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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Nur Julia war still. Sie kauerte auf einem Baumstamm und schaute in das verglimmende Roth des Himmels. sie hatte die Hände um ein Knie geschlungen, ihr schönes Profil hob sich scharf ab von dem hellen Hintergrund. Aber obgleich sie nicht theilnahm an der lauten Fröhlichkeit der andern, war sie doch vielleicht die Glücklichste von allen, denn ihr Vertrauen war so unerschütterlich wie ihre Liebe.

Am anderen Morgen vor Thau und Tag kam der junge Offizier schon aus dem Garten. Julia traute ihren Augen nicht. Und gleich darauf pfif er so lustig in seiner Stube, daß über ihr ernstes Gesicht ein Zug der Verwunderung glitt. Und abermals verzichtete er auf die Rheinfahrt, abermals steckte er sich in die Uniform und schritt mit demselben Säbelrasseln über den Hof wie gestern. Frau Rath, die just aus der Kirche kam, blieb in der Gasse stehen und sah ihm nach, bis er hinter der schmiedeeisernen Thür des Krautnerschen Grundstücks verschwand.

Der resoluten Frau wurde auf einmal bänglich zu Muthe. Herr Gott, wenn der etwa gar – – Aber nein, so mit Sturm konnte er doch die Burg da drüben nicht nehmen! Zuzutrauen war’s ihm zwar, eine gewisse edle Dreistigkeit hatte er stets besessen – allein das Thereschen wird doch nicht? Freilich, die Mädchen heutzutage! Ein hübscher Mensch war er doch, obwohl nach ihrer Meinung gar nicht zu vergleichen mit Fritz. „Herr des Himmels, nun da wär’ ich doch neugierig!“ Mit diesen Worten setzte sich die Räthin an ihr Fenster und wartete auf die Rückkehr des Offiziers. Sie mußte lange warten, und als er endlich kam, da wurde sie nicht recht klug aus seinem Gehaben. Er klirrte womöglich noch toller als vorher mit dem Säbel, und sein sooft bleiches Gesicht war geröthet – aber ob vor Glück oder Enttäuschung, das konnte sie nicht ergründen.

Es dauerte nicht lange, da erscholl droben seine Kommandostimme: „Julia! Julia!“

Das junge Mädchen, das bei der verdrießlichen Tante gewesen war, um mit ihr die betrübende Thatsache festzustellen, daß für die jetzige opulente Wirthschaft das Monatsgeld nicht reichen werde, und dabei manchen kleinen Hieb geduldig aufgefangen hatte, stürzte erschreckt in die Stube des Bruders.

„Hier bin ich, Frieder – um Gotteswillen, was giebt’s?“

Er hatte die Uniform aufgerissen und lief im Zimmer umher. „Kannst Du reinen Mund halten?“ fragte er endlich.

„Ich verstehe Dich nicht. Wenn Du mir etwas anvertrauen willst, so rede ich selbstverständlich nicht davon.“

„Du mußt mir helfen!“ forderte er, „hörst Du?“

„Immer, wenn’s in meiner Macht steht, Frieder.“

„Es hat eine ganz verdammte Geschichte gegeben,“ fuhr er leiser sprechend fort. „Therese und ich – –“

„Thereschen und – Du?“

„Ja, Therese und ich haben uns heute früh verlobt. Reiß’ doch die Augen nicht so auf – Du glaubst nicht, wie thöricht Du dann aussiehst. Ist’s denn etwas nie Dagewesenes, daß sich ein junger Lieutenant und ein hübsches Mädchen verloben?“

„O Gott!“ stammelte das Mädchen, „wie mich das freut!“

„Ja, hat sich was! Als ich vorhin zu dem alten Philister komme und ihn um seine Einwilligung bitte, da bedankt er sich für die Ehre, und – und – nun, kurz und gut – einen Korb, aber keinen feinen! So einen!“ Und er fuhr mit der Hand in der Luft umher, damit den Umfang dieses Korbes andeutend.

„Und Thereschen?“ fragte sie.

„Habe ich gar nicht erblickt. Ich versicherte dem alten“ – er gebrauchte eine ziemlich respektwidrige Bezeichnung, die einem Thiere mit langen Ohren zukommt – „daß Therese nicht von mir lassen würde; da erklärte er gemüthlich lächelnd und immer die Hände mit dem Siegelring am rechten Zeigefinger auf dem Magen, daß ich mich nicht ängstigen solle, die habe ‚Ordre parieren‘ gelernt und werde ‚Raison‘ annehmen. Ein furchtbarer Mensch, und sein Deutsch! Da muß sich unsereins – es ist zum Radschlagen!“

„Arme Therese! Und sie hat Dich lieb?“

„Solche Frage! Und ob! Jetzt aber will ich ihr Nachricht schicken, einen Trost, verstehst Du? Du mußt hinüber; der Alte schläft nach Tisch. Sag’, ich müsse sie noch einmal sprechen und ich bliebe ihr treu bis in alle Ewigkeit, und ihr Vater müsse sich erweichen lassen, sie sei ja doch sein Liebling, sein einziges Kind.“

Der junge Offizier setzte sich wie erschöpft in eine Sofaecke, alle Qualen der Enttäuschung zuckten in seinem bleichen Gesicht. Er schlug plötzlich hart mit der Faust auf den Tisch. „Und alles wäre gnt gewesen, alles!“ mnrmelte er.

