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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Nun hatte er sich in der alten Heimath seinen Ruhesitz hergerichtet in Gestalt einer herrlicheu Villa und saß abends in der „Traube“ am braunen Stammtisch, an der nämlichen Stelle, wo er als Lehrbub’ die gröblichste Ohrfeige seines Meisters bekommen hatte beim Steinezureichen, denn diese Gaststube wurde damals angebaut. Und wo er einst Zeter geschrien, da ertönte jetzt seine gewichtige Stimme als Stadtrath und Ehrenbürger. Er war sehr mit sich selbst zufrieden, der Herr Krautner, und konnte es ja schließlich auch sein, und daneben war er rund und gemüthlich, that gern Gutes und verzog seit dem Tode der Frau die einzige Tochter über die Maßen. Er pflegte auch zu erzählen, daß sein „Reschen“ heirathen dürfe, wen sie wolle, und wenn’s der Aermste sei – nur keinen Offizier, nimmermehr! „Eher hing’ ich das Mädchen auf,“ schloß er gewöhnlich.

Das junge Mädchen hatte nun vorläufig gar keine Gelegenheit, sich in zweierlei Tuch zu verlieben, denn in Andersheim gab es nichts Militärisches außer dem alten Steuerrath, der sich Lieutenant a. D. auf seiner Visitenkarte nannte und zu Königs Geburtstag in einer vorsintfluthlichen Uniform und einem Helme erschien, der so hoch und spitz war wie ein Kirchthurm. Thereschen wurde zwar in Ermanglung dieser Gefahr umworben von Assessoren, Lehrern, Kaufleuten, verhielt sich aber vor der Hand sehr zurückhaltend und meinte, es habe durchaus keine Eile mit dem „unter die Haube kommen“, sie wolle erst noch ihre Jugend genießen.

„Und das machst Du recht!“ pflegte der Papa mit schallendem Lachen zu bekräftigen.

Nun war also der Abend vor Pfingsten ins Land gekommen und unter dem Nußbaum hatte Julia den Tisch gedeckt. Es war ihr in ihrer Glückseligkeit gelungen, die Tanten zusammenzuschmeicheln, so daß nach langen Jahren die Bewohner des Hauses wieder an einem Tische vereinigt saßen. Die jungen Männer waren soviel als möglich auseinander gerückt – sehr gemüthlich schien es sich überhaupt vor der Hand nicht anzulassen, dies Beisammensein. Der elegante Offizier im hellgrauen Frühjahrscivil, mit tadellos gepflegtem Haupt- und Barthaar und den unglaublich langen Nägeln an den seinen weißen Händen, stach gewaltig ab gegen den breitschulterigen jungen Arzt, der eine nette leichte Hausjoppe trug und den alten Strohhut, den die Frau Rath noch von früheren Ferien her aufgehoben, der Hitze wegen recht weit auf den Hinterkopf geschoben hatte. Der Fritze war so recht der lustige Rheinländer, obgleich diese fröhliche Art, das Leben zu nehmen und zu genießen, nur wie ein Schleier über dem Ernste lag, der doch den Kern seines Charakters ausmachte. Die Abneigung der beiden Männer aber war die alte geblieben.

Das Gespräch kam auf Politik. Die Räthin hörte sich gern darin und prophezeite von Jahr zu Jahr den unvermeidlichen großen Krieg. „Heuer kommt’s, paßt auf, und dann wird’s schrecklich!“

Frieder lächelte geringschätzig und drehte den Schnurrbart über eine Bemerkung des Doktors, und ehe man sich’s versah, war zwischen den beiden jungen Leuten eine höchst gereizte Unterhaltung im Gange. Der Doktor schwieg endlich und verlangte scherzend noch einmal von dem ausgezeichneten Maifisch, mit dessen Gräten er sich anscheinend so sehr beschäftigen mußte, daß er nicht mehr in der Lage war, zu reden. Dafür nahm die Frau Rath die eben beiseite gelegte Streitaxt auf, und der nervös auf seinem Teller herumstochernde Lieutenant setzte mit ihr das Gefecht fort, nur noch spitziger, denn ihn ärgerte der behaglich essende Doktor, dem die Meinung des alten Schulkameraden außerordentlich gleichgültig schien.

„Ich glaube, meine Gnädige,“ schnarrte er eben – er nannte die Räthin, seitdem er Offizier war, mit Vorliebe so – „ich glaube, Gnädige wagen sich da auf ein Gebiet, das so ganz zu beherrschen Sie doch nicht – –“

„Na! Jetzt schlägt’s dreizehn!“ rief die geärgerte Frau. „Will mir der Kiekindiewelt etwa sagen, daß ich nicht mitsprechen kann? Deine neugebackene Weisheit imponiert mir noch lange nicht, mein Sohn und die Geschichte vom Ei, das klüger sein will als die Henne, gilt nicht bei uns – hast’s verstanden?“

„Mutter!“. rief der Sohn beschwichtigend, als sie noch weiter reden wollte. Aber da verstummte sie auch schon und ihr zornrothes Antlitz lächelte zuckersüß; durch den Weg daher kam nachbarlicher Besuch, der Herr Stadtrath Krautner und hinter ihm sein Töchterchen. Im Nu waren die Gemüther beruhigt unter dem behaglichen Lachen des alten Herrn und dem glockenreinen „Guten Abend!“ des hübschen Mädchens. Man räumte die Teller ab und trug den Nachtisch auf. Die Räthin aber hakte das Schlüsselbund vom Gürtel und schickte ihren Sohn in den Weinkeller, damit der Herr Nachbar die Extrasorte, von der sie geredet – „Sie wissen schon, Herr Stadtrath“ – proben könne; es sei der Lieblingswein ihres seligen Mannes gewesen.

