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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Der Industriepalast.

des Verkehrs innerhalb des Ausstellungsgebietes vermittelst elektrischer und anderer Bahnen und Wasserfahrzeuge, in Elevatoren etc., das äußerste gethan werden; das ist ja schon durch die in Aussicht genommene riesige Besuchsziffer bedingt. Bemerkenswerth ist noch, daß die Beleuchtung der Ausstellung gegen 140000 Lampen und 22000 Pferdekräfte erfordert! Für Trank und Speise sorgen zweihundert Wirthschaften, und wenn auch das Projekt des Morisonthurmes, der den Eiffelthurm der Pariser übertrumpfen sollte, ebensowenig zur Ausführung kommen wird wie der Silberpalast, den einer aus dem Silbervorrath des Schatzamts zu Washington zu erbauen vorschlug – es handelt sich um die runde Kleinigkeit von zwei Milliarden Mark – so wird es doch nicht an allerlei anderen Wunderdingen fehlen, die internationale Schaulust mächtig anzuregen. Da spricht man von einem lenkbaren Aluminiumluftballon, von einem kalifornischen Riesenbaum mit der Einrichtung eines Pullmannschen Salonwagens, Restauration und Küche im Inneren, von einer künstlich nachgebildeten Austernbank und was dergleichen reizende Dinge mehr sind.

Kurz, die „Kolumbische Weltausstellung“ setzt alle Hebel in Bewegung, durch Größe, Neuheit und Kühnheit alle ihre Vorgängerinnen zu schlagen und einen Markstein zu bilden in der Geschichte der Ausstellungen. Manche Uebertreibung läuft dabei mit unter; man nimmt’s nicht so genau, wenn es gilt, die Erwartungen aufs äußerste zu spannen. Möchten die Chicagoer doch sogar eine Ausstellung von Geist und Wissen veranstalten in ihren Gelehrten- und Künstlerkongressen, die sie aus aller Herren Ländern zusammenladen wollen! Wie dem aber sei, die Gartenstadt am Michigansee wird auch ohne solche Stückchen im nächsten Jahre das Wallfahrtsziel für viele Millionen Menschen bilden, sie wird dem, der sehen kann und sehen will, gar viel zu lernen und zu denken geben.


„Das Geheimniß des Schlosses von St. Leu.“

Ein Blatt aus dem Schuldbuche der Familie Orleans.
Von Albert Schultheiß.

Es ist dafür gesorgt, daß es der Republik Frankreich in ihrer steten Fortentwicklung und Festigung nicht an Hemmnissen und Widerwärtigkeiten aller Art fehle, und immer wieder droht von Zeit zu Zeit die Frage der Wiederherstellung einer Monarchie greifbare Gestalt anzunehmen. Zwar sind die Franzosen vorläufig die Napoleoniden los geworden, auch die Bourbonen brauchen sie nicht mehr zu fürchten, da ja das ganze Haus ausgestorben ist; aber um so rühriger erweisen sich im stillen die Nachkommen des ehemaligen „Bürgerkönigs“ Louis Philipp und zeigen dadurch aufs deutlichste, daß sie nicht gesonnen sind, ihre Ansprüche auf den Thron Frankreichs aufzugeben. Bis zur Stunde freilich hat es den Anschein, als könnten alle solche Bestrebungen nichts bedeuten, als wären die reichen Schenkungen des Herzogs von Aumale eitel „verlorene Liebesmüh’“. In der That ist eine Dynastie Orleans dermalen noch so undenkbar wie vor fünfzig Jahren. Die Franzosen wissen zu gut, wie verhängnißvoll diese Fürstenfamilie in die inneren Geschicke ihres Landes eingegriffen und welches Unheil der gekrönte Bankier Louis Philipp trotz all seiner „Biederkeit“ in die französische Gesellschaft getragen hat. Ueber das „Julikönigthum“ hat die Geschichte längst ihr abfälliges Urtheil ausgesprochen, aber weniger bekannt dürfte sein, wie der König der „richtigen Mitte“ gleich zu Beginn seiner Herrschaft ein Regierungsprogramm enthüllt hat, welches, folgerichtig durchgeführt, ganz geeignet war, in der Folge die Dynastie Orleans dem Lande verhaßt und verächtlich zu machen. Wir meinen die Art und Weise, in welcher Louis Philipp bei jeder ihm halbwegs passenden Gelegenheit sich beeiferte, seinen stark ausgeprägten Erwerbssinn, seine Lust an der Vermehrung des rein persönlichen Besitzes, zu bethätigen.

Durch das Gesetz der Milliardenentschädigung, welches am 23. April 1825 der Kammer vorgelegt worden und mit 221 gegen 130 Stimmen durchgegangen war, wurde den Orleans eine Entschädigung von 80 Millionen Franken zugesprochen, welche Summe mit dem aus den Stürmen der Revolution „geretteten“ Besitz vereinigt ein Gesammtvermögen von über 100 Millionen darstellte. Als durch die Julirevolution die Orleans auf den Thron kamen, erwies sich Louis Philipp gleich von Anfang an als sorgsamer Familienvater, indem er durch eine Schenkung unter Lebenden sein großes Vermögen den Kindern zu sichern bestrebt war, ganz im Gegensatz zu den alten Gebräuchen der französischen Könige, deren Privatgüter „vermöge der vollständigen Ehe der königlichen Person mit dem Staate“ bei der Thronbesteigung mit den Staatsdomänen verschmolzen wurden.

Bald aber führte ein ganz besonderer „Glücksfall“ seinem Hause einen neuen Besitzzuwachs von beiläufig 60 Millionen zu durch ein Ereigniß, welches in den Geschichtsbüchern unter dem Titel „Das Geheimniß des Schlosses von St. Leu“ aufgeführt wird.

Am 27. August 1830, morgens neun Uhr, wurde nämlich der letzte Sproß der ruhmvollen Familie Condé, der Vater des unglücklichen Herzogs von Enghien im Schlafzimmer seines Schlosses zu St. Leu, unfern von Paris, erhängt aufgefunden. Prinz Louis Heinrich Josef von Condé, Herzog von Bourbon, hatte die letzten Jahre seines bewegten Lebens in ländlicher Zurückgezogenheit verbracht. Er hatte die Julirevolution mit einem Feste auf seinem Landsitze gefeiert und später in aller Form dem neuen Konig seine Huldigung dargebracht. Die Königin Marie Amalie hatte ihn in seinem Schlosse besucht und sich herbeigelassen, seiner wahrlich nicht im Geruch der Heiligkeit stehenden Hausgenossin aufs freundlichste zu begegnen. Diese, die Baronin Feuchères, ehemals Sophie Clarke, eine englische Abenteurerin niederster Art, war die Tochter eines Fischers von der Insel Wight. Der Prinz Condé hatte sie in London, während er mit dem Grafen von Artois als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_558.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)