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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Originalgesang nicht zu unterschätzen. Wie herrlich belebt er damit die jungen Fichten- und Kiefernbestände, die kleinen Gehölze und buschreichen Raine! Beim ersten Frühroth schon erklingt die frische weckende Weise.

Wie auf Bäumen und Büschen, so läßt er auch hoch in den Lüften sein schwungvolles Jodeln und Jubeln emsig erschallen. Namentlich im einsamen Gebirge fesselte uns dieser Gesang, der neben einem ziehenden, oft wie von einem Ueberschnappen der Stimme begleiteten Krähen tief melodische Klangpartien enthält und von einer Reinheit und einem Wohlklang durchdrungen ist, wie er selten oder nie in der Ebene gehört wird.

Aus Moos und Halmen baut das Hänflingsweibchen die Wandungen des Nestes und füttert sie im Innern mit Pferdehaaren und Thierwolle nett und sauber, wenn auch nicht mit der vollendeten Kunst des Edel- und des Distelfinken aus. Die Alten nahen sehr heimlich dem Nistplatz mit der Brut und zögern lange, bis sie ihn besuchen. Die so versteckt gehaltenen Jungen empfangen die Atzung aus dem Kropfe der Eltern, verlassen aber wie die Stieglitze bald die Wohnung, um Vater und Mutter in das Schlaraffenland der Rüb- und Mohnsamenfelder oder der Hanfäcker des Spätsommers zu folgen.

Buchfinken im Minnestreit.
Zeichnung von Adolf Müller.

Der Hänfling bleibt als Strichvogel das ganze Jahr über bei uns. In kleineren Flügen wandert er von Flur zu Flur, manchmal, wie öfters im Spätjahr und auch im Winter, Stieglitzen und Edelfinken zugesellt. Der rüstige Vogel weiß sich durch die Dürftigkeit der unwirthlichen Jahreszeit mit Erfolg durchzuschlagen, denn immer findet er trotz Schnee und Eis an Wegen, Rainen und auf Grashalden in den Rispen, Kölbchen und Knöpfen von Gräsern, Wegerich, Kletten und anderen Stauden seine Winterkost.

In Vogelhäusern, in welchen Luft und Sonnenschein einen großen Theil des Jahres wirken, behält der Hänflingshahn hin und wieder einen Anflug seines rothen Brustkleides. Den frischen Purpurschmuck kann ihm aber hier keine noch so überzuckerte Pflege ersetzen. „Wo hätte er auch“ – um mit einer Stelle aus unseren „Charakterzeichnungen der Singvögel“ zu schließen – „den weiten sonnigen Himmelsraum, um seine Flügel im kühnen Bogenschwung zu versuchen; wo die grünen Haine, die freundlichen Raine mit den lachenden Auen, um auf Baum und Strauch sein schmetterndes Lied der Freude und des Jubels erschallen und in den Samenfeldern sich’s wohl sein zu lassen? Das arme blaßgrüne Fichtenstämmchen in der Vogelhecke ist ein nur zu dürftiges Abbild der grünen Waldhege, und die schönsten Kanarienhuldinnen im hochgelben Putz und den weißen Staatsfüßen vermögen dem Hähnchen dennoch nimmer die treue schlichte Gattin in ihrem häuslich grauen Kleide, die liebevolle Hänflingsmutter zu ersetzen. Darum glücklich, ihr Hänflinge, die ihr noch das klare Wasser der Wiesen und Haine, den Hanf- und Rübsamen der Fluren kostet, glücklich ihr, denen noch das duftende Reis der Tanne und Fichte rauscht, oder der Blüthenschnee der Raine entgegennickt, denen noch das holde Sonnenlicht leuchtet und die noch die frische Luft des Himmels umweht! Dreimal glücklich, denn ihr seid Kinder der Freiheit!“


Ketten.

Roman von Anton v. Perfall.

 (Schluß.)


Das Begräbniß war zu Ende. Der Kommerzienrath trat noch einmal an die Gruft und warf dem Sohne eine Handvoll Erde ins Grab – seine Kräfte waren erschöpft. Er verlangte nach seinem Wagen und lud zum neuen Staunen seiner Umgebung Davis ein, an seiner Seite Platz zu nehmen. Hans selbst war überrascht: soweit war Herr Berry in seiner Vertraulichkeit noch nie gegangen. Sah er in ihm den Ersatz für das, was er von seinem Sohne erhofft hatte?

Berry lehnte ermattet in der Ecke, mit geschlossenen Augen. Hans fühlte sich tief bewegt von dem Anblick. Was hatte der Mann gelitten diese letzten Tage über, und was wartete seiner noch, wenn er selbst vor ihn hintrat mit seiner Enthüllung!

„Die Verlobung Claires mit dem Grafen ist gelöst,“ begann Berry unerwartet. „Es war dem Manne um mein Geld, nicht um mein Kind zu thun. Claire ist schwer getroffen. Nicht daß sie den Grafen liebte – ich weiß nun, daß ganz andere Beweggründe sie zur Einwilligung in die Verlobung bestimmten. Aber sie hat mit Entsetzen in den Abgrund der Lüge und Heuchelei gesehen, an dessen Rand sie sich begeben – ein Abscheu hat sie erfaßt vor dem schalen Getriebe der vornehmen Welt, eine Scham vor sich selbst; sie könnte leicht verbittert werden für ihr ganzes Leben. Sie kann jetzt doppelt einen Freund brauchen, an dem sie sich wieder aufrichtet, der ihr beweist, daß nicht alles Lüge ist auf dieser Welt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_693.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2024)