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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Ja, zwischen uns, Fräulein Claire. Ich sage das getrost, ich bin kein junger Fant mehr, kein schmachtender Jüngling, ich bin ein Mann – mit tausend Fehlern vielleicht, aber mit dem einen Vorzug, daß ich mit meinen Gefühlen nicht Versteck zu spielen weiß. Ein Reiter liebt die rasche kühne Entscheidung!“

„Das ist ja ganz schön, Herr Graf,“ unterbrach ihn Claire in leicht ironischem Tone, „aber ich bin leider zu Fuß und kann dem raschen kühnen Reitersmann nicht folgen.“

„Sie verleugnen sich selbst, Fräulein Claire! Seit wann gehören Sie zu diesen matten Naturen, die, einer raschen kräftigen Leidenschaft nicht fähig, ängstlich hin und her schwanken, überlegen, fürchten und zagen. Entweder bin ich Ihnen gleichgültig, zuwider, dann haben Sie Ihr Spiel mit mir getrieben, oder ich bin Ihnen mehr als die anderen. Warum aber dann noch zögern? Oder will Ihr Papa den leichtsinnigen Offizier nicht, der mit seinem Sohne ein flottes Leben führt, und Sie lieben den Papa über alles? Ist es dies?“

Der Graf war schön in seiner rücksichtslosen Erregung, die ihn die gute Sitte so weit mißachten ließ, daß er zornig mit dem Säbel auf den Boden stieß.

Claire entzog ihm den Arm.

„Sie vergessen sich, Herr Graf! Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig über die Gründe meines Benehmens. Sind Sie ein Mann, der kühne Entscheidungen liebt, so bin ich eine Frau, die sich ihre Gefühle nicht in blindem Ansturm entreißen läßt. Sie wählen eine Taktik, Herr Graf, mit der Sie vielleicht oft gesiegt haben, die aber nicht immer die richtige ist.“

Maltiz ergriff die beiden Hände des Mädchens und sank, hingerissen von seiner Leidenschaft, vor ihr auf die Knie.

„Taktik? Ich kenne keine in diesem Augenblick. Ich liebe Sie, Claire, nun müssen Sie es hören! Mein sollen Sie werden . . . nur einen Hoffnungsstrahl geben Sie mir!“ Jäh sprang er auf und beugte sein heißes Gesicht so nahe an das ihrige, daß sie seinen Athem spürte.

Nun verlor auch Claire die mühsam bewahrte Ruhe, das Feuer, das verzehrend in dem Manne vor ihr loderte, drohte auch ihre Sinne zu ergreifen. Eine Müdigkeit überkam sie, daß sie wie betäubt die Augen schließen mußte. Es war ihr, als müsse sie um Hilfe rufen gegen sich selbst – warum nur fehlte Hans gerade heute!

Da glaubte sie Schritte zu vernehmen, sie blickte auf – unter dem Vorhang der Thür stand Hans Davis, bleich und verstört; in der nächstelt Sekunde war er wieder verschwunden. Ob er es nun wirklich gewesen war oder das Ganze nur eine Täuschung ihrer erregten Sinne – die Erscheinung hatte ihr die ersehnte Hifle gebracht, sie gehörte wieder sich selbst. Stolz richtete sie sich auf.

„Man hat uns beobachtet, verlassen Sie mich!“ rief sie befehlend. Achselzuckend verbeugte sich der Graf und ging.

Als Claire, nach Fassung ringend, den Salon betrat, fiel ihr erster Blick auf Hans. Es war also keine Vision gewesen – er hatte sie belauscht! Der Schmerz über das Gehörte, Gesehene lag offenbar noch in seinen Zügen. Warum nur hatte sie gerade an ihn denken müssen in dem entsetzlichen Augenblick, als sie jede Kraft in ihrem Inneren erschlaffen fühlte? Warum wich die qualvolle Betäubung bei seinem Anblick? Mit einem Male sah sie klar: sie liebte diesen Mann! Ihm hätte sie gern tausendmal die Antwort gegeben, die der Graf vorhin mit stürmischer Leidenschaft von ihr hatte erzwingen wollen! Aber weshalb wagte Hans nicht dasselbe wie dieser Maltiz – warum verrieth er mit keinem Worte, was er fühlte? Entschlossen trat sie auf Hans zu.

„Wo bleiben Sie so lange? Ich habe Sie überall gesucht. Es giebt Leute, die sich keine Sekunde rauben lassen von diesem Abend, ich dachte, Sie gehörten vor allem dazu.“ sprach sie ihn an.

