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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Lehen? Die Lehmwände weiß getüncht, das Dach geschindelt, kein schiefer Laden mehr, überall neue Bohlen und Bretter . . . das ganze Haus um ein doppeltes gewachsen, denn aus dem niederen Schuppen war ein Stall und eine Scheune geworden! Und das Rothe im Garten ... was war denn das? Herr Gott, das waren ja zwei grasende Kühe!

Wolfrat wurde bleich und zitterte. Jetzt wußte er, wie es stand. Sein Lehen war an einen anderen gefallen, der sich das Nestlein schön warm und sauber gerichtet hatte!

Taumelnden Ganges folgte er der Straße. Da sah er das Totenbrett seines Kindes.

„Schau, das hat er doch stehen lassen!“

Aber schief stand es, als wär’ es von einem Wagenrad gestreift worden. Wolfrat richtete es gerade und stampfte den Rasen fest, in dem es stak.

„Mariele!“

Er starrte die Zeichen des Namens an, von denen der Regen fast die ganze Farbe gewaschen hatte. Dann ging er mit hängendem Kopfe weiter. Er machte einen Umweg, um nicht am Sudhaus vorüber zu müssen. Nun stand er am Fuß des Nonnberges, vor der Gartenmauer des Klösterleins, und zog den Glockenstrang. Eine dienende Schwester öffnete.

„Was willst Du?“

„Ist die Seph’ noch da . . . die Polzer-Seph’? ... Ich möcht’ reden mit ihr.“

Die Schwester nickte und schloß die Thür; er hörte sie auf dem knirschenden Kies davongehen. Nach einer Weile näherten sich langsame Schritte, und Seph’ erschien auf der Schwelle. Sie erblaßte vor Schreck und Freude. Wortlos reichten sie sich die zitternden Hände und sahen sich an, mit Zähren in den Augen.

Endlich athmete Sepha tief auf. „Grüß Dich Gott, Polzer!“

„Grüß Dich halt Gott auch, Seph’!“

„Weil Du nur wieder da bist! Mein Gott, ist das eine schieche Zeit gewesen!“

„Gelt, ja!“

Er zog sie sanft von der Thür weg; der Mauer zu Füßen setzten sie sich auf den welken Rasen und ließen die Füße in den Straßengraben hängen. Sie schaute ihn mit kummervollen Blicken an. „Hast denn auch völlig den Gesund wieder?“

„Wohl wohl ... bis auf den da halt!“ Er streifte mit einem Blick seinen lahmen Arm. „Der wird auch nimmer anders ... den muß ich schon haben!“

Ein Schauer rüttelte ihre Schultern, als sie mit den Fingern über den schlotternden Aermel streifte und den leeren Knochen fühlte. Eine stille Weile verrann.

„Aber Du?“ sagte er. „Wie geht’s denn Dir? Ich mein’, Du thust auch noch ein lützel blasselen?“

„Da mußt keine Sorg’ haben. Ich bin lang wieder richtig beinander und kann wieder schaffen wie eh’. Aber jetzt halt ... weißt, ich schau nur so aus, weil ... weil halt ...“ Sie wurde roth. „Merkst es denn nicht?“

Er warf einen Blick über ihre Gestalt. „Seph’! Seph’! O du lieber Herrgott!“ stammelte er und drückte sie mit dem zitternden Arm an seine Brust. So saßen sie lange schweigend und starrten ziellos in den schimmernden Morgen.

„Jetzt kommt’s mir erst doppelt schwer an,“ murmelte er.

„Das wird wohl ein Schmerzenskindl sein . . . das arme Würml.“

„Und der Bub’? Sag’, was macht denn der Bub’?“

Da huschte ein Lächeln über ihre Züge. „Den wirst schier nimmer kennen! Wie der ausschaut! Wie’s helle Leben! Und gut hat er’s. Die besten Bröckerln schieben ihm die Schwestern zu. Ueberhaupt, Polzer . . . wie man da gut mit uns ist, das kann ich Dir gar nicht sagen.“ Die Thränen stürzten aus ihren Augen, aber sie fuhr sich mit dem Aermel über das Gesicht. „Wart’, ich hol’ Dir den Buben, daß doch auch eine Freud’ hast!“ Sie erhob sich und wollte zur Thür.

