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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

von besonderem Werthe gewesen, aus den Namen auf ihre Nation einen Schluß zu ziehen. Nur das eine dürfte mit Sicherheit angenommen werden, daß es nicht eingeborene Aegypter, sondern griechische Maler waren, welche sich im alten Lande der Pharaonen niedergelassen hatten und durch die malende Kunst ihr liebes Brot verdienten. Seitdem Alexander der Große Aegypten im Jahre 332 v. Chr. erobert und die neugegründete Residenz Alexandrien zu einem Mittelpunkt des Welthandels und der griechischen Bildung gemacht hatte, strömten die Fremden, und an ihrer Spitze Macedonier und Griechen, in das geöffnete Nilthal ein, um aus dem Handel und sonstigen Beschäftigungen ihren gewinnbringenden Vortheil zu ziehen. Dazu kam, daß die Verwaltung an den Hauptsitzen des Landes nach griechischem Muster eingerichtet und als amtliche Schriftsprache das Griechische eingeführt war, ganz wie im modernen Aegypten früher das Türkische, später das Französische und endlich das Englische als Beamtensprache diente und das letztere bis zur Stunde noch dient.

Die Landschaft des Fayum, an deren Ostseite, auf den Rändern der Wüste, die Totenstädte zum größten Theile gelegen waren, gehörte zu denjenigen Gegenden Aegyptens, in welchen sich das Griechenthum besonders breit gemacht hatte. Der Mörissee und ein weit verzweigtes Kanalsystem mit Hafenstellen und eingedämmten Teichen, dazu ein mildes gemäßigtes Klima hatten von alters her dieser der Wüste abgewonnenen und künstlich bewässerten Oase besondere Fruchtbarkeit verliehen, die in der heutigen Bezeichnung des Fayum als eines „Rosengartens von Aegypten“ ihr neuzeitliches Spiegelbild findet.

Der erste Ptolemäer hatte der alten Hauptstadt der Provinz, der sogenannten „Krokodilstadt“, nach seiner Schwester und Gemahlin den Namen Arsinoë verliehen und in der griechischen Neustadt eine Kultusstätte der irdischen Königin als Göttin gestiftet. Arsinoë, die junge Stadt, baute sich im Süden der älteren auf und besaß eine Reihe nach griechischen Mustern aufgeführter Gebäude für öffentliche Zwecke und Versammlungen. Die Aegypter traten den Griechen gegenüber in den Hintergrund und bestanden neben einer heruntergekommenen und verarmten Priesterkaste eigentlich nur noch aus Handwerkern, Bauern und Dienern. Der Grieche spielte den Herrn und den Träger einer jungen, aber reich entwickelten Intelligenz. Der altägyptische Geist hatte sich abgelebt und führte neben dem neuen aufsteigenden Genius ein Scheindasein, in welchem der Kult thierköpfiger Götter, die geheimnißvollen Mysterien im Zusammenhang mit dem Dienste der heiligen Dreiheit Osiris, Isis und Horus und die Gebräuche bei der feierlichen Bestattung der Toten die lebenswarmen griechischen Anschauungen über das Götterwesen ersetzten.

Daß die griechische Kunst und der griechische Künstler bei der Gründung der Neustadt Arsinoë, in deren Ruinen ich tagelang Ausgrabungen leitete, ohne auf andere Gegenstände als solche mit griechischem Stempel zu stoßen, ihre Rechnung inmitten der gemischten Bevölkerung fanden, darf als feststehend bezeichnet werden. Selbst dem eingeborenen, in dem Glauben seiner Väter aufgewachsenen und erzogenen Aegypter leistete sie ihre Dienste, um nicht nur sein Leben in dieser, sondern auch in jener Welt zu verschönen. Der Maler trat in den Dienst der ägyptischen Leichenbestattung und schuf unbewußt eine neue Epoche der Mumienbehandlung, die zu den merkwürdigsten Beobachtungen Anlaß giebt.

Es war nämlich altherkömmlich, die einbalsamierte Leiche mit regelrecht gelegten Binden zu umwickeln und sie mit einer bemalten Maske aus einer kartonartigen Masse zu schmücken, welche das Gesicht des Toten männlichen oder weiblichen Geschlechtes darzustellen bestimmt war. Die alte Sitte währte bis in die Ptolemäerzeiten hinein, in welchen bereits an Stelle der einfachen Malerei eine Vergoldung des Gesichtes trat. Unter der römischen Herrschaft nahm diese Gewohnheit im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in ausgedehntem Maßstab zu, denn nicht nur das Gesicht, sondern die ganze von griechischer Künstlerhand angefertigte und bis zur Brust hin verlängerte Maske wurde mit einer blendenden Vergoldung überzogen. Man fügte selbst Arme und Hände hinzu, wobei man die Halsketten, Ohrringe, Armspangen und Ringe eines Frauenleibes in plastischer Weise wiedergab und in die eine Hand einen Rosenstrauß steckte, die Rosen ausnahmslos mitten in der übrigen Vergoldung durch rothe Bemalung andeutend.

