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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

vornehmsten Häuser von Paris. Ja, er dachte schon weiter und schaute sich unter seinen Kameraden bereits nach einem passenden Schwager um, der durch seinen altadligen Namen und sein gesellschaftliches Ansehen ihm selbst zu einer gesicherten Stellung in den neuen Kreisen verhelfen sollte. Die reiche, schöne, feingebildete Claire hatte jedenfalls die Auswahl unter den Söhnen der ersten Häuser. Wenn Reichthum und Schönheit allein nicht verfingen, so blieb es ja jedem unbenommen, das Wappen der alten Marquis von Berry wieder hervorzuholen und neben dem seinen auf den Kutschenschlag malen zu lassen. So sah er denn mit rosigen Hoffnungen dem Ablauf seiner Fähnrichszeit entgegen; wenn alles gut ging, dann konnte seine heißersehnte Beförderung zum Lieutenant ungefähr mit der Rückkehr Claires zusammenfallen.

Mit solchen Gedanken war Otto ein fremdes Element im Hause Berry, und wenn er auf dem Rücken seiner schlankfüßigen „Thespis“ zum Stalle hinausritt, über den Fabrikhof der Stadt zu, gab er dem Pferde nervös die Sporen, um möglichst rasch herauszukommen aus dem eklen Dampf und Rauch, der nur die hellen Schnüre und den farbigen Besatz seiner Uniform schmutzig färbte.

Und der Dampf und Rauch schien täglich zuzunehmen, wie ein schwarzer Mantel lag er über den Werken, umsäumt von der purpurnen Gluth der flammenden Hochöfen. Herr Berry hielt sich jetzt mehr wie je in den einzelnen Werkstätten auf; es galt die Herstellung der neuen Maschine, über die bereits die abenteuerlichsten Gerüchte unter den Angestellten umgingen. Der Kommerzienrath war bisher noch nie als schöpferischer Mechaniker aufgetreten – alle Neuerungen, alle Entwürfe waren seither aus dem Konstruktionssaal der angestellten Ingenieure gekommen. Dort herrschte denn auch eine allgemeine Verstimmung, daß nicht wenigstens der Plan zur Ausarbeitung oder Prüfung vorgelegt worden war. Berry selbst machte jede einzelne Zeichnung und gab die einzelnen Theile an die einschlägigen Werkstätten aus; in eigener Person beaufsichtigte er auch die Anfertigung. In seiner Begleitung befand sich nicht einmal ein theoretisch gebildeter Techniker, sondern nur der junge, schon längst mit Neid betrachtete Monteur Davis.

Sollte am Ende gar dieser junge Mensch auf die neue Konstruktion gekommen sein? Begabt war er, ja mehr noch, er war ein technisches Genie, das mußte man ihm lassen – aber eine so weittragende Erfindung, wie dem Gerede und den Vorbereitungen nach die in Frage stehende war, die konnte doch nicht von einem einfachen Monteur ausgehen, der nur die Gewerbeschule hinter sich hatte!

Für Hans war es eine wonnevolle Zeit. Er sah seinen glücklichen Gedanken aus dem rohen Metall heraus allmählich zur Wirklichkeit werden. Unter den riesigen Eisenhämmern formten sich die glühenden Achsen und Kurbeln. Dann durfte er sie auf ihrem ganzen weiteren Entwicklungsgang begleiten an der Seite des Herrn Berry, der selbst auf den im Rohen geschmiedeten Stücken die Zeichnung punktierte, nach welcher die Stanz- und Schneidemaschinen arbeiten mußten, bis endlich die Dreherei die letzte Vollendung und Politur gab. Unermüdlich überwachte Berry besonders die Modellierung der Triebräder, in deren Anordnung und Form der neue Gedanke hauptsächlich zum Ausdruck kommen sollte. Er, der sonst nur in tadellosem Anzug durch die rußigen Räume gegangen war und nirgends selbst mit Hand angelegt hatte, steckte jetzt in alten Kleidern – der peinlich gepflegte, fast schneeweiße Bart, das Gesicht waren häufig geschwärzt, ja er griff wohl in seinem Eifer eigenhändig zu.

Die Arbeiter machten große Augen, wenn sie sahen, wie er mit dem Werkzeug nicht weniger sicher umzugehen wußte als sie selbst, und ihr Eifer wuchs; ihrem alten Hasse begann sich fast gegen ihren Willen ein gut Theil Respekt beizumischen. Dem Kommerzienrath entging dies nicht, und immer mehr erkannte er seine früheren Fehler. Er trat jetzt unwillkürlich in ein engeres Verhältniß zu den Arbeitern, lernte die Leute besser kennen und war nahe daran, wenn er so mitarbeitete unter den geschwärzten Gesellen, sich selbst nur noch als den ersten Arbeiter in diesen Räumen zu betrachten. In solchen Augenblicken ahnte er auch, wo der künftige Ausgleich liege für die beiden feindlichen Elemente der Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden, die er bisher im letzten Grunde für unversöhnlich gehalten hatte. Am innigsten gestaltete sich sein Verhältniß zu Hans. Die begeisterte Liebe des jungen Mannes zu seinem Beruf, dessen scharfer Blick für alles und jedes, was mit der Technik der Maschinen zusammenhing, flößte ihm die größte Achtung ein. Er bedauerte schon, daß er ihm keine höhere Ausbildung hatte zutheil werden lassen.

