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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

nämlich in der Stellung einer Frierenden seine Mutter am sommerlich kalten Kachelofen mit dunkelrothem verärgerten Gesicht, und am Fenster saß Tante Riekchen, sehr bleich, einen Brief in der Hand.

Du, Fritz?“ rief die Mutter, als sie des Sohnes ansichtig ward. „Na, das ist aber ein Glück, wie gerufen kommst Du!“ und nach einem flüchtigen Kusse zog ihn die erregte Frau vor den Stuhl der Tante. „Da sag’s ihr einmal, Fritz, sie glaubt mir’s nicht.“

„Grüß’ Gott, Tante! Was glaubst Du denn schon wieder nicht?“ begrüßte er sie gutmüthig.

„Daß der Frieder ein – ein – Bruder Leichtfuß ist – gelind ausgedrückt!“ rief Frau Rath.

Tante Riekchen sah ihren Neffen an wie ein verwundetes Reh. „Erbarmen, Fritz, Erbarmen!“ sprachen die verweinten Augen.

„Ich kann Dir leider gar nichts vom Frieder erzählen, Tante,“ sagte der junge Arzt freundlich ernst, „kaum daß ich ihn einmal flüchtig auf der Straße sah. Du vermagst Dir das nicht vorzustellen, aber in einer solchen Großstadt, wo jeder seinen eigenen Weg gehen muß, da – –“

„Es thut mir recht weh, Fritz, daß Ihr Euch noch immer vermeidet.“

„Tante, das ist so der Lauf der Dinge. Offiziere halten sich – müssen sich etwas exklusiv halten; Absicht ist das gar nicht von uns beiden,“ tröstete er herzlich.

„Thu’ nur nicht, als ob Du nicht wüßtest, daß der Herr Adami den Baron spielt!“ sagte Frau Rath mit ihrer liebenswürdigen Offenheit. „Damen, Diners, Soupers in den feinsten Lokalen; wenn er’s nicht weiß, ich kann Dir’s sagen, Riekchen, so ist’s! Verschließ Dich nicht länger der Thatsache und häng’ Deinem Goldsohn den Brotkorb höher, sonst trifft noch ein, was ich Dir vor acht Jahren prophezeit hab’, als der Bub’ die große Rechnung in der Konditorei hier gemacht hatte – Du gehst noch mit dem Bettelsack aus dem Haus hier, hab’ ich damals gesagt.“

„Ich bitte Dich,“ rief Tante Riekchen verletzt, „bring’ nicht immer die alte, längst vergessene Geschichte wieder aufs Tapet. Uebrigens will ich nicht länger stören, da wir uns doch nicht einigen. Ich hab’ mich gefreut, Fritz, Dich zu sehen, und wünsche Dir Gottes reichsten Segen,“ wandte sie sich an den jungen Arzt, und schnell verließ sie das Zimmer, damit ihre Verwandten nicht die Thränen sehen sollten, die ihr aus den Augen schossen.

Frau Rath sah ihr nach. „Halsstarrig bis zuletzt!“ rief sie.

„Was wollte denn die Tante, liebe Mutter?“ forschte er.

„Was sie wollte? Geld! Eine Hypothek aufs Haus!“

„Lieber Gott, so weit ist’s?“ fragte er, ehrlich betrübt.

„Schon lauge! Ich gab ihr ja vor zwei Jahren schon dreitausend Thaler auf das Haus. Sie hat eine wahre Angst, daß man im Publikum etwas merkt von ihrer Lage. Heute kommt sie plötzlich wieder zu mir um ein erneutes Darlehn. Es ist ein Elend! Sie besitzt nicht mehr soviel, um die Kosten des mehr als einfachen Haushalts zu decken; sie spart an allen Enden und Kanten, ja sie hungern beinahe. Das gute Dienstmädchen ist abgeschafft und Fräulein Julia muß die Hände rühren. Aber das ist’s eben, wenn sie die nicht hätt’, so könnte sie an meinem Tische essen, ich würd’s ja gern geben. Aber die ‚Unnütz‘ ist einmal da und muß gehalten werden wie eine Prinzeß’.“

Der junge Doktor lachte auf. „Spülen denn heutzutage Prinzessinnen die Wäsche am Rhein?“

„Nun, lach’ nur nicht zu früh. Eben hat mir Riekchen gesagt, daß das Fräulein von jetzt ab die Kasinofeste besuchen würd’.“

„Warum denn nicht?“

„Lieber Gott, was das kostet! Schon der Anzug –“

„Lassen wir das. – Kannst Du der Tante nicht helfen?“

„Freilich! Ich hab’ ihr gesagt, ich wolle das Haus kaufen; für einen mäßigen Preis natürlich. Doch was meinst Du, was sie haben will – rein lächerlich! Hab’ ihr vorgestellt, sie bekomme freie Wohnung, Gartenbenutzung – aber sie besteht auf der Summe. Dabei wär’s schrecklich, wenn’s in andere Hände käm’,“ fuhr die alte Dame seufzend fort, „es liegt so gut für Deine Zwecke – hier herum die neue Villenstadt mit vornehmem Publiknm. Es wär’ nur ein Fall erträglich, wenn nebenan der Herr Krautner es kaufte.“

Sie machte eine Pause. „Heirathen wirst Du müssen, Fritz; ein Unverheiratheter Arzt ist ein Unding. Also ’ne Frau wär’ vor der Hand das Nöthigste für Dich.“

