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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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in bedenkliches Schwanken gerieth. Der Doktor lachte laut und herzlich. „Schau, Mamsell Unnütz, jetzt wär’s Dir selbst beinah’ ergangen wie dem armen Tuche, und ich hätt’ Dich fischen müssen. Aber sag’ mir um alles in der Welt, Kind, was hast Du mit Dir angefangen in den zwei Jahren? Du bist ja eine halbe Elle gewachsen und wo ist Dein schmales Gesichtchen geblieben? Du bist ja – –“ Das Kompliment blieb ihm auf der Zunge, so rosig war sie erglüht.

„Zwei Jahre sind doch eine lange Zeit,“ sagte sie und begann wieder eifrig ihre Arbeit. „Aber wo kommst Du her?“

„Plantsche ein andermal weiter und setze Dich dahin – so! Ewig ist doch Wäsche bei Euch, ich kann mir Euch gar nicht anders vorstellen. Wo ich herkomme? Von Berlin, das heißt von Rüdesheim heute früh, gestern von Köln; und weil ich Euch überraschen wollte, fuhr ich mit dem Nachen, um ungesehen ins Haus zu gelangen.“

„Ich glaube, Deine Mutter denkt, daß Du erst am Pfingstheiligabend eintriffst,“ sagte sie.

„Ja, das mag sie wohl; aber mir wurde Berlin plötzlich zu eng. Ich hatte dort nichts mehr zu thun, reiste ab, und nun bin ich da, wie Du siehst.“

„Und bleibst immer hier?“ klang es stockend.

„Na, möglich ist’s; ich hab’s der Mutter verspochen. Vielleicht fassen die biederen Bürger von Andersheim Vertrauen zu mir und geben mir ihr sterbliches Theil bei Krankheiten anheim.“

„Willst Du nicht hineingehen und Deine Mutter begrüßen?“

„Nein! Es gefällt mir hier sehr gut, und Mutter bekommt noch früh genug den Schreck in alle Glieder, wie sie zu sagen pflegt. Erzähle mir lieber – wie geht’s hier bei Euch?“

Sie hatte doch wieder angefangen Wäsche zu spülen. „Immer so weiter,“ sagte sie, mährend ihr ein paar Tropfen auf das Haar flogen und dort wie blitzende Steine liegen blieben.

Er schwieg und sah ihr zu. Was war aus Mamsell Unnütz für ein eigenartiges Mädchen geworden, und welch trostloser Klang lag in den Worten: „Immer so weiter!“ Ihm ward ganz beklommen zu Muth; und an diesem „Immer so weiter“ sollte er theilnehmen, theilnehmen für sein ganzes Leben?

„Unnütz,“ bat er, seine Gedanken abschüttelnd, „laß die Plantscherei, das kann doch das Mädchen thun; es ist gräßlich! Freue Dich doch lieber Deines jungen Lebens!“ Und er hatte sie plötzlich auf das Bänkchen neben sich gezogen und den Arm um sie geschlungen. „Sonst gabst Du mir stets einen Kuß, wenn ich kam, weißt Du noch? Und beim Abschied auch. Heute zu Deinem Geburtstag muß ich Dir einen geben!“ Und ehe sie wußte, wie ihr geschah, hatte er seinen hübschen braunen Schnurrbart auf ihre rothen Lippen gepreßt.

Sie entwand sich ihm blitzschnell und sah ihn an. Sonderbar leuchteten einen Augenblick die Goldfunken auf in den dunklen Sternen, dann senkten sich die Wimpern und ein sehr feindlicher Zug erschien auf ihrem Gesicht. „Bitte, laß das jetzt, ich bin kein Kind mehr,“ sagte sie.

„Nichts für ungut, Fräulein Unnütz!“ Er erhob sich und sprang behende aus dem Nachen, machte ihr vom Ufer aus noch eine tiefe Verbeugung und schritt die Stufen hinauf. „Es ist nur, damit Mutter noch rasch das bewußte Kalb schlachtet, Unnütz – auf Wiedersehen!“

Sie starrte ihm nach, alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Wie kraftlos saß sie da, und auf einmal hielt sie die Hände vor die Augen, als blende sie die Sonne und das Spiel der Wellen und so saß sie noch, als die alte Frau den zweiten Korb mit Wäsche brachte. –

Der junge Doktor platzte gerade in die Wohnstube der Mutter zu einer Zeit, die er sich nicht gewählt haben würde, hätte er

eine Ahnung gehabt von dem, was sich dort abspielte. Dort stand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_649.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2022)