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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Schutz für die Zwergtrappe! Als im Jahre 1875 die in Asien und Südeuropa heimische Zwergtrappe plötzlich in unseren deutschen Fluren erschien, erließ ein begeisterter Vogelfreund, der verstorbene Pfarrer Thienemann zu Gangloffsömmern in Thüringen einen Aufruf zu ihrem Schutze, zuerst in der Fachzeitschrift „Die gefiederte Welt“ und sodann namentlich auch in der „Gartenlaube“. Dank dieser Fürsorge hat jener gefiederte Fremdling in Thüringen eine neue Heimstätte gefunden und sich soweit eingebürgert, daß dort in jedem Jahre Bruten aufkommen und in gutem Gedeihen beobachtet werden können. Und noch im Spätherbst 1891 teilte mir Präparator Otto Bock in Berlin mit, daß ihm Zwergtrappen, welche auf der Jagd beiläufig geschossen waren, nun auch aus mehreren anderen Gegenden Deutschlands, so aus der nächsten Umgebung von Berlin und aus der Mark Brandenburg, aus Schlesien, ferner aus verschiedenen Strichen Oesterreich-Ungarns zum Ausstopfen zugesandt worden seien. Es ergiebt sich hieraus der Beweis, daß die Zwergtrappe nicht bloß in Thüringen heimisch geworden ist, sondern auch anderweit auftritt, und daß diese schönen, anmuthigen und nützlichen Vögel sich wohl über unser ganzes deutsches Vaterland und Mitteleuropa überhaupt verbreiten könnten.

Angesichts dieser Thatsache wende ich mich nun an alle Jäger und Jagdliebhaber, an alle Sonntagsjäger mit der dringenden Bitte, sie möchten sich die Schonung und Hegung dieses Vogels angelegen sein lassen, soweit es irgend möglich ist.

Es ist ja eine leidige Thatsache, daß, wer einmal eine Flinte unter dem Arme trägt, gar zu leicht der Versuchung unterliegt, jeden ihm unbekannten Vogel herunterzuschießen, und wäre es auch nur aus Neugierde, bloß, um ihn sich anzusehen und ihn dann fortzuwerfen. Würde es nicht dem Menschenherzen ungleich mehr Ehre machen und zugleich dem Menschenvortheil angemessener sein, wenn man solche fremden Vögel zunächst schonen und hegen möchte, um sie anzulocken und wenn möglich heimisch werden zu lassen und sie dann erst, wenn sie sich eingebürgert und vermehrt haben, als Wildbret auszunutzen? Zum Kennenlernen würde sich inzwischen immerhin Gelegenheit genug finden. Wenn nichts anderes, so verhelfen uns dazu die leider zahlreichen Unglücksfälle der Vögel, für welche Leuchtthürme, Telegraphen- und Telephondrähte nur zu oft verhängnißvoll werden. und nicht bloß für die Zwergtrappe möchte ich mich verwenden, auch für die anderen Gäste, die von Zeit zu Zeit auf unseren Fluren auftauchen: Steppenhuhn, Tannenhäher, Rosenstar, fremde Drosseln, Kreuzschnäbel u. a. m.

Also nochmals. Schutz und Schonung für sie alle! Auch die etwa schädlichen unter ihnen sollten nur von Sachverständigen abgeschossen werden. Dr. Karl Ruß.     

Einquartierung. (Zu dem Bilde S. 584 und 585.) Mit getheilten Empfindungen hat der Bauer den unfreiwilligen Gästen entgegengesehen, welche ihm das Manöver auf seinen Hof führt. Die Hopfenernte ist da und sie braucht viele Hände – da hat man keine Zeit, sich um Fremde zu kümmern, Frau und Kinder, Knechte und Mägde, alles muß mit anfassen, damit der reiche Segen rasch geborgen werde. Nun, so schlimm, wie er sich’s ausgemalt, verläuft die Sache nicht: die Leute nehmen vorlieb – und sobald sie des Dienstes ledig sind, setzen sie sich behaglich zu dem Quartierwirth und seinem Gesinde, um mitzuhelfen am emsigen Werke des „Hopfenzopfens“. Freilich, ganz ohne Störung geht es doch nicht ab: der schmucke Unteroffizier im Hintergrund unseres Bildes hat mit Kennerblicken von den Dirnen des Hofs die sauberste herausgefunden – und er hat seinen Kopf drauf gesetzt, von ihr einen Kuß zu kriegen, mit List oder Gewalt. Allzuviel Widerstand scheint ihm auch nicht entgegengesetzt zu werden; die übrigen schauen belustigt auf das fröhliche Ringen der beiden, und nur dem jungen Knechte ist nicht ganz wohl bei der Sache. Die Wünsche theilt er wohl, doch nicht die Keckheit seines Nebenbuhlers, und nur die gegründete Aussicht auf dessen rasches Verschwinden vermag ihn soweit zu trösten, daß er mit sauersüßem Gesicht „Fünfe grad’ sein läßt“. Bei der Bäurin hat sich der am meisten eingeschmeichelt, der sich als Kinderfreund ihres Kleinen angenommen und dessen Zutrauen durch willige Kindsmagddienste erobert hat. Sorgsam giebt er ihm Löffel für Löffel sein Abendsüppchen ein unter Beihilfe des älteren Schwesterchens – im Augenblick aber nehmen die im Hintergrund sich abspielenden Ereignisse nicht bloß seine, sondern auch der Bäurin Aufmerksamkeit allzustark in Anspruch, und der kleine Pfiffikus benutzt die Gelegenheit, einen längst gehegten Plan zur schleunigen Ausführung zu bringen und mit dem Fingerchen in den Löffel zu tippen.

