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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ausländischen Fachschulen. Wer das Werk durchblättert, wird auf jeder Seite der Originalität des Verfassers begegnen – zumal in den Kapiteln, welche von der Sorge für einen tüchtigen, akademischen Nachwuchs handeln. „Ja, immer gleich begabte, gleich erfolgreich wirkende Kinder zu erzeugen, dazu hat die Physiologie die Mittel und Wege noch nicht gezeigt, ebensowenig, wie die hervorragendsten Pädagogen bedeutende Menschen nach bestimmten Plänen heranzuziehen vermögen.“

Wenn man als Kriterium für einen akademischen Lehrer seine universelle Bildung, seinen Geist und Witz ansieht, so können wir mit Billroth von Billroth schreiben: „Beschäftigen wir uns mit den starken Magneten, denen alles von nah und fern zufliegt, so darf man behaupten, daß die großen Naturforscher und Aerzte immer etwas Schwärmerisches, Phantastisches, zum Universellen Hindrängendes, daß sie meist auch einen Hang zum Künstlerischen hatten, oft nicht selten zugleich Dichter, Maler, Musiker waren, und daß sie in ihrer ganzen Erscheinung, so verschieden sie auch sein mochten, für die Jugend etwas unüberwindlich Anziehendes, Priesterliches, Dämonisches hatten.“

Billroth ist ein begeisterter Jünger der edlen Musica. Brahms rechnet er zu seinen besten Freunden, und in seinen Salons in der Residenzstadt, sowie seinem herrlichen Landhaus am Wolfgangsee weilen gern und oft die hervorragendsten Meister in dem Reiche der Töne.

„In dem kunstsinnigen Wien,“ schreibt Czerny, „ist der Norddeutsche Billroth eine der populärsten Persönlichkeiten geworden durch den Reiz seines genialen, für alles Edle begeisterten Wesens, durch die liebevolle Sorgfalt, welche er seinen Klienten, gleichgültig ob Hoch oder Niedrig, widmet, und durch die patriotische Hingebung, welche er stets seiner neuen Heimath [be]wiesen hat.“

Was Billroth bekannte, als er mit dem heißesten nationalen Empfinden in den Krieg von 1870 zog, daß niemals das Sakrament der Humanität in ärztlicher Pflicht dem verwundeten Feinde gegenüber von ihm vergessen werden würde, hat er auch den Tausenden, die seine Schüler gewesen sind, eingeflößt, die lauterste Humanität am Krankenbette. Er hat sie täglich durch mannigfaltiges Beispiel begreifen gelehrt, daß nur der humane Mensch ein guter Arzt sein kann.

Ein schönes Denkmal dieser seiner Bestrebungen für das Wohl und die Pflege der Kranken ist die Stiftung des Rudolfinerhauses in Unterdöbling bei Wien. Dasselbe soll der Ausbildung tüchtig und gründlich in ihrem Fache geschulter Wärterinnen dienen. Die hohe Bedeutung der Krankenpflege kann nicht eingehender und besser geschildert werden, als Billroth das in seinem Buche „Die Krankenpflege im Hause und im Hospital“ gethan hat. Die Nothwendigkeit einer Pflegerinnenschule wird hier in das richtige Licht gestellt und treffend hervorgehoben, daß eine solche in einer großen Stadt mit vorwiegend großen Hospitälern nur zur gedeihlichen Entwicklung kommen kann, wenn sie mit einem eigens dazu bestimmten Krankenhause verbunden ist. Mit seltener Energie und unermüdlichem Eifer hat Billroth ein solches in dem Rudolfinerhause für die Frauen und Mädchen geschaffen, welche die Krankenpflege zu ihrem Lebensberufe gewählt haben. Schon wenige Jahre nach Eröffnung desselben konnte er schreiben: „Die gute Pflege, welche den in der Anstalt aufgenommenen Kranken zu theil wird, ist einer der Umstände, die den Ruf des Rudolfinerhauses in immer weitere Kreise tragen, den Zudrang Hilfesuchender vermehren und so wieder zum Gedeihen der Anstalt beitragen.“

Es hat nicht fehlen können, daß Billroths Leistungen die Bewunderung der Zeitgenossen und eine Häufung von Ehren aller Art ihm erwarben. Sein Kaiser ernannte ihn zum Mitglied des österreichischen Herrenhauses und fast alle Fürsten Europas haben sich bemüht, seine Brust mit Orden zu schmücken.

Wohl uns und ihm, daß er noch mitten in seiner Arbeitskraft und seiner Thätigkeit steht, daß überall dort, wo wissenschaftliche Chirurgie und humane Krankenpflege getrieben wird, der Name Billroth obenan steht, und auf der zweiten Seite wieder Billroth und so fort immer wieder Billroth.

Zu Ende mit seinen Schöpfungen und Strebungen ist er noch lange nicht. Im Augenblicke sucht er den Wiener Aerzten ein Vereinshaus zu gründen und zu bauen. Für ihn „gibt’s ka Ruh’“, wie der Wiener sagt.


Blätter und Blüthen

Er kommt aus dem Zuchthaus! Wer weiß es nicht, welch ein fürchterlicher Bann auf dem Haupte dessen lastet, von dem diese Worte gelten?

Gemieden, ausgestoßen, geächtet – losgerissen von Freundschaft und Verwandtschaft – meist mit kargen Mitteln steht er da in der Welt, die auch ihm fremd geworden. Er schaut sich um nach einem Rettungsanker. Er will arbeiten. Aber wer giebt ihm zu arbeiten? Wo sind die wenigen Vorurtheilslosen, die es wagen, mit dem entlassenen Sträfling einen Versuch zu machen? Er geht daran, Umfrage zu halten. „Wo standen Sie zuletzt in Arbeit?“ – die Frage kehrt überall wieder – und ein schamvolles Schweigen ist die beredte Antwort. Achselzuckend bedauert der vorsichtige Arbeitgeber.

