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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Ketten.
Roman von Anton v. Perfall.

      (5. Fortsetzung.)


Wieder klimperte das Klavier, wieder ertönte das wüste Lachen aus dem „Jörgl“ und lärmten die „Jungen“ beim „Prasser“, wieder glühten im Dunkel die roth verhangenen Fenster der „Fackel". Hans trat in das von übelriechendem Dunste gefüllte Lokal der „Fackel“, ein Blick überzeugte ihn, daß Holzmann noch nicht da sei.

Die Wirthin empfing ihn mit mißtrauischer Miene. „Suchen Sie den ‚Schwarzen Jakob‘?" fragte sie barsch. „Er hat sich nicht mehr sehen lassen seitdem, er haßt das Geschnüffel – war ein guter Gast.“

„Bringen Sie ein Glas Bier und kümmern Sie sich nicht darum, wen ich suche oder nicht!“ entgegnete Hans abweisend.

Eingeschüchtert durch den entschiedenen Ton entfernte sich die Wirthin, um das Verlangte zu bringen. Jetzt trat auch Holzmann ein, mit offenbar von reichlichem Alkoholgenuß getrübten Augen stierte er im Zimmer umher. Hans wurde von unbezwinglichem Ekel erfaßt, es war ihm, als müsse er entfliehen. Da erblickte ihn Holzmann; über die Entdeckung vergnügt mit dem Finger schnalzend, trat er näher. Ohne Umstände setzte er sich neben Hans und nahm ungeniert einen tüchtigen Schluck aus dessen Glas.

„Hab’ ich’s nicht fein gemacht?“ fragte er, mit den Augen zwinkernd. „Bin ich nicht ein wahrer Freund?“

Hans zuckte unter dieser Andeutung zusammen und dachte nicht einmal daran, von dem Menschen wegzurücken, der ihm vertraulich die Hand auf die Schulter gelegt hatte; sie lastete darauf wie Blei.

„Na, so reden Sie doch, jetzt brauchen Sie ja keine Angst mehr zu haben – ich schweige wie das Grab!“

„Ich verstehe Sie nicht,“ stammelte Hans.

„Sie verstehen mich nicht? Na, das ist gut! Warum sind Sie denn hier? Oder habe ich meine Sache wirklich so gut gemacht, daß auch Sie ...? Na, hören Sie, da wär’ ich wirklich stolz. Aber machen Sie keine Flausen, zwischen uns zwei muß alles klar sein. Also die Geschichte war so: ich und er – Sie wissen, wen ich meine – hatten alles vortrefflich vorbereitet, es klappte soweit auch ganz gut, er war schon glücklich drin im Laden – da überkommt ihn ein Schrecken, er glaubt wunder was draußen auf der Straße zu hören, springt durch die Oeffnung wieder herunter, wirft mir dabei die halbe Decke auf den Kopf und ist auf und davon, während ich in der Patsche sitze. Na, ich will’s ihm nicht nachtragen.“

In Hans war, während Holzmann in seiner frechen Weise erzählte, ein dumpfer Zorn aufgestiegen. „Also haben Sie meinen Vater wirklich so weit gebracht, Sie Schurke!“ flüsterte er zwischen den Zähnen. Sein Antlitz war weiß, sein Auge leuchtete unheimlich.

„Natürlich, ich bin der Verführer! Er ließ sich übrigens sehr gern verführen, der Herr Vater – doch das ist ja jetzt ganz einerlei, verlieren wir keine Zeit mit solchen Dummheiten! Rollen Sie die Augen nicht so, ich fürchte mich nicht – Ihnen muß alles dran liegen, daß Ihr Vater nicht entdeckt oder aufgegriffen wird, und wenn ich spreche . . .“

Das letzte Wort klang wie eine Drohung; Hans ließ finster das Haupt sinken.

„Ich spreche aber nicht, wenn Sie vernünftig sind.“

„Was nennen Sie vernünftig?“

„Sie kaufen mir das Geheimniß ab – das ist doch sehr vernünftig!“

„Womit? Ich bin arm.“

„Weiß ich, und ich bin kein Blutsauger, das überlass’ ich den ehrlichen Menschen. Es giebt ja auch Abschlagszahlungen, und Sie werden nicht arm bleiben –“

„Gut, ich bin bereit. Was fordern Sie?“

„Das ist schwer zu sagen. Je weiter Sie es bringen, desto mehr muß Ihnen an meinem Schweigen liegen. Sagen wir vor der Hand dreißig Mark monatlich! Gewiß anständig! Haben Sie Glück, machen vielleicht eine gute Partie – ’s ist ja so was in Aussicht, wie ich hörte – na, dann läßt sich weiter drüber reden, dann kann man’s vielleicht mit einmal abmachen.

Hans hatte nicht einmal mehr die Kraft des Zornes gegen diesen offenbaren Hohn. Die Anspielung auf Claire machte ihm seine furchtbare Lage doppelt klar.