Ungefähr um die Mitte des zweiten Jahrhunderts verschwand die vergoldete Maske, und ihre Stelle ward durch ein auf Holz gemaltes Porträtbild der verstorbenen Person ersetzt. Es lag oben auf den Binden, welche um den Kopf gewickelt waren, und wurde durch rahmenartig gelegte und zusammengekniffene Zeugstreifen an seinem Platze befestigt.

Die in dieser Weise hergestellte Porträtmumie wurde jedoch nicht sofort der Grabstätte übergeben, sondern nach älterer ägyptischer Sitte zunächst im eigenen Hause, also mitten unter den Ueberlebenden, aufrecht an eine Wand gestellt, so daß die Nachkommen täglich Gelegenheit fanden, ihre im Tode vorangegangenen Familienmitglieder von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Die Zeit verwischte allmählich den Schmerz und damit die ursprüngliche Sorge um die gute Erhaltung der Mumiengesellschaft mitten in einem Familiensitze, besonders wenn jene sich ansehnlich vermehrt hatte oder älteren Jahrgängen angehörte. Die Mumien kamen, wie man zu sagen pflegt, in die Rumpelkammer oder selbst in einen wenig geschützten Hofraum, allen Unbilden von Menschenhand und Witterungsverhältnissen bis zu Regengüssen hin ausgesetzt. Bei zufälligen oder muthwilligen Verstümmelungen fühlte wohl dieses oder jenes lebende Familienmitglied ein stilles Erbarmen und führte selbständige Restaurationen der Bilder aus, die jedoch nichts weniger als künstlerische Leistungen waren und noch heutigen Tages an den aufgefundenen Mumien sichtbar sind. Am Ende wurde im Familienrath der Beschluß gefaßt, den angesammelten Mumienbestand nach der nächst gelegenen Totenstadt überzuführen, wobei man es nicht an Kränzen, Blumengewinden, Totenkrügen und sonstigen Beigaben fehlen ließ. Die Mumien wurden in einem einfachen Familiengrab oder in einer oft nur einen Fuß unter der Oberfläche liegenden Grube beigesetzt, ohne Sarg oder sonstige schützende Umhüllung, und darauf mit dem Sande der Wüste bedeckt. Das Geschäft der Bestattung hatte damit sein Ende erreicht.

Zu den zahlreichen Totenstädten im Fayum gehörte auch diejenige, welche sich in unmittelbarer Nähe des Josephskanales nördlich von der Ziegelpyramide von Hawara befindet. Die letztere bildet das ehemalige Grabmal eines uralten Königs Namens Amenemhê III. (um 2300 v. Chr.), dem zugleich die Anlage des südlich davon gelegenen und bis auf wenige Spuren verschwundenen Labyrinthes und die Gründung des künstlich ausgegrabenen Mörissees, ein wenig landeinwärts nach der Stadt Arsinoë hin, zugeschrieben wird. Die erwähnte Totenstadt, welche einen Flächeninhalt von ungefähr 50 000 Metern ins Geviert umfaßte, beherbergt Tausende von Leichen, die von der Mitte des dritten Jahrtausends an bis gegen das Ende der heidnischen Zeiten der ägyptischen Geschichte auf diesem einsamen Plateau der Wüste ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Die ältesten Gräber, aus tiefen in den Kalkstein der Wüste gebahnten Felsenschachten bestehend, sind fast durchweg von den Späteren ausgeplündert worden, so daß sie für die heutige Forschung so gut wie keine Ausbeute geboten haben. Zu den jüngsten neben ihnen bestatteten Geschlechtern gehören jene Mumien mit bunten und vergoldeten Masken sowie jene mit Porträtbildern, von denen ich oben ausführlicher gesprochen habe. Es darf angenommen werden, daß sie der Mehrzahl nach aus der Hauptstadt Arsinoë und aus der Umgegend derselben herrührten, ebenso aber auch, daß sie von gut bürgerlicher Herkunft gewesen sein müssen. Auf alle Fälle hatten die darin verpuppten Leichen den Künstlern und Handwerkern reichliche Beschäftigung geboten, denn nicht nur das Malen der Bilder, sondern auch das Weben der unendlich langen Leinwandstreifen für die Umhüllung der einbalsamierten Körper erforderte einen gewissen Aufwand von geschulten Kräften.

Meiner Absicht, auf dem Totenfelde persönlich Ausgrabungen zu leiten, lag die Hoffnung zu Grunde, möglicherweise auf unerwartete wissenschaftlich werthvolle Funde zu stoßen, denn auch in diesen Dingen hängt alles vom glücklichen Zufall ab.

Als ich mich im April dieses Jahres an Ort und Stelle begab, um die Oertlichkeiten näher in Augenschein zu nehmen, fand ich mich in meinen Voraussetzungen ziemlich enttäuscht. Von einer systematischen Ausgrabung konnte kaum die Rede sein. Der Boden zeigte sich nach allen Richtungen hin durchwühlt, Hügel erhob sich neben Hügel, und Knochen und zersetzte Mumienbinden lagen zerstreut umher oder sahen aus dem Erdreich nach allen Richtungen hin hervor. Aus dem Anblick allein schon ließ sich der richtige Schluß ziehen, daß die Totenstadt in älteren und jüngeren Zeiten

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