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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

demnächst zu einem verhältnißmäßig sehr billigen Preise in den Handel kommen solle, wenn ich nicht irre, für 200 Mark. Sollte sich dies bewahrheiten, so würde der Phonograph zweifellos sehr bald überall hin den Weg finden.

Neben dem bisherigen sehr hohen Preise war allerdings auch die Empfindlichkeit des Instrumentes ein Hemmniß für dessen allgemeinere Verbreitung. Es wird auch voraussichtlich späterhin für die Aufnahme von Stimmen, Deklamationen, Musikaufführungen etc. ein besonders darauf eingeübter Techniker nöthig bleiben, und es wäre besser, wenn dies von den leitenden Geschäftskreisen unumwunden zugestanden würde. Es wird sich dann ein Verhältniß herausbilden wie das des Photographen zum Photographien sammelnden Publikum. Photographien kann eben auch in unserer Zeit der Liebhaberphotographen noch nicht jedermann, aber jeder schafft sich in Photographien eine Familiengalerie, eine Sammlung der schönsten Orte, welche er besucht hat oder an welche sich angenehme Erinnerungen für ihn knüpfen. So kann es auch späterhin mit den phonographischen Aufnahmen werden. Man wird sich neben den Bildnissen seiner Angehörigen ihre Stimmen aufbewahren, und wie man die körperliche Entwicklung seines Kindes durch die Jahre in den aufbewahrten Photographien verfolgt, so kann man auch die Stufenleiter der Entwicklung seiner sprachlichen und der damit unzertrennlich verbundenen geistigen Fähigkeiten festlegen. Und ebenso treu bewahrt das phonographische Archiv die Stimmen unserer verstorbenen Lieben. Auch mag man neben den Photographien von Künstlern, die uns einmal durch ihren deklamatorischen oder musikalischen Vortrag entzückten, die schönsten Stellen dieser Vorträge zu jederzeitiger Wiederholung bereit haben. Da nämlich Edison ein Verfahren erfunden hat, phonographische Originalwalzen beliebig zu vervielfältigen, so wird man Vorträge der berühmtesten Künstler wie beispielsweise der Patti, welche sich jede Note mit Gold aufwiegen läßt, für einen sehr geringen Preis käuflich erlangen können.

Ich stellte vorhin die phonographische Walze mit der Photographie in Parallele. Aber der Vergleich hinkt wie jeder. Die Photographie ist und bleibt etwas Totes, Starres und trotz ihrer Naturwahrheit dennoch stets Befremdendes. Der Phonograph aber ist voller Lebenswahrheit, es ist etwas wie eine Seele in ihm, es kommt eben ein lebendiger Hauch aus ihm hervor, Schwingungen, die unser Herz wiederbewegen.

Wenn man auch der Photographie dieses Leben einhauchen könnte! Dieser Gedanke war es, den Edison bei seiner neuesten Erfindung verfolgte.

Sein Kinetograph stellt die handelnden, singenden, sprechenden, musizierenden Personen in allen ihren Bewegungen mit vollkommener Naturtreue dar, und auch dieser Apparat kann zu beliebiger Zeit in Thätigkeit gesetzt werden, man kann zu jeder Zeit die Gestalt einer lieben Person sich lebend, sprechend wieder vor die Seele zaubern.

Die Erfindung ist nicht unbedingt neu. Die erste Annäherung daran finden wir in einem schon seit sehr langer Zeit bekannten Kinderspielzeug, dem sogenannten „Stroboskop“. Die einzelnen Phasen der Bewegung werden darin nebeneinander gestellt und durch einen in schneller Drehung vorüberziehenden schmalen Spalt nacheinander uns vor Augen gebracht. Die Bilder legen sich dann im Auge übereinander und bringen den Eindruck eines einzigen sich bewegenden Bildes hervor.

Seit die Photographie imstande ist, Augenblicksaufnahmen zu machen, ist das immerhin überraschende Instrument wesentlich vervollkommnet worden. Man sieht darin heute Pferde über Hindernisse springen oder andere Thiere in verschiedenen Gangarten an uns vorüberziehen, auch wohl ein Paar im Tanze sich umeinander drehen, oder andere periodisch wiederkehrende Bewegungen.

Der amerikanische Momentphotograph Muybridge hat ferner eine Vorrichtung erfunden, durch welche diese Bewegungen lebensgroß auf eine weiße Wand geworfen werden können. Er ließ vor einem Jahre in der „Urania“ Pferde an der Leinwand vorüber galoppieren; aber es waren immer nur die Silhouetten derselben.

