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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

gewaltigere Kraft war auf sein Gedankenbild gestoßen und zertrümmerte es.

„Claire bewegt sich mitten in den schöngeistigen Kreisen von Paris, verkehrt mit den Großen der Kunst und Litteratur – ich beneide sie darum! Ihre Briefe beschämen mich geradezu, ich ersehe daraus, wie weit wir zurück sind. Das gute Kind wird sich schwer wieder in die hiesigen Verhältnisse finden –“ bemerkte eben Frau Berry.

„Allerdiugs, wenn sie hier nur von Maschinen-Verkuppelungen hört, oder wie das Zeug heißt, dann wird sie wohl auf und davon laufen und das Heimweh nach Paris ist ihr dann nicht zu verübeln,“ entgegnete Otto spitzig.

„Und doch bin ich überzeugt, daß Fräulein Claire sich für dieses Zeug lebhaft interessieren wird, sobald sie weiß, daß es von größter Wichtigkeit werden kann für das Haus ihres Herrn Vaters,“ rief Hans, fortgerissen von seiner Erregung.

„Bravo Davis! Sie haben meinen Herrn Sohn gut abgeführt!“ Eine starke Gereiztheit klang aus diesen Worten des Kommerzienraths.

„Abgeführt?“ fragte Otto, und die Narbe auf seiner Stirn brannte hochroth. „Ich merke nichts davon und kann Herrn Davis gegenüber wohl auch nie in diese Lage kommen!“

Die Entgegnung sollte scherzhaft sein, aber aus dem leichten Gesprächston klang tiefe Gereiztheit.

„Ich freue mich wirklich,“ setzte er dann zu seinem Vater gewendet hinzu, „wenn Claire wiederkommt, sie wird ein anderes Leben bringen und eine andere –“

Er stockte.

„Gesellschaft, meinst Du? Sprich’ es nur aus!“

„Nicht gerade, aber mehr Abwechslung, meine ich. Und das wird Dir selbst gut thun, Papa, und Dich erheitern. Ein Kreis von Kavalieren, Künstlern, Schriftstellern, kurz das, was man ‚Welt‘ nennt, wird sich hier versammeln. Oder willst Du Claire etwa zum weiblichen Leiter Deiner Werke heranbilden, zu einer Lokomotivenbauerin? Dafür ist Paris eine schlechte Schule!“

„Weder das eine noch das andere wird ausschließlich geschehen. Warum soll sich nicht beides vereinigen lassen, der Verkehr mit dem, was Du ‚Welt‘ nennst, und die Pflicht? Ich bin unter strenger Arbeit aufgewachsen, mitten im Gewoge der Fabrikthätigkeit, ich kenne daher den beglückenden Einfluß der Kunstgenüsse auf den Menschen zu wenig, um entscheidend darüber sprechen zu können; doch glaube ich daran. Aber jedenfalls ruht das wahre Glück, die echte Befriedigung nicht in solch schöngeistiger Beschäftigung allein, die doch immer nur ein Genießen ist, sondern in praktischer Arbeit, in dem Schaffen greifbarer Werthe . . . Sie mögen lächeln, meine Herren, über diese Anschauung, sie veraltetet nennen –“ fuhr er fort, indem er sich zu den Kameraden seines Sohnes wandte, deren Lippen sich wirklich verrätherisch kräuselten – „aber dies ist nun einmal meine Ueberzeugung. Ich bin daher auch kein besonderer Freund der Künstler, Dichter, Musiker von Fach – was diese schaffen, das sind in meinen Augen keine greifbaren Werthe; sie sind für mich mehr oder minder Drohnen.“

„Demnach bist Du auch ein abgesagter Feind aller Kavaliere?“ fiel Otto gereizt ein.

„Wenigstens kein Verehrer von ihnen – wenn sie nichts weiteres sind,“ war die mit starker Betonung gegebene Antwort.

Jetzt verlor Otto vollends die Ruhe. „Aber Papa! Was sollen sich die Herren hier denken? – Papa meint es nicht so, Troste –“

„Gewiß meine ich’s so; aber die Herren können und werden sich nicht dadurch getroffen fühlen, sie sind ja mehr als Kavaliere – sind die Beschützer dessen, was wir hervorgebracht haben, vor fremden Angriffen, und so lauge diese Beschützer nöthig sind und mit Aufopferung und Pflichttreue ihrem Beruf nachkommen, wird jeder vernünftige Mensch sie ehren –“

Man war allgemein froh über diese Wendung des allen peinlich gewordenen Gesprächs. Nur Otto beruhigte sich nicht, er fühlte den Hieb und wandte sich in seinem Zorne gegen Hans, der nach seiner Meinung allein die Schuld an dieser Erörterung trug.

Wenig schlagfertig, wie er war, suchte er vergeblich nach einem verletzenden und doch an diesem Orte möglichen Worte. Dadurch noch mehr gereizt, griff er zum nächsten besten, zu einer zufälligen Beobachtung, die in gar keinem Zusammenhang stand mit dem eben Gesprochenen.

