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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Schatzl, komm’! Es wird in der Hütt’ wohl ein lützel was zu finden sein. Und die Zenza wird’s schon erlauben!“

„Was die aber lang ausbleibt! Völlig bangen thut’s mich, daß ich ihr ein Vergelt’s Gott sagen möcht’. Aber gelt, wenn sie kommen thut, müssen wir schon recht gut sein mit ihr. Sie hat’s doch verdient um uns! Gelt?“

Haymo nickte; dann traten sie in die Hütte. Mehl, Milch und Butter fand sich im Ueberfluß. Als aber Gittli auf dem Herd das Feuer schüren wollte, haschte Haymo ihre Hände.

„Nein, Schatzl, heut’ darfst nicht schaffen, heut’ mußt schon mir die Sorg’ lassen. Da wirst schauen, was ich Dir aufkoch’! Und Du . . .“ Er hob sie mit beiden Armen empor und legte sie sanft auf das Heubett nieder, „Du thust mir derweil ein lützel rasten! So, Schatzl, so! Gelt, da liegst gut?“

Erst war sie ein wenig erschrocken, dann aber ließ sie ihn lächelnd gewähren, und als sie in das weiche, duftende Heu versank, schlang sie die Arme um seinen Hals und drückte sein Gesicht an ihre heiße Wange. „Gelt, Haymoli, wir thun nimmer voneinander lassen?“

„Nimmer, Gittli, nimmer, nimmer!“

Eine Weile saß er auf dem Rand des Bettes. Schweigend hielten sie sich bei den Händen und schauten sich lächelnd in die Augen. Plötzlich sprang er auf. „Jetzt muß ich aber schaffen, sonst thust mir am End’ noch verhungern, Du Hascherl, Du arm’s!“

Sie schob die gefalteten Hände unter die Wange, schmiegte sich tief in das duftende Heu und während Haymo auf dem Herd das Feuer schürte, blickte sie unter halb gesunkenen Lidern hervor, mit dankbar zärtlichen Augen jede seiner Bewegungen verfolgend. Leise strömten ihre tiefen Athemzüge über die leicht geöffneten Lippen. Ihr war so wohl! Sie hätte sich für das ganze Leben nichts anderes mehr gewünscht, als nur immer so liegen zu dürfen, so weich zu ruhen, mit dieser sanften Wärme im Herzen, mit diesem süßen Gefühl, daß treue Liebe ihre Ruhe behüte, für sie sorge und schaffe.

Immer und immer wieder nickte ihr Haymo lächelnd zu. Er ging auf den Zehen und suchte jedes Geräusch zu vermeiden, während er alles herbeitrug, was er zur Bereitung der Mahlzeit nöthig hatte. Auf dem Herde knisterten die brennenden Späne, ganz leise rauschten die züngelnden Flammen, durch die Lücken des Schindeldaches fielen einzelne Sonnenstrahlen gleich goldig schimmernden Fäden, und der dünne Rauch, der sich langsam zwischen dem berußten Sparrenwerk verzog, umspann alle Balken mit bläulichem Duft.

Immer tiefer sanken über Gittlis Augen die schwarzen Wimpern . . . ein wohliges Rieseln rann durch ihre Glieder . . . und sacht, unmerklich flossen ihre Träume aus dem Wachen hinüber in einen tiefen Schlaf.

Haymo ließ die Arbeit ruhen; er wäre mit seinem Werk in einem halben Stündlein zu Ende gewesen, und dann hätte er Gittli wecken müssen. Er sah aber, wie wohl ihr der Schlummer that. Leise trug er einen Holzpflock neben das Heubett, ließ sich nieder, schlang die Hände um die Knie, lehnte das Haupt an die Kante des Lagers und blickte mit unverwandten Augen in das Gesicht der Schlummernden.

Sie lag und regte sich nicht; nur manchmal bewegten sich ein klein wenig ihre Lippen, als spreche sie im Traum; dann zuckten auch die Wimpern, welche gleich dunklen Sicheln auf den sanft gerötheten Wangen lagen, und mit tieferem Athemzuge hob sich die junge Brust unter dem weißen Linnen. Haymo streckte die Arme ... es war, als möchte er aufspringen, als möchte er sie aus dem Schlaf emporreißen an sein Herz; doch immer wieder duckte er sich scheu und leise auf den Holzpflock nieder, um die Schlummernde nicht zu wecken.

Stille Stunden verrannen. Als Haymo meinte, daß Gittli nun doch bald erwachen würde, ging er zum Herd. Sie sollte nicht warten müssen aus die Mahlzeit. Als die heiße Butter in der Pfanne zu zischen begann, bewegte sich Gittli, schlug die Augen auf, lächelte . . . und schlief weiter.