Er aber schüttelte den Kopf und hielt sie zurück. „Laß ihn, Seph’ .. bis ich wiederkomm’!“

„Wo gehst denn hin jetzt?“ Da sah sie den verstörten Ausdruck seiner Züge und stotterte: „Ja was hast denn?“

„Zum Vogt muß ich ... und muß mich angeben!“

„Polzer!“ schrie sie und blickte sich erschrocken nach allen Seiten um. Die Sprache versagte ihr; nur mühsam brachte sie noch die Frage heraus: „Es muß wohl sein?“

Wolfrat nickte. „Komm’, Seph’, machen wir’s kurz! Behüt’ Dich halt Gott derweil!“

Sie umklammerte seine Hand; aber es kam kein Laut mehr über ihre Lippen. Er machte sich los und ging mit raschen Schritten davon. Als er nach einer Weile zurückschaute, stand Seph’ noch unter dre Thür. Langsam schritt er weiter,. Bei der Wendung der Straße blieb er wieder stehen. Sepha stand noch immer auf dem gleichen Fleck.

„Geh’, Seph’,“ rief er ihr zu, „geh’ doch hinein!“

Da wandte sie sich und verschwand in der Thür.

Aufathmend schritt er dem Markt entgegen. Einige Leute sprachen ihn an, aber er nickte nur einen Gruß und ging vorüber. Bald erreichte er das Kloster. Die Wartestube des Vogtes war überfüllt. Eben schob Herr Schluttemann zur Thür ein altes Bäuerlein hinaus, das unter stotterndem Danke einen Bückling um den anderen machte.

„Ja, Mannerl, ja, ist schon gut!“ sagte der Vogt. „Und wenn Du wieder was brauchst, nachher komm’ nur gleich, gelt?“ Da sah und erkannte er den Sudmann. „Ja, grundgütiger Herrgott, ja, seh’ ich denn recht? Wolfrat, Du? Ja komm’ doch! So komm’ doch gleich herein zu mir!“. Er packte ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich her in die Stube.

Wolfrat riß Mund und Augen auf und starrte Herrn Schluttemann an wie ein heiliges Wunder. Eh’ er noch wußte, wie ihm geschah, saß er schon in einem Lehnstuhl, und vor ihm hockte Herr Schluttemann mit schlenkernden Beinen auf dem Tisch. Lachend und immer die Hände reibend, haspelte der Vogt ein Dutzend Fragen herunter, ohne die Antwort auf eine einzige abzuwarten. Erschrocken hielt er inne, als sich Wolfrat plötzlich aufrichtete mit aschfahlem Gesicht.

„Ja was hast denn, Wolfrat, was hast denn?“

„Reden muß ich was! Für’s erst’ aber will ich noch ein Vergelt’s Gott sagen für alles, was man an meinem Weib und Kind gethan hat, und ... und nachher ... nachher will ich sagen ...

„Was denn? Was denn? Was denn?“

„Von wegen dem Jäger ... dem Haymo ... derselbig’, der ihn gestochen hat ... ich bin’s halt doch gewesen!“

Herr Schluttemann verlor alle Fassung. „Ja, Du Mensch, Du,“ stotterte er, „aber das ist ja doch gar nicht möglich!“

„Wohl wohl, ich bin’s gewesen!“

Der Vogt starrte den Sudmann an, griff sich an den Kopf und mit einem Mal rannte er davon, hinein in die Stube des Propstes. Herr Heinrich erhob sich von seinem Schreibpult; die Thüre blieb offen stehen, und Wolfrat konnte jedes Wort vernehmen.

„Reverendissime! Denket! Jetzt kommt dieser Wolfrat und giebt sich an und sagt, daß er es doch gewesen ist, der den Haymo gestochen hat.“

„Der Wolfrat?“ fragte Herr Heinrich ganz erstaunt und schüttelte den Kopf.

„Ja, der Wolfrat! Ich hab’ auch den Kopf geschüttelt! Aber der Mann ist da und sagt, er hat’s gethan!“

„Der Haymo hat aber für ihn gezeugt, und ein Jäger hat gute Augen!“

„Vielleicht hat er ein Erbarmen gehabt ...“

„Der Haymo lügt nicht. Ja, ja, Vogt, Ihr habt dem Mann damals unrecht gethan!“

„Aber meiner Seel’,“ stotterte Herr Schluttemann, „er steht doch draußeu und sagt, er hat’s gethan!“

„Das ist mir unbegreiflich! Aber wißt Ihr, was ich meine! Der Mann trägt es Euch nach, daß Ihr ihm unrecht gethan habt! Jetzt will er Euch den Streich heimzahlen und kommt und spielt Euch einen Possen und bindet Euch einen Bären auf ... zur Heimzahlung für den, der über ihn gekommen ist!“

„Ja, da soll ihn doch gleich ...“ Herr Schluttemann zog mit der Faust aus, um der Tischplatte eins zu versetzen; aber er besann sich noch zur rechten Zeit.

„Ich muß gestehen, das ist ein keckes Stücklein. Der Mann geht zu weit. Das greift hart an Eure Würde, Vogt! Das dürft Ihr Euch nicht gefallen lassen!“

„Und ich laß’ es mir auch nicht gefallen! Da soll ja doch ...“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_563.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2022)