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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

erobert ward. 36 000 Hektar des Aetnabodens gehören der Rebe, und immer höher dringt sie in die zerbröckelte Lava und in die Flugasche hinein.

Der Boden ist unerschöpflich, seine Bewohner aber sind zäh und von eisernem Fleiße. Die Aetnabevölkerung wird gegenwärtig auf etwa 330 000 Seelen berechnet, die sich auf neununddreißig Gemeinden in fünfundsechzig Wohnorten vertheilen. Und so giebt es denn in der Welt keinen Berg, um den, im Verhältniß zu seiner Oberfläche, eine so dichte Bevölkerung gefunden wird.

Und sie bleibt trotz der viele Jahrhunderte alten Erfahrungen, die sie mit dem Dämon der Tiefe, der länderfressenden Lava gemacht hat und noch viele Jahrhunderte machen wird.

Die Aetnaausbrüche!

Der erste geschichtlich nachweisbare fand 476 v. Chr., der letzte vom 20. Mai bis 2. Juni des Jahres 1886 statt. In jedem Jahrhundert werden mehrere verzeichnet, so beispielsweise im 14. aus den Jahren 1329, 1333, 1381, dann im 15. aus den Jahren 1408, 1444, 1446, 1447. Von 1447 bis 1536 machte er eine große Pause, um sich zu sammeln; dann öffnete sich die Mittagsseite des Berges, und er gebar zwölf neue Krater, zwölf Ungethüme gleich dem Vater. Der fürchterlichste Ausbruch aber war der vom Jahre 1669. Seine Schrecken sind durch mündliche Ueberlieferung auf das heutige Geschlecht überkommen, seine Spuren werden nach vielen Jahrhunderten noch unverwischt sein. Der vernichtende Lavastrom entsprang dem Boden, auf dem heute die Monti Rossi stehen, er drang in einer Breite von vier Kilometern über die Ortschaften Belpasso, Mascalucia, Gravina, Nicolosi, S. Giovanni di Galermo herein, bis hinab in die Felder und Gärten von Catania, dessen Südwestseite er gänzlich zerstörte.

Der Aetnaausbruch vom Jahre 1669.
Nach einem gleichzeitigen Frescogemälde im Dome zu Catania.

Ein Frescobild aus demselben Jahre im Dome von Catania versucht, diesen schrecklichsten aller Ausbrüche darzustellen. Die Einwohnerschaft flüchtete.

Die Jahre 1702, 1727, 1732, 1735, 1747, 1755, 1766, 1780, 1783, 1787, 1792 sind wiederum Eruptionsjahre.

Und in unserem Jahrhundert fanden Ausbrüche statt 1811 und 1812, 1832, 1838, 1843, 1852 und 1865, welch letzterer mit sieben Thätigkeitsherden und einem vierzehn Kilometer langen Lavastrom, der fast zehn Millionen Kubikmeter Lavamasse absetzte, auftrat. 1866 bildeten sich sechzehn neue kleine Krater. Der Ausbruch von 1874 hatte nach der Meinung aller Aetnakenner nur den Boden für spätere Eruptionen vorbereitet, und da die von 1879 und die von 1883 auch nicht zur vollen Entwicklung kamen, so mußte Professor Silvestri, der Direktor des Aetnaobservatoriums, als Unglücksprophet auftreten und verkünden, daß die bedeutendere Explosion noch ausstehe.

Diese fand vom 20. Mai bis 2. Juni 1886 statt. Der Auswurf war beträchtlich: in zwei Tagen hatte die Lava 21/2 Quadratkilometer bedeckt, sie rückte gegen 18 Meter in der Stunde vor, überdeckte und zerstörte zahlreiche Wein- und Fruchtgärten; Nicolosi mußte geräumt werden … aber am 4. Juni nachts stand der Strom, kalt, starr, schwarz, mit hochgehobener Stirn, 300 Meter über dem Orte.

Der jetzige Ausbruch ward eingeleitet durch ziemlich heftige Erdstöße, die sich am 9. Juli in den Gemeinden Zaffarana, Nicolosi, Giarre, Mascali bemerkbar machten und die erschreckten Einwohner aus den Häusern trieben. Diese Erdstöße waren jedoch nicht die ersten Anzeichen vom Erwachen des Aetna. Heftige Erdbeben hatten das Vorgebirge Gargano auf der Ostküste der italienischen Halbinsel vom 20. April bis 22. Jubi d. J. heimgesucht und waren dann auf der von hier gerade nach dem Aetna führenden Linie durch Apulien gezogen, wo sie sämmtliche Seismographen (Erschütterungsmesser) der apulischen Observatorien in fortgesetzter Bewegung erhielten, bis sie am 7. Juli mit heftigen Erdstößen zu Canosa am alten Vulkan Vultur für die Halbinsel abschlossen, um auf Sicilien sich fortzusetzen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_572.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2020)