Weiter brachte es in dieser Beziehung unser vortrefflicher Momentphotograph Ottomar Anschütz in seinem „Schnellseher“. Die Bilder erscheinen in demselben sehr klar in allen ihren Einzelzügen, aber auch er konnte nicht über eine ganz einfache, periodisch wiederkehrende Bewegung hinausgehen. Alle diese Bilder werden durch eine Batterie von gewöhnlich 12–24 photographischen Apparaten hergestellt, von denen jeder einen Bruchtheil einer Sekunde später als der vorhergehende eine Augenblicksaufnahme des betreffenden bewegten Gegenstandes macht. Die Glasplatten werden nun in dem Schnellseher in derselben Schnelligkeit nacheinander vor unseren Augen vorbeigeführt und dabei jede nur einen Augenblick lang durch das Aufblitzen einer sogenannten „Geißlerschen Röhre“ beleuchtet. Leider ist das Licht der letzteren nicht sehr stark, kann aber wegen der Besonderheit des Anschützschen Apparates durch eine andere Lichtquelle nicht ersetzt werden.

Kurz und gut, es traten von allen Seiten Schwierigkeiten auf, die Bewegungen von Menschen und Thieren in ihrer Lebenswahrheit getreu wiederzugeben. Die Versuchsapparate, welche bis jetzt hergestellt wurden, können deswegen etwa mit jenem ersten unvollkommenen Phonographen verglichen werden, welcher nur eine sehr getrübte Wiedergabe der Stimme oder der musikalischen Laute gestattete.

Edison hat nun in seinem Kinetographen auch zu jenem Zwecke den vollkommeneren Apparat gefunden. Er brach zu diesem Ende zunächst mit dem Prinzip der kreisenden Scheiben oder Trommeln und erzeugte auf einem unausgesetzt in nur einem einzigen photographischen Apparat mit großer Geschwindigkeit vorüberziehenden lichtempfindlichen Streifen nacheinander in jeder Sekunde etwa 40 Bilder des sich bewegenden Körpers; und zwar vermag er dieses Verfahren solange fortzusetzen als es beliebt wird. Die Wiedervereinigung der Bilder zu einer „lebenden“ Photographie geschieht in einem kleinen Apparat, der nicht mehr Raum einnimmt als eine der verschiedenen automatischen Verkaufsstellen, die man überall antrifft, und Edison gedenkt in der That, diese Apparate als Automaten in den Handel zu bringen, wie es Anschütz mit seinem „Schnellseher“ bereits gethan hat. Der Streifen zieht in dem Edisonschen Apparat mit der ursprünglichen Geschwindigkeit, welche bei der Aufnahme erforderlich war, vor einer dauernd brennenden Glühlampe vorüber.

Edison zeigte mir in dem einzigen derartigen Apparat, welcher bis dahin bestand, folgende Handlung: drei Schmiedegesellen bearbeiteten mit schweren Hämmern eine Eisenstange auf dem Ambos, welche der eine von ihnen gelegentlich umwendete oder aufhob. Nachdem das Eisen einen gewissen Bruchtheil einer Minute lang bearbeitet war, stellten die Arbeiter ihre Hämmer zur Erde, machten einige Schritte bis zu einem nahen Tische, auf welchem drei Gläser Bier standen; sie tranken dieses Bier aus, wischten sich den Mund, nahmen ihre Hämmer wieder zur Hand und arbeiteten weiter.

Diese ganze Handlung verfolgte man mit der größten Schärfe und Naturtreue in den transparenten Photographien, welche in wunderbarer Weise eben wirklich zu leben schienen. Alle Bewegungen der Kleider oder irgend andere Einzelheiten, die man in der Wirklichkeit an dieser Gruppe aus einer Entfernung von vielleicht 5 Metern hätte beobachten können, sah man auch hier.

Edison hat bereits eine beträchtliche Anzahl ähnlicher Bilderreihen aufgenommen. Jedoch scheint die Umwechslung einige Schwierigkeiten zu bereiten, weshalb er mir nur diese eine zeigen konnte.

Als ich ihm meine Verwunderung über die Einfachheit des Apparates aussprach, lächelte er und sagte, daß der Aufnahmeapparat, welchen er mir leider nicht zeigen könne, allerdings durchaus nicht einfach sei, und daß die mit ihm bewirkte Aufnahme einer Handlung, welche eine Dauer von fünf Minuten habe, vorläufig noch so etwas wie 20000 Mark Auslagen verursache. Alles das werde aber einmal später viel billiger herzustellen sein.

An sich liegen also heute keinerlei Schwierigkeiten mehr vor, jene Zukunftsphantasien zu verwirklichen, welche beispielsweise Pleßner in seiner Schrift „Ein Blick auf die großen Erfindungen des zwanzigsten Jahrhunderts“ wagte. Große geschichtliche Vorgänge, wie den Einzug siegreicher Truppen in die Hauptstadt, an der Spitze den Kaiser und die Feldherren mit blitzenden Waffen und über ihnen in der Luft die fliegenden Lorbeerkränze, welche ihnen die jubelnde Menge entgegenwirft, dazu diesen Jubel selbst und die schmetternden Siegesfanfaren, alles, das ganze ergreifende Bild des großen Augenblicks wird man lebendig für alle Zeiten festzuhalten imstande sein, so daß man nach Jahrzehnten, ja

nach Jahrhunderten vielleicht, wenn jener Herrscher selbst mit allen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_626.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)