„Dringende Geschäfte, gnädiges Fräulein! Uebrigens werden Sie mich wohl nicht vermißt haben. Sie sehen so blühend, so strahlend aus von freudiger Lebenslust, daß ich mir doppelt dunkel und unscheinbar vorkomme, so gar nicht, als könnte ich vermißt werden.“

„Wäre es nicht moglich, daß Sie mein Aussehen falsch deuten? Vielleicht ist es nicht Lebenslust, was mich erfüllt, sondern etwas anderes, Entrüstung – Empörung über etwas . . .“

Hans blickte ihr fest ins Auge, mit einem Ausdruck tiefen Schmerzes. „Empörung über mich, den Lauscher, nicht wahr?“ Claire erröthete tief. „Also Sie waren es wirklich? Nein, das meinte ich nicht.“

„Das meinten Sie nicht? Aber dann – dann bleibt nur eine Erklärung übrig . . .“

„. . . daß ich empört bin über die ungerechtfertigte Zudringlichkeit des Grafen, von der Ihr Erscheinen mich erlöste!“

Hans fühlte, wie sich ihm alles Blut zum Herzen drängte – da stand ja das Glück vor ihm, nahe, greifbar nahe. Aber – o Hohn des Schicksals! – er durfte die Hand nicht danach ausstrecken, er, den das Verhängniß in seine Bande geschlagen, durfte nicht mehr frei wählen, wollte er nicht auch die, die ihm das Liebste war auf Erden, mit sich in Schmach und Schande bringen. Gewaltsam raffte er seine Selbstbeherrschung zusammen.

„Aber der Graf liebt Sie, Fräulein Claire,“ erwiderte er scheinbar gelassen, „und er hat alle Berechtigung dazu. Urtheilen Sie deshalb nicht zu streng! Seine Leidenschaft macht ihn unvorsichtig; o, ich begreife das – sie kennt keine Rücksicht, kein Bedenken, unaufhaltsam drängt sie vorwärts, ihrem Ziele zu!“

„Wirklich, thut sie das?“ entgegnete Claire. „Was wissen denn Sie von Leidenschaft bei Ihren langweiligen fühllosen Maschinen, für die Sie schwärmen? Wie kalt Sie das sagen: ‚der Graf liebt Sie‘, als ginge Sie das gar nichts an!“ Eine tiefe Bekümmerniß klang durch den spöttischen Ton dieser Worte hindurch.

Das Herz krampfte sich in Hans zusammen. Sie standen abseits von der Gesellschaft, niemand konnte sie belauschen – es galt nur ein Wort, das fühlte er, und Claire war sein! Und dieses Wort – er durfte es nicht sprechen! Noch klang die Stimme Holzmanns widerlich in sein Ohr. Er mußte dieses fürchterliche Gespräch beenden, jäh und gewaltsam, sonst erlag er der Versuchung.

„Es darf mich nichts angehen, wenn ein anderer Sie liebt. Der Graf ist der Mann, Sie glücklich zu machen, ist Ihrer würdig, das ist das einzige, was mich dabei interessieren kann, mich, Ihren Jugendfreund, Ihren kleinen Automaten!“

Er athmete schwer auf nach diesen Worten, die nüchtern mit vernünftiger Kühle über seine Lippen gekommen waren.

Claire lachte spöttisch. „Wirklich – Sie sind fest überzeugt, daß der Graf mich glücklich machen würde, daß er meiner würdig ist? Diese Aeußerung erinnert mich wirklich an den Automaten von einst mit seinen toten, langweiligen Bewegungen. Uebrigens haben Sie ganz recht – es geht Sie wirklich nichts an, ob der Graf mich liebt oder nicht, darum lassen Sie in Zukunft das Belauschen!“

„Fräulein Claire!“

Sie hörte nicht mehr auf ihn, sie hatte ihm den Rücken gewandt.

Hans lehnte sich an die Fensterbrüstung und drückte die heiße Stirn an die kalten Scheiben. Das Opfer war vollbracht!

„Warum so einsam, Davis?" weckte ihn plötzlich eine Stimme neben sich – es war die Berrys. Erschrocken wandte sich Hans um.

„Wie sehen Sie denn aus? Krank, überarbeitet und unglücklich! Mir scheint, Sie fühlen sich immer gedrückt in meinem Hause – warum denn? Haben es ja gar nicht nöthig! Sie müssen sich mehr umthun, müssen sich dieser Welt mehr anpassen, wenn es Ihnen auch nicht immer angenehm ist! Sie sind nun einmal berufen, darin zu verkehren, und ich darf es geradezu von Ihnen verlangen, daß Sie sich nicht absondern. Heutzutage macht man seinen Weg nicht mehr allein mit den Kenntnissen, auch Aeußerlichkeiten sind nicht zu unterschätzen, wenn man eine Stellung einnehmen will. Und das wollen Sie doch, und ich will es auch! Ja, ja, ich muß es Ihnen einmal sagen, es fehlt Ihnen an Selbstgefühl, und das ist nothwendig gerade diesen Leuten gegenüber, die wunder meinen, was sie sind. Kommen Sie, kommen Sie – Claire fragte auch schon nach Ihnen!“

Hans lachte gezwungen, entschuldigte sein Alleinbleiben mit Kopfschmerz und folgte dann Herrn Berry.

Claire stand bei Otto und Maltiz. In Hans brauste alles wirr durcheinander, mechanisch sprach und antwortete er. Dazwischen hinein tönte dämonisch das Lachen Claires und des Grafen.

Wie ein wüster Traum ging der Abend vorüber, er sah noch, wie der Graf zum Abschied lange Claires Hand hielt, dann eilte er durch die Nacht seiner Wohnung zu.


10.

Mit Claire war eine auffallende Veränderung vorgegangen. Sie zog sich von der Gesellschaft immer mehr zurück und ließ sich selbst an den Empfangsabenden öfters entschuldigen, so daß diese dadurch ihre Anziehungskraft verloren. „Claire wird Gräfin Maltiz und deshalb dieser Rückzug,“ hieß es in der Stadt; was

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