Mark Twain und die nordamerikanischen Humoristen. Die Schriftsteller Nordamerikas sind, wie auch ein großer Theil der berühmtesten Staatsmänner dieses Landes, aus dem praktischen Leben hervorgegangen und haben sich oft von ganz untergeordneten Stellungen zu anerkannter Bedeutung emporgeschwungen. Daher kommt es, daß ihre Werke frisch aus dem Leben schöpfen und durchaus nicht angekränkelt sind von des Gedankens Blässe. Ihr Humor mag uns bisweilen etwas breitspurig, etwas handgreiflich erscheinen, doch hat er gleichsam eine sehr gesunde, von der frischen Luft gebräunte Gesichtsfarbe. Das gilt besonders auch von Mark Twain, der unter den amerikanischen Humoristen eine hervorragende Stelle einnimmt. Wenn man die Lebensbeschreibung eines deutschen Dichters liest, so erfährt man zuerst, welche Schulen, welche Universitäten er besucht hat. Davon ist bei den Amerikanern meist gar nicht die Rede. Mark Twain hat keine Prüfungsdiplome aufzuweisen; er ist als Samuel L. Clemens – den Namen „Mark Twain“ hat er sich erst als Schriftsteller beigelegt – am 30. November 1835 in dem Staate Florida geboren, kam aber bald in das Städtchen Hannibal am Mississippi, wo sein Vater starb.

Mark Twain wurde nun Lehrling in einer Buchdruckerei und machte seine Lehr- und Wanderjahre durch als Setzer und Drucker; dann aber zog ihn der heimathliche Strom mächtig an; er wurde mit siebzehn Jahren Lotse auf dem Mississippi und seine Erlebnisse auf dem Riesenstrom hat er in seiner Schrift. „Leben auf dem Mississippi“ geschildert. Mark Twain kannte den Strom gleichsam inwendig und auswendig und hatte das erstaunliche Gedächtniß, das ein Lotse haben muß, allerdings nur in den Dingen, in denen es täglich geübt wird. Jede geringfügige Einzelheit muß der Lotse mit unbedingter Genauigkeit kennen, und zwar an einem Strome, der zwölfhundert Meilen lang ist! „Ich glaube,“ sagt Mark Twain, „das Gedächtniß eines Lotsen ist so ziemlich das Wunderbarste in der Welt. Das Alte und Neue Testament auswendig wissen und vorwärts und rückwärts fließend hersagen oder irgendwo in der Bibel aufs Gerathewohl anfangen und sie nach beiden Richtungen hersagen zu können, ohne je zu stocken oder einen Irrthum zu begehen, ist kein übertrieben großes Maß von Wissen, verglichen mit dem aufgespeicherten Wissen eines Lotsen vom Mississippi und seiner merkwürdigen Leichtigkeit in der Behandlung desselben.“ Hierzu kommt, daß der Strom oft seine Ufer verwüstet, sich neue Wege bahnt, neue Inseln bildet. Von einem Lotsen, der sich in diese unberechenbaren Launen des Riesenstroms finden soll, wird daher erstaunlich viel verlangt. Dafür ist er auch die angesehenste Person auf dem Schiffe, der Kapitän muß sich nach ihm richten und nicht umgekehrt. Auch das Gehalt ist sehr bedeutend: ein Steuermann erhält hundertfünfzig bis zweihundertfünfzig Dollar im Monat und alles frei.

