere Formen der Schriftzeichen als in den Büchern, ganz wie wir dies thun. Die Geschichte des Volkes, die mythologischen Ueberlieferungen, die religiösen Vorschriften des Kultus, der Kalender und andere Dinge wurden so aufgezeichnet und in Buchform verbreitet, denkwürdige Ereignisse in Steininschriften verewigt.

Eine Seite aus der Dresdener Mayahandschrift.

Obgleich nun schon zur Zeit der Entdeckung in Europa vereinzelt gelehrte Männer mit etwas weiterem Gesichtskreis diesen Dingen ihre Aufmerksamkeit zuwandten und die Beobachtungen über jene alte Civilisation in Yucatan in wissenschaftlichen Werken sammelten und verarbeiteten, so hatte leider die große Menge der Abenteurer, die beutegierig nach Amerika kamen, nicht das mindeste Verständniß für die Erzeugnisse der einheimischen Kultur. Ja, man glaubte eine gottgefällige That zu vollbringen und die Bekehrung der „Heiden“ zu befördern, wenn man alle diese „Werke des Teufels“ gründlich vernichtete. Ganz besonders waren es rohe und unwissende Mönche, die sich aus religiösem Fanatismus mit Eifer diesem Zerstörungswerk unterzogen, da ihnen die Schriften der Eingeborenen natürlich als die gefährlichste Waffe des Heidenthums erscheinen mußten. Die Bücher in Hieroglyphenschrift wurden zu großen Scheiterhaufen aufgeschichtet und verbrannt. Lehrreich ist, was der Bischof Diego de Landa, der von 1549 bis 1579 in Yucatan lebte und sogar selbst ein Buch über die alten Mayas geschrieben hat, in eben diesem Buche „Relacion de las cosas de Yucatan“ („Bericht über die Angelegenheiten Yucatans“), das man erst im Jahre 1864 in Madrid neu aufgefunden und veröffentlicht hat, über die Schriften der Eingeborenen sagt:

„Dieses Volk benutzte auch gewisse Charaktere oder Buchstaben, mit denen sie in ihren Büchern ihre Angelegenheiten und ihre Wissenschaften von alters her aufzeichneten und mit Hilfe deren sie dieselben erläutern und lehren konnten. Wir fanden eine große Menge dieser Schriften, aber da sie nichts enthielten als Aberglauben und Lügen des Teufels, so verbrannten wir sie alle, was die Eingeborenen sehr betrübte und ihnen sehr schmerzlich war.“

Der fromme Bischof hat gewiß keine Ahnung gehabt, daß er sich durch diese That für die Nachwelt aller Zeiten an den Pranger stellte!

Bei all ihrem Abscheu vor dergleichen Teufelszeug sahen sich aber die Mönche doch eine Zeitlang gezwungen, selbst die Hieroglyphenschrift der Heiden zu benutzen! Wie uns der päpstliche Generalkommissar von Neuspanien, Pater Fray Alonso Ponce, gegen Ende des 16. Jahrhunderts berichtet, wandten die christlichen Missionare in Yucatan die einheimische Schrift an, um die Eingeborenen in den christlichen Glaubenslehren zu unterrichten[.] Aber das konnte die alte Bildung nicht retten, das Zerstörungswerk nicht aufhalten; die Hieroglyphenschrift gerieth immer mehr in Vergessenheit, und bald war ihre Kenntniß auch unter den Eingeborenen gänzlich verschollen.

Seit der Zeit ging nun überhaupt die Kunde von der untergegangenen einheimischen Civilisation Yucatans fast gänzlich verloren. Schon aus spanische[r] Zeit sind die Berichte darüber spärlicher als die über Mexiko, weil in Yucatan keine mächtigen kriegerischen Staaten bestanden, die den europäischen Eindringlingen heftigen Widerstand entgegensetzten. Die Völker, die hier lebten, waren weniger kriegerisch als die Mexikaner, sie fielen leicht in die Hände der Spanier. Und zudem scheint es, als ob ihre Kultur sich damals schon im Niedergang befunden habe, ähnlich wie die der Griechen, als sie eine Beute der Römer wurden. Erst in unserem Jahrhundert hat man das Alterthum Yucatans neu aufgefunden. Man entdeckte, daß dort und in den angrenzenden Gegenden große Trümmerstädte im Urwald begraben lagen, großartige Tempel und Paläste, Spuren einer zahlreichen hochentwickelten Bevölkerung. Erst im Jahre 1840 unternahm der amerikanische Reisende Stephens eine gründliche Forschungsreise durch diese Gegenden, und es wurden bald die Ruinen von über fünfzig Städten aufgefunden! Auf den Gebäuden fand man zahlreiche Inschriften in der alten Hieroglyphenschrift, die längst niemand mehr verstand. Jetzt entdeckte man auch, daß sich in europäischen Bibliotheken einige Handschriften befanden, die in derselben Hieroglyphenschrift verfaßt waren. Man hatte sie früher kaum beachtet und für aztekische gehalten. Es waren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_698.jpg&oldid=- (Version vom 14.4.2024)