Jetzt lachte der hübsche große Mann laut auf. „Mutter, weißt Du, was das Nöthigste ist?“ rief er, „ein Frühstück!“

Die alte Dame kam erst jetzt zu dem richtigen Bewußtseln, daß ihr Sohn, den sie seit zwei Jahren nicht gesehen hatte, sie überrascht habe und da sei, wirklich und wahrhaftig. Sie lief ganz behende hin und her und trug herbei, was sie in Küche und Keller hatte, und währenddem entschuldigte sie sich, daß leider Gottes seine Stuben noch nicht in Ordnung seien. Und als sie endlich dasaß und ihn mit bestem Appetit speisen sah, da sagte sie noch einmal. „S’ist wirklich nöthig, Fritz, daß Du Dich nach einer Frau umthust; welch anständiger Familienvater wird denn Dich jungen Luftikus zu seiner Frau oder gar zu seinen Töchtern rufen? Uebrigens, heut’ nachmittag könnten wir ja – –“

„Nun, was könnten wir denn da?“ fragte er belustigt.

„Besuche machen, bei Eisemanns und bei Krautners etwa –“

„I, hat denn das solche Eile?“

„Nun, wenn man Nachbarschaft ist und immer über den Zaun hinüber redet, so abends – und das Thereschen sitzt doch auch öfters ’mal bei uns in der Laub’ –“

„So? Das Thereschen? Wer ist denn das?“

„Herrn Krautners Tochter; sie halten da ein bißchen Freundschaft miteinander, Julchen und das Thereschen, sind auch in einem Alter. Ich würd’s nicht leiden an Riekchens Stell’, da guckt das Mädchen nur ab, wie’s die reichen Leute haben, aber – was geht’s mich an! Sag’ mal, weißt Du wirklich nichts vom Frieder?“

„Mutter,“ antwortete der junge Mann, „frage mich nicht nach ihm; durchs Reden wird’s nicht besser. Mich dauern nur die beiden da droben.“

„Erzähl’ doch! Erzähl’!“ rief die Mutter, aber er hörte es schon nicht mehr. Er wollte sorgen, daß sein Koffer käme, rief er zurück. –

Wenn der heimgekehrte Sohn geglaubt hatte, es werde ihm zu Ehren feierlich der übliche Kalbsbraten mittags aufgesetzt werden, so hatte er seine Mutter noch nicht ganz genau gekannt. Es gab weiter nichts als das an Scheuer- und Waschtagen übliche Gericht, „und damit holla!“ wie Frau Räthin sagte. Nun, er war kein Schlemmer und aß auch die süß-sauren Leberknödel. Aber machte es das Scheuerparfüm oder die Thatsache, daß er erst gegen Abend in seine noch nassen Zimmer konnte, um sie einzurichten – er befand sich im Zustand größter Ungemüthlichkeit.

In der Wohnstube nickte die Mutter im Nachmittagsschlummer, und von droben hörte man eine wie im Schlafe gedrehte Kaffeemühle. Er trat auf die Schwelle seines künftigen Wohnzimmers. Wie kahl das Ganze war! Nun, wenn nur erst seine Bücher und Instrumente ausgepackt sind, dann – aber, großer Gott, wo sollte er sie denn hinthun? Es war nicht einmal ein Schrank für sie vorhanden! Plötzlich fiel ihm ein, daß auf dem Boden noch die Regale aus des seligen Großvaters Amtsstube sein müßten und behaglich rauchend erstieg er die Treppen, schlich leise über den Flur, damit der Nachmittagsschlummer der bekümmerten Tante nicht gestört werde, und erklomm die steile Bodentreppe.

Solch heimliche, mit allerhand Gerümpel vollgestellte Dachböden, solch festes Balkenwerk und solch geheimnißvolles Dämmerlicht, in dem die Spinnen weben und alte feudale Mäusegenerationen ein Leben unter beständiger Angst vor der Hauskatze führen, giebt es gar nicht mehr in den neumodischen Häusern, wo jeder Winkel zum Aufenthalt für Menschen umgeschaffen ist. Der junge Arzt hatte immer eine Vorliebe für den Boden des Hauses gehabt von den Kinderspielen her, wo sie sich hier versteckten, im heimlichsten Winkel Karten spielten und die ersten Rauchversuche anstellten. Es wurde ihm erst hier oben heimathlich zu Muthe, und wahrhaftig, da hing noch das Seil, in dem er Mamsell Unnütz geschaukelt hatte, und dort stand das alte Spinnrad im Winkel der Esse, dessen zerbrochenes Rad zu drehen des kleinen Mädchens stilles Entzücken gewesen war.

Er machte sich eifrig daran, allerhand Kasten, Stühle und zerbrochenes Gerümpel aus dem Wege zu räumen, um an die gesuchten Regale zu gelangen, die dort hinten hervorsahen, und dabei sprach er leise vor sich hin. „Schön ist anders, aber für den Anfang – später, wenn ich heirathen muß, wie die Mutter sagt, werden wohl neue Sachen kommen –“

In diesem Augenblick stutzte er; die Thür der gegenüberliegenden Bodenkammer hatte einen leisen knarrenden Ton hören lassen, und sich rasch umwendend, sah er, wie sich diese Thür eben ganz langsam schloß.

„Nun, spukt’s hier denn wirklich?“ rief er und war mit zwei Sprüngen drüben und rüttelte an dem Schlosse – ein Ruck

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_650.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2022)