„Sie sollen das Geld haben. Aber geben Sie sich keiner Hoffnung hin in Bezug auf meine Zukunft –“ Er lachte schmerzlich. „Ich habe keine Zukunft mehr von heute an und werde nie –“

„‚Heirathen‘, wollen Sie sagen? Ah bah, das sagen Sie jetzt. Nicht heirathen? Ein so schöner Mann mit diesen Aussichten! Da ist mir nicht bange. Also vor der Hand dreißig Mark monatlich. Sie senden es an den Wirth zum ‚Schwarzen Rößl‘, meinetwegen unter fremdem Namen, ich weiß dann schon, von wem es kommt. Aber noch etwas: ich könnte doch einmal einen besonderen Wunsch haben – man hat hie und da größere Ausgaben – und ich möchte Sie von Zeit zu Zeit doch auch persönlich sehen, damit ich Sie nicht ganz aus dem Gesicht verliere . . . also kurz und gut: ich verlange, daß Sie sich alle Vierteljahre, sagen wir: immer am Ersten jedes dritten Monats von heute an, im ‚Schwarzen Rößl‘ sehen lassen. Kommen Sie nicht, so müßte ich schreiben, und das ist gefährlich für uns beide. Also einverstanden?“

„Ich muß!" stöhnte Hans. „Nun aber – wo ist mein unglücklicher Vater?“

„Er ist jetzt auf eine Zeit lang verschwunden; ich glaube, er ist in der Schweiz. Doch das kann Ihnen ja gleich sein. Auch wenn er wiederkommt, wird er sich vor Ihnen nicht sehen lassen auf diese Geschichte hin, er fürchtet Sie –“

„Und wer giebt mir die Versicherung, daß Sie ihn dann nicht zum zweiten Male zu einem solchen Verbrechen verführen?"

„Ich, Verehrtester!“ erwiderte Holzmann lachend. „Er taugt nicht zu dem Geschäft, es fehlt ihm die Ruhe, die Kälte; mitten drin reut es ihn, und er macht lauter Dummheiten.“

Hans war dem Gauner für dieses Wort beinahe dankbar, bewies es ihm doch, daß sein Vater kein Verbrecher von Natur war, daß ihn nur seine Leidenschaftlichkeit, seine widrigen Verhältnisse und die Künste Holzmanns soweit gebracht hatten. Aber was nützte es seinem Vater und ihm selbst, daß dem so war? Befanden sie sich deshalb weniger in der Gewalt des Schurken? War er selbst nicht in Zukunft ein Sklave Holzmanns? O, das war die schändlichste Fessel, die er je getragen! Doch wie – wenn er sie abschüttelte mit einem energischen Rucke, mochte draus entstehen, was da wollte? Sein Vater war in Sicherheit, und selbst wenn er infolge einer Anzeige den Gerichten verfiel, war es nicht besser, daß er seine Schuld büßte, statt mit dem Bewußtsein, ein Ausgestoßener und Verfolgter zu sein, immer weitergetrieben zu werden auf der dunklen Bahn und vielleicht dem Schlimmsten zu verfallen. Und konnte denn Holzmann überhaupt den Genossen verrathen, ohne selbst mit in die Falle zu gerathen? Aber dieser Mensch mit seinem rachsüchtigen Charakter und seiner bösartigen Schlauheit würde sicher einen Weg finden, seine Drohung wahr zu machen, ohne sich selbst zu gefährden. Im Nothfall würde er wohl auch vor einem Meineid nicht zurückschrecken, um den Vater als den alleinigen Schuldigen hinzustellen. Ja, es war zu erwarten, daß er sich dann die Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, auch den Sohn in Verdacht zu bringen. Anhaltspunkte dafür bot ihm ja der Verkehr in der berüchtigten „Fackel“. Und dann – wo blieb dann sein Glück, seine Zukunft, die er sich nur zu denken vermochte an der Seite Claires!

Im Gefühl seiner Ohnmacht verlegte sich Hans zu seiner eigenen inneren Beschämung aufs Bitten.

„Erlassen Sie mir die Besuche im ‚Schwarzen Rößl‘,“ begann er, „sie sind mir unmöglich.“

„Thut mir leid, aber auf diese Besuche verzichte ich nicht, ich muß sogar um große Pünktlichkeit bitten. Abgemacht also!“ Er streckte Huns die schmutzige Hand hin. Ich will Sie nicht länger aufhalten. – Warum schlagen Sie nicht ein? Die Hand färbt nicht ab! Mein Gott, wenn alle Spitzbubenhände Farbe lassen würden, wir gingent alle umher wie die Färber. Uebrigens ist der Humbug mit dem Handschlag auch nicht nöthig, solche Sachen halten sich von selbst. Aber noch etwas – haben Sie vielleicht die erste Monatsrate bei sich? Ich meine nur – es eilt nicht gerade –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_636.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2022)