Julia kam eben mit ein paar Windlichtern die Treppe im Hause herab, als Fritz wieder aus dem Keller emporstieg. Einen Augenblick stockte ihr Fuß; sie sah sich nach ihm um, aber er nickte ihr nur flüchtig zu und öffnete die Thür zur Küche. In dem röthlichen Scheine des Lichtes meinte sie, er sehe verdrießlich aus. Ob er sich geärgert hatte über den Frieder? Es war ihr ein unerträglicher Gedanke. Sie wartete, bis er mit den Flaschen wieder aus der Küche zurückkam.

„Fritz,“ forschte sie stockend, „bist Du bös auf den Frieder?“

Er sah zerstreut empor und seine Hand berührte leicht ihre Schulter. „Nein, mein lieb Kind!“ Dann verschwand er auch schon in der Gartenthür.

Gedankenvoll und enttäuscht ging sie ihm nach. Wenn er doch einen Augenblick für sie übrig gehabt hätte; er war ja freundlich gewesen aber so – so flüchtig, so zerstreut. Sie kam zum Tische und stellte die Lichter darauf; ihr Stuhl war von Thereschen besetzt. Sie blickte nach dem anderen Ende des Tisches, wo vorhin der junge Arzt gesessen – dort hatte sich der Herr Stadtrath niedergelassen. Fritz saß oben neben Thereschen und auf ihrer anderen Seite der Frieder. Es dachte niemand daran, ihr einen Stuhl zu holen, sie mußte es selbst thun. Als sie aber zu dem entfernten Gartenplatz kam, von wo sie ihn herbeitragen wollte, setzte sie sich dorthin und blickte zu der Gruppe unter der Kastanie hinüber. unverwandt, mit sehnsüchtigen Augen. „Ob er Dich nicht vermissen wird?“ fragte sie sich, und ihre brennenden Augen hingen an ihm, der den Rauch einer Cigarre in diskreten kleinen Wölkchen vor sich hinblies, ohne sich an dem sehr belebten Gespräch zu betheiligen, das seine Nachbarin mit dem Lieutenant führte.

Er müsse es fühlen, wie sie ihn anschaue, sagte sie sich, aber ihre Blicke schienen die geheimnißvolle Macht nicht zu haben. Das laute Lachen des alten Herrn scholl in regelmäßigen Pausen zu ihr herüber. Dann stand Tante Riekchen auf und ging langsam dem Hause zu. Der Platz neben ihm ward frei, doch Julia rührte sich nicht; sie fühlte sich so müde, sie hätte weinen können. Dann klopfte ihr Herz stürmisch – er erhob sich und kam den Weg unter den Weinlauben daher, just auf ihren Platz zu. Athemlos wartete sie. „Ein Wort nur, ein gutes Wort!“ flüsterten ihre Lippen; aber kurz vor ihr wandte er sich um, ohne sie erblickt zu haben, und schritt dem Rheine zu. Da blieb er an der Mauer stehen und sah auf den dunklen Fluß; gegen die Strömung arbeitete sich eben ein Schleppdampfer, dessen Gefolge von Lastkähnen nach der Zahl der hellen Laternchen zu berechnen war. Der Doktor ging nicht wieder zurück an den Tisch; erst als die Räthin ihre Stimme erschallen ließ: „Fritz, Fritz, die Herrschaften wollen heim!“ wandte er sich um, und just in der Nähe von Julias Platz trafen sich er und Thereschen Krautner.

„Wo steckten Sie denn?“ rief das junge Mädchen.

„Haben Sie mich vermißt?“ fragte er leise und bog sich zu ihr hinunter.

Sie schwieg wie verlegen.

„Gute Nacht, Fräulein Therese,“ sagte er nur, und ihre Hände ruhten einen Augenblick ineinander; als dann der Lieutenant hinzutrat, zog er förmlich den Hut und wandte sich aufs neue schweigend in die dunklen Gänge.

Und Julia that ihre Pflicht; sie setzte dse Teller zusammen und die Gläser und faltete das Tischtuch. Sie hörte, wie die Räthin, die von dem Geleit der Gäste zurückkehrte, ärgerlich nach ihrem Sohne rief.

„Wenn Du nicht schon so ein alter Mensch wärst, müßt’ ich Dich wirklich schelten! Was hast Du davonzulaufen? Wahr ist’s doch, daß die Soldaten Euch Gelehrten über sind in so Sachen!“

„In was für Sachen?“

„Na, verstelle Du Dich und noch einer!“ sprach sie leiser. „Uebrigens brauchst Du keine Bang’ zu haben, so ein –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_679.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)