Wie Mark Twain nun den Mississippi mit seinen Inseln, Ufervorsprüngen, seinen Sandriffen und Windriffen, den weißen und dunkeln Baumstämmen und hundert Merkzeichen der Fluth und des Wetters lesen lernte, das berichtet er in jener ausführlichen Schilderung seiner Lehrjahre, und eine Ergänzung derselben findet sich in der Erzählung „Huckleberry Finn“, in welcher der Held mit einem flüchtigen Neger zusammen die Mississippireise macht und die merkwürdigsten Abenteuer auf Flößen und Booten, bei Tag und Nacht, in Windstille und Sturm erlebt und schildert, unter denen besonders die Robinsonaden auf den mit Wald bewachsenen Inseln des Stroms unsre Theilnahme erregen. Mark Twain hatte die Stellung eines Lotsen erreicht, da kam der Krieg, Handel und Verkehr stockten; der Schiffer mußte sich einen andern Nahrungszweig suchen, wurde Silbergräber in Nevada, dann Zeitungsreporter, dann Goldgräber in Kalifornien, dann Berichterstatter in San Francisko und später auf den Sandwichinseln, dann Wanderkorrespondent in Europa. In der Sammlung „Unterwegs und daheim“ sind, außer einigen höchst eigenartigen Humoresken wie z. B. „Der gestohlene weiße Elefant“, in welcher die nordamerikanische Polizei in grausamer Weise verspottet wird, auch allerlei Reisebilder aus Europa enthalten, unter denen eine „Besteigung des Rigi mit Hindernissen“ am ergötzlichsten ist, während der Aufsatz „Die Schrecken der deutschen Sprache“ Bemerkungen enthält, die für uns Deutsche wenig angenehm und schmeichelhaft sind. Mark Twain nennt die deutsche Sprache verzwickt, zu schlüpfrig und aalglatt, um sie zu greifen. „Man treibt darin umher wie in einem brandenden Meere, bald hierhin, bald dorthin, in der elendesten Hilflosigkeit, und wenn man einmal glaubt, eine Regel gefunden zu haben, welche festen Grund bietet, um einen Augenblick in dem allgemeinen Wirrwarr und Tumult der zehn Redetheile auszuruhen, so vernimmt man in der Grammatik: ‚Der Schüler gebe acht auf folgende Ausnahmen‘. Ein Blick auf diese zeigt ihm, daß deren mehr sind als Beispiele für die Regel selbst.“ Er beschwert sich über die männlichen, weiblichen und sächlichen Artikel, in deren Anwendung gar kein Sinn und kein System sei, über die Wortungeheuer bei Zusammensetzungen und kommt zum Schlusse: „Nach meiner Erfahrung braucht man zum Erlernen des Englischen 30 Stunden, des Französischen 30 Tage, des Deutschen 30 Jahre.“

Mark Twain hat seinen festen Wohnsitz in Hartford im Staate Connecticut, den er nur verläßt, um Vorlesungen in nordamerikanischen Städten zu halten oder ab und zu eine größere Reise zu machen. Im Sommer lebt er mit seiner Frau und seinen drei kleinen Töchtern in Elmira (Staat New-York), wo die Familie ein Sommerhaus bewohnt, das auf einer Bergspitze 600 Fuß über dem Thalgrund steht. Das Gebäude ist nach dem Muster der Lotsenbehausung eines Mississippidampfers fast durchweg aus Glas erbaut. Der Sommer ist Mark Twains Arbeitszeit, hier lebt er abgeschlossen von allem Verkehr mit der Außenwelt. Im September kehrt er nach Hartford zurück, und dort versammelt er zahlreiche litterarische Freunde um sich; er ist ein leidenschaftlicher Billardspieler, Radfahrer, ja er ist auch ein Erfinder. In ganz Amerika beliebt sind seine Taschenbücher zum Aufzeichnen von Notizen und Einfällen, „Scrap-book“ und „Note-book“. Er fand niemals ihm passende derartige Bücher und ließ sich solche daher nach eigenen Angaben herstellen. Alle vorhandenen Notizbücher pflegten an der falschen Stelle aufzuklappen; sein Notizbuch schlägt sich vermöge einer einfachen Vorrichtung stets an der rechten Stelle auf, an der zuletzt beschriebenen Seite. Ferner hat sich Mark Twain eine Weste erdacht, welche die Hosenträger überflüssig macht, ein Hemd mit Kragen und Manschetten, in denen man keinerlei Knöpfe braucht, einen immerwährenden Kalender, an die Uhr zu hängen, und ein Brettspiel, eine Art Geschichtslotto, durch das sich die Jahreszahlen dem Gedächtniß einprägen sollen.

Mark Twain hat sich durch seine ausgeprägte Eigenart auch in der für warmherzigen Humor so empfänglichen deutschen Leserwelt einen guten Boden erobert, und viele seiner Werke sind in deutschen Uebersetzungen vorhanden. Auch wo seine Muse sich für unser Gefühl etwas allzu ausgelassen gebärdet, verfällt er doch selten in seichtes Witzeln und wahrt stets einen tieferen Sinn. †      

Am Schächenbach. (Zu dem Bilde S. 597.) Der durch großartige Naturschönheit ausgezeichnete Schächenbach im schweizer Kanton Uri, der, vom Klausenpasse herab das wildromantische Schächenthal durchrauschend, bei Altdorf in die Reuß mündet, ruft zugleich dem Freunde der Dichtung die Sage vom Schützen Tell ins Gedächtniß. Nicht zufrieden, diese mit der Entstehungsgeschichte der eidgenössischen Bünde verkettet zu haben, hat der dichtende Volksgeist, allerdings erst in sehr später Zeit, den Heros der Schweizerfreiheit bei der Rettung eines Kindes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_610.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)