Es sollte so eingerichtet werden, daß die neu konstruierte Maschine gerade die fünfhundertste war, welche die Werke verließ; damit sollte für die Arbeiter und alle Angehörigen der Fabrik ein großes Fest verbunden sein, das im Frühjahr stattfinden sollte.

Berry hatte noch einen anderen Plan dabei, er wollte das Fest zusammenfallen lassen mit der Ankunft Claires – sie sollte das väterliche Haus in seinem vollsten Glanze, den Vater auf der höchsten Stufe seines Erfolges sehen. Sein Sohn war für ihn verloren, auf ihn würde auch dieses Ereigniß keinen Eindruck machen. Aber auf das höchste Glück eines Vaters, Freude und Stolz über die mühevollen Errungenschaften seines Lebens im Angesicht seiner Kinder zu lesen an einem solchen Ehrentag, darauf wollte er nicht verzichten. Was Otto ihm weigerte, sollte Claire ihm geben.

Er machte unzählige Pläne; auch dabei war Hans sein einziger Vertrauter, in dem es hell aufjubelte vor Freude, als er von der Rückkehr Claires zu der Feier erfuhr. Nun hatte sein Eifer keine Grenzen mehr; sein Traum von damals, als er über der Zeichnung einschlief, sollte zur Wirklichkeit werden – die Maschine trug ihn Claire entgegen! „Schwing Dich empor, so hoch Du kannst!“ Er hatte ihren Auftrag treu erfüllt mit all seinen Kräften.

Aber würde er denn nun auch etwas bedeuten für die vornehme Dame? Hätte er nicht noch mehr leisten, Größeres, Weittragenderes erfinden müssen? War nicht sein Können noch immer so gering?

Der letzte Gedanke erfüllte ihn mit bitterer Qual. Dann aber sagte er sich wieder in erwachendem Selbstbewußtsein, nicht an den Schranken seines Könnens liege es, nur an dem „Nicht dürfen“. Er selbst hätte dem neuen System seinen Namen geben müssen, das vielleicht die Welt sich eroberte, aber er – durfte nicht! Und warum? Weil er eben der simple Hans Davis war, gerade gut genug, um durch seine Leistungen den Glanz des Hauses Berry zu vermehren. Was ihm vor kurzem noch ganz natürlich erschienen war, schmerzte ihn jetzt, und ein geheimes Mißtrauen gegen den Kommerzienrath wollte ihn beschleichen. Wenn er nur wenigstens Claire hätte mittheilen dürfen, daß er mehr war als ein einfacher Monteur, dann würde er ja gern auf jeden Ruhm, auf jede Ehre, auf die Anerkennung der ganzen Welt verzichtet haben.

Mittlerweile rückte der wichtige Zeitpunkt immer näher, schon war der riesige Kessel in den Montierungsraum gebracht. Es war für Berry sehr schwer, dem jungen Davis die Oberleitung bei der Montierung zu übergeben, ohne die alten Werkmeister zu kränken oder den Gedanken nahezulegen, daß dieser Davis mehr als er selbst bei der Sache betheiligt sei. Nur durch seine ständige Gegenwart, indem er scheinbar selbst die Leitung übernahm, war es möglich, Hans in allem beizuziehen und doch weitere Unannehmlichkeiten hintanzuhalten.

Inzwischen fügte sich ein Glied nach dem anderen dem unförmlichen Körper an, der unter den Hammerschlägen erzitterte, von Tag zu Tag gewann er mehr Form und Leben. Die Ingenieure beobachteten mit kritischen Blicken und gaben sich alle Mühe, das sorgfältig gehütete Geheimniß ihres Chefs zu entdecken, der keine Zeichnung aus der Hand gab; die meisten waren erfüllt von der Hoffnung eines offenkundigen Mißerfolges. Auf den jungen Mann, der mit unermüdlichem Eifer drauf los hämmerte, achtete man kaum und verlachte die Arbeiter, die in ihm die Hauptperson sehen wollten. Lieber traute man noch dem Chef, der doch ein erfahrener Techniker war, eine gelungene Entdeckung zu als diesem grünen Jungen.

Es herrschte eine allgemeine Aufregung im Werke; in allen Sälen, unter dem Geschwirr der Treibriemen, dem Kreischen, Poltern, Schlagen der Maschinen wurde von der neuen Lokomotive gesprochen; es galt als eine Ehre, bei deren Herstellung beschäftigt zu sein. Schon machten sich die Lackierer daran, ihr ein flottes grünes Gewand anzuziehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_555.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2022)