„Sagen Sie einmal, Sie künftige Leuchte unter den Maschinenmenschen, was Sie jeden Sonntag in der äußersten Westvorstadt, in der Kleegasse – Verzeihung, meine Herren, daß ich diesen Namen hier nenne – zu suchen haben? Ich hatte bereits zweimal das Vergnügen, Ihnen auf dem Wege zur Kaserne dort draußen zu begegnen – einmal kamen Sie eben heraus, einmal gingen Sie eben hinein. Machen Sie da auch Studien über Triebräder, Verkuppelungen und dergleichen – was?“

Hans wechselte die Farbe, das Messer zitterte in seiner Hand und Herr Berry stutzte sichtlich. „Ein Spaziergang führte mich hinaus – ich verirrte mich –“ erwiderte Hans unsicher und verwirrt.

Allen fiel sein Benehmen auf, Otto staunte selbst über die unerwartete Wirkung seiner Worte; alles, was er gehofft hatte, war, den Verhaßten durch seine hämische Aeußerung in Verlegenheit und vielleicht für einen Augenblick in eine schlimme Beleuchtung zu bringen; nun ermuthigte ihn dessen Unruhe, weiter zu gehen; daß Papa auch jetzt wieder für seinen Schützling Partei nehmen würde, war nicht zu befürchten, denn eine wohlbekannte Falte erschien auf der Stirn des Kommerzienraths, als er erwartungsvoll zu Hans hinübersah. Der aber schien gar nicht kampfbereit und blickte ängstlich vor sich hin.

„Zweimal verirrt man sich doch nicht so leicht an derselben Stelle,“ warf Otto nachlässig hin, „vollends ein Maschinist wie Sie, der sich in dem Gewirr unzähliger Schrauben und Triebräder zurechtfinden muß. Wenn Sie keine bessere Erklärung finden können –“

„Ich suche keine, da ich Ihnen keine Rechenschaft über die Verwendung meines Sonntags abzulegen habe.“

Er betonte das „Ihnen“ stark mit einem Blicke auf Herrn Berry, durch den dieser bewogen wurde, so nachdrücklich das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu leiten, daß sein Sohn gezwungen war, zu folgen. Aber trotz der Bemühungen des Kommerzienraths wollte keine unbefangene Stimmung mehr aufkommen; der Zwiespalt zwischen Vater und Sohn war zu offenkundig hervorgetreten und das Bewußtsein dieser Spannung wirkte bedrückeud.

Am unglücklichsten war Frau Emilie, die sich alle Mühe gab, durch gesteigerte Liebenswürdigkeit den übeln Eindruck zu verwischeu, den „leider“ die Ansichten ihres Mannes auf die beiden Kameraden des Sohnes hatten machen müssen. Sie kannte ihren Gemahl nicht mehr, ein fremder Geist sprach aus ihm. Wer hätte heute in ihm den Nachkommen der Marquis von Berry erkennen sollen! Wie der nächste beste Volksredner hatte er gesprochen, und gerade heute mußte das sein in Gegenwart adliger Gäste, wie sie sonst in ihrem Hause sich nicht einfanden! Zum ersten Male während ihrer Ehe fühlte sie, die Tochter eines verarmten, aber altadligen Geschlechts, in ihrem Familienstolz sich verletzt.

Erleichtert athmete sie auf, als ihr Gatte früher denn gewöhnlich die Tafel aufhob und die Gäste sich rasch entfernten; weiß Gott, was am Ende noch alles hätte zum Vorschein kommen können! Otto verabschiedete sich mit seinen Kameraden.

„Ich muß noch ein paar Stunden in guter Gesellschaft zubringen, Mama, das wirkt reinigend,“ sagte er. „Wir gehen noch ein wenig in den Klub.“

Frau Emilie seufzte.

„Ich finde es ganz begreiflich, mein Sohn, es war ein schrecklicher Abend.“

„Hoffen wir auf Claire, sie wird unsere Bundesgenossin sein und durch Papas Pläne sehr bald einen Strich machen. Was ich dazu thun kann, soll geschehen.“

Mit einem Handkuß nahm Otto Abschied von der Mutter, die bedenklich und besorgt aufathmend das Haupt schüttelte, als sei ihre Hoffnung auf Claire nicht eben zuversichtlich. – –

„Folgen Sie mir, Herr Davis!“ sagte Berry zu Haus, als sich dieser empfehlen wollte. In tiefer Erregung kam Hans der Aufforderung nach. Die widersprechendsten Gefühle stürmten durch seine Brust. Nun wird der Kommerzienrath Rechenschaft verlangen über seinen Aufenthalt in der Kleegasse, und wenn er die Wahrheit erfährt, wird er sicher seine Hand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_551.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2022)