Wir brauchen das Bild nicht weiter auszuführen. Genug, daß das Ende meist eben das eine ist – die Rückkehr hinter jene finsteren Kerkermauern, die dem Elenden fast als eine Zuflucht erscheinen müssen; genug, daß selbst aus dem reuigen Verbrecher schließlich ein schlechter Mensch wird, in dem auch das letzte Fünkchen Liebe zum Guten erlischt, um einer rasenden Lust am Bösen das Feld zu räumen.

Das sind die Erscheinungen, welche die „Vereine zur Fürsorge für entlassene Strafgefangene“ ins Leben gerufen haben; ausgehend von der „Philadelphia society for assisting distressed prisoners“, haben sie auch in Europa allenthalben Fuß gefaßt. Ihr Bestreben ist, die Entlassenen vor augenblicklicher Noth zu schützen, dann aber hauptsächlich, ihnen Arbeit, ihnen Gelegenheit zu schaffen, sich in den Augen ihrer Mitmenschen wieder ehrlich zu machen. Selbstverständlich bedarf es dazu großer Mittel, und leider fließen diese bei uns nicht eben reichlich.

Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Schweden, England, Frankreich, namentlich Nordamerika, wo derartigen Vereinen aus öffentlichen Kassen und von Privatleuten freigebige Spenden in steigendem Maße zu theil werden, denkt man in Deutschland noch viel zu wenig daran, welche Bedeutung es für das Gemeinwesen hat, wenn solche verlorenen Elemente der Bevölkerung wiedergewonnen, zu fleißigen nützlichen Gliedern der Gesellschaft werden.

Hier und da, das soll nicht geleugnet werden, sind ja üble Erfahrungen gemacht worden mit Anstellung von Strafentlassenen, ja mancher von ihnen scheint unverbesserlich. Dem gegenüber steht aber die Thatsache, daß unter ihnen nicht wenige sind, denen eine außergewöhnliche Thatkraft innewohnt, und die, nachdem es gelungen ist, sie zu einem geordneten Leben zurückzuführen, durch besondere Tüchtigkeit und persönliche Anhänglichkeit für das ihnen unter erschwerenden Umständen geschenkte Vertrauen zu danken bemüht sind. Sie fühlen offenbar, daß ihnen eines jener echten Liebeswerke widerfahren ist, die sich nach beiden Seiten als Wohlthat erweisen.

Wären nur die Ziele und Erfolge solcher Fürsorgevereine allgemeiner bekannt, so würden gewiß deren noch weit mehr gestiftet sein und die vorhandenen kräftiger unterstützt werden! Fast überall wurzeln aber noch gewisse Vorurtheile, deren Ausrottung dringend noth thut. Gilt es, Arme, Kranke, Gebrechliche, durch Naturereignisse Geschädigte zu unterstützen, so findet sich Mitleid in weiten Kreisen oder es kann doch leicht geweckt werden; Schenkungen, Vermächtnisse fließen reichlich. Wird aber um Hilfe für sittlich Versunkene geworben – welche doch noch viel elender und gefährdeter sind – so stößt man zumeist auf verschlossene Herzen und Hände. Viele meinen, da sei doch schwerlich zu helfen, auf alle Fälle das etwa Nothwendige nur Sache der Behörden. Manche reden sich wohl gar ein, daß sie an Unwürdige Gaben vergeuden, die weit besser auf unschuldig Hilfsbedürftige gewandt würden. Sie wissen nicht, daß jene Gesellschaften moralische Hebung der Gefangenen, Milderung der Noth von Entlassenen und deren Angehörigen sich zum Ziel gesetzt haben – und, wohl zu bemerken, beides keineswegs vergebens.

Nicht die Schärfe des Gesetzes abstumpfen wollen sie, sondern nur möglichst hindern, daß dieses härter treffe, als es in der Absicht der Gesetzgebung und im Interesse des Gemeinwohls liegt.

Sonnblickverein in Wien. Wie bekannt, unterhält die „Oesterreichische Gesellschaft für Meteorologie“ die höchste Wetterwarte Europas. Es besteht nämlich seit 1886 auf dem Gipfel des 3100 Meter hohen Sonnblick in den Hohen Tauern ein massiver Thurm, in dem sich nicht nur eine meteorologische Beobachtungsstation erster Klasse, sondern auch ein „Gelehrtenstübel“ befindet, das schon wiederholt Männern der Wissenschaft zu längerem Aufenthalt diente. So weilte z. B. hier im Februar 1888 Universitätsprofessor Dr. Pernter aus Wien drei Wochen lang, und die Herren Geitel und Elster aus Wolfenbüttel, bekannt durch ihre Untersuchungen über atmosphärische Elektricität, kehren seit 1890 allsommerlich auf der hohen Warte ein, um daselbst ihre wichtigen Untersuchungen fortzusetzen. An den Beobachtungsthurm ist das Zittelhaus des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins angebaut, das den Touristen Sommer und Winter offen steht und die höchste, das ganze Jahr hindurch bewirthschaftete alpine Unterkunft darstellt. Die Wetterwarte und das Schutzhaus in diesem für die Freunde des Hochgebirges und besonders die Wintertouristen so günstigen Zustande zu erhalten, bot bis zum Winter 1889/1890 keine Schwierigkeit. Denn bis dahin war sowohl das am Fuße des Sonnblicks befindliche Werkhaus des Rauriser Goldbergwerks, als auch das noch 800 Meter höher unmittelbar am Gletscher gelegene Knappenhaus das ganze Jahr hindurch bewohnt. Seither ist jedoch das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_576.jpg&oldid=- (Version vom 1.12.2022)