„Ich will es Therese bestellen; Ihr thut mir leid,“ sprach Julia mitleidig. „Ich denke auch, wenn Ihr so recht zusammenhaltet, muß der Väter endlich nachgeben, er hat doch das Reschen sehr lieb – –“

Das war ein recht böser Tag. Bei Tische begann Tante Riekchen plötzlich, ohne sich vor Julia zu scheuen, die sie sonst allen Unterredungen mit dem Bruder fernhielt, mit fast heiserer Stimme dem Pflegesohn mitzutheilen, daß sie leider nicht mehr in der Lage sei, ihm ganz soviel Zulage zu geben wie bisher. Sie brachte es mit gesenkten Augen hervor, als schäme sie sich, ihre gedrückte Lage einzugestehen.

Er lachte laut und hart auf und trank sein Weinglas mit einem Zuge leer. „Gesegnete Mahlzeit!“ rief er dann, warf die geballte Serviette auf den Tisch und die Thür hinter sich zu.

Riekchen Trautmann wischte sich eine Thräne aus den Augen.

„Tante!“ sagte Mamsell Unnütz, die Hand leise und scheu auf die durchsichtige zitternde Rechte des alten Fräuleins legend, „Tante, sei nicht traurig, wir werden es schon machen, daß alles in die Reihe kommt – wir verkaufen das Haus, gelt? Und dann bist Du ganz reich, und wir miethen ein kleines neues Quartier mit der Aussicht auf den Rhein, und da mache ich es Dir so traut, so traut, daß Du dies alte große Haus, das Dir nur eine Last ist, gar nimmer vermißt.“

Aber ihre Hand wurde jäh fortgeschleudert. „Wie kannst Du auch wissen, was eigene Scholle bedeutet? Keine Spur von Pietät ist in Dir, sonst würdest Du nicht reden, als sei ein Hausverkauf dasselbe wie ein Butterbrot streichen!“

Julia sah sie traurig an. „Ach, wenn Du eine Ahnung hättest, wie ich dies alte Haus liebe“ – wollte sie sagen. Aber sie schwieg, sie schwiegen beide.

Als das junge Mädchen mit den Tellern hinausgegangen war, schlug die Zurückbleibende die Hände vor die Augen, und die Thränen quollen ihr durch die Finger. Sie hätte hinter dem Kinde herlaufen und ihrer Härte wegen um Verzeihung bitten mögen und brachte es doch nicht über sich. Julia aber schlüpfte bald danach durch die Gartenpforte vom Rhein aus in das Krautnersche Grundstück. Ungesehen kam sie in das Haus und durch den Gartensaal, der mit fast allzugroßem Reichthum an ostindischen Matten, Bambusmöbelm und japanischen Fächern ausgestattet war, in das Boudoir der Freundin. Die Jalousien der breiten Fenster waren heruntergelassen; es herrschte ein gedämpftes Licht in dem Raume und ein ganz betäubender Duft von Eau de Cologne und irgend einem süßen exotischen Parfüm, welches das junge Mädchen für ihren Toilettetisch liebte.

Die hellblauen rosageblümten Möbel mit den verschnörkelten Goldgestellchen waren unordentlich durcheinander geschoben; vor dem Kamin lagen die Scherben einer Porzellanstatuette und auf einem Ruhebett kauerte, einen zerbrochenen Fächer bewegend, im reizenden aber ganz zerknitterten weißen Anzug, mit trockenen trotzigen Augen, das Opfer ihres grausamen Vaters, Therese Krautner. Als sie der Freundin ansichtig wurde, die fast feierlich ernst an ihr Lager trat, warf sie den Kopf nach der anderen Seite und begann zu weinen.

„Armes Reschen!“ Und das blasse Mädchenantlitz bog sich über die Verzweifelte, „ach, muß das herb sein! Aber fasse Muth, Frieder läßt Dich grüßen und er bleibt Dir treu. Er schickt mich eben zu Dir, Du solltest nicht verzagen. Treue Liebe kann alles bezwingen, und der hartherzigen Väter hat es mehr gegeben, Reschen.“

„Ei – ei – ei!“ scholl es hinter ihr, „hartherzig sagen Sie, kleines Fräuleinchen?“ Und Herr Stadtrath Krautner, der unbemerkt eingetreten war, stand, die Hände auf dem rundlichen Bäuchlein gekreuzt, das rothe Vollmondgesicht zum behaglichen Lachen verzogen, hinter dem erschreckten Mädchen. „Bin durchaus kein hartherziger Rabenvater,“ sprach er weiter und strich Julia mit dem Rücken der Hand über die Wange, „bin man bloß ein erfahrener Mann, der sein verblendetes Kibd nicht mit

gleichen Füßen ins Unglück springen läßt. Ja, ja ins Unglück,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_683.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2022)