Haymo übte sein Küchenamt mit peinlicher Sorgfalt; vor Aufregung, ob die Speise auch wohl gerathen würde, zitterten ihm die Hände. Doch als er einmal kostete, schien er nicht unzufrieden mit seinem Werk. Er schnalzte mit der Zunge, und während er die Pfanne wieder über das Feuer setzte, begann er mit halblauter Stimme zu singen:

„Der Winter war zergangen
In Bluh stand alle Heid’,
Da kam zu mir gegangen
Gar süße Augenweid’ . . .“

Immer lauter wurde sein Lied, bis es endete mit klingendem Jauchzen:

„Jo ho, jo ho,
Mein Herzelein ist froh!“

Da brauchte er Gittli nicht mehr zu wecken, denn als er sich umblickte nach ihr, saß sie aufrecht im Heu, lachte ihn an mit hellen Augen und streckte die Arme.

Als wär’ sie eine Feder, so hob er sie in die Höhe und drehte sie im Kreis. Kichernd zappelte sie mit den Füßchen. Aber auf die Erde kam sie nicht wieder . . . sie saß mit einem Male aus Haymos Schoß. Mit dem einen Arm hielt er sie an sich gedrückt, mit dem anderen zog er die Pfanne herbei. Und da sich in der Hütte nur ein einziger Holzlöffel vorgefunden hatte, mußte es Gittli dulden, daß ihr Haymo jeden bissen in das lachende Mäulchen schob. Sie wehrte sich wohl, aber nur, weil ihr Wehren das zärtliche Mahl verlängerte. Und wie sie jeden Bissen lobte! Haymo wurde ganz stolz auf seine Kochkunst. „Ja, Du,“ sagte sie, „das schmeckt einem halt! Weißt, da drin . . .“ sie machte eine Bewegung mit dem Köpfchen und meinte dabei das Heim der Domfrauen in Salzburg, „da drin hab’ ich Sachen übereinander essen müssen, daß einem völlig hätt’ grausen mögen! Nein, Du, was die Herrenleut’ manchmal für einen Geschmack haben . . . brrr!“

Er lachte und hielt ihr den vollen Löffel entgegen.

„Hait, halt, der gehört ja wieder Dir!“ schalt sie, denn sie wachte gar ängstlich darüber, daß die Theilung auch redlich vollzogen würde: erst sie einen Löffel, dann er einen Löffel – und dazu einen Kuß zum Merkzeichen.

Als die Pfanne leer war, sagte sie ganz erschrocken: „So, schön! Jetzt haben wir der Zenza gar nichts übrig gelassen! Aber was sagst, jetzt ist die noch allweil nicht da! Komm’, Haymo, komm’, ich mein’, wir müssen uns doch ein lützel umschauen nach ihr.“ Sie lief zur Thür hinaus und rief mit heller Stimme: „Zenza! Zenza!“ Doch rings umher hörte sie nur das dumpfe Brüllen der Kühe und das unruhige Gebimmel der Almglocken. Als Haymo zu ihr trat, sagte sie: „Wirst sehen, die hat sich im Wald verschlafen. Aber wart’ nur, ich find’ sie schon!“

Mit klappernden Schuhen lief sie gegen den Bergwald. Haymo aber haschte sie, und nun wanderten sie mit langsamen Schritten, eines ans andere geschmiegt, dem Schatten der Bäume entgegen, den die sinkende Sonne schon dunkel und lang über das Almfeld warf. Als sie den Waldsaum erreichten, hatten sie schon wieder vergessen, was sie hierher geführt. Wo sie gingen, blühte mit dunklem Roth das Almrausch. Sie pflückten die schönsten der blühenden Zweige, und nach einer Weile prangte ein Sträußlein an Gittlis Mieder, ein anderes auf Haymo’s Kappe. Er legte den Arm um ihre Schulter, sie lehnte das Köpfchen an seine Brust, und so wanderten sie dem Feuerpalfen zu, aus dessen verbranntem Rasen schon wieder die grünen Grasspitzen hervorlugten.

„Hast nichts da her denken müssen in der Sonnwendnacht?“ fragte er leise.

Sie nickte erröthend. „Und wie ich eingeschlafen bin, hab’ ich geträumt . . .“

„Was denn?“

„Daß Du mir eine Scheib’ getrieben hätt’st!“

„Aber Narrerl, Du lieb’s ... ich hab’s ja doch gethan!“ lachte er. „Und was für eine! Die allergrößt’ hab’ ich getrieben für mein klein’s Schatzl! Und geflogen ist sie, als wär’ die Sonn’ herunter gefallen!“

Sie umschlangen und küßten sich, als fänden sich ihre Lippen zum ersten Mal. Kein Wunder, daß sie dabei die sich nähernden Schritte zweier Männer und einen stammelnden Ruf überhorten, der vom Saum des Waldes herkam.

Nun wieder standen sie aneinander geschmiegt und blickten mit stillen Augen hinunter in die gähnende Tiefe. Glatt und schwarzgrün lag der See zwischen seinen felsigen, schon von dunklen Schatten umwobenen Ufern.

„Schau, Haymo,“ lispelte Gittli, „siehst das Schiffl im See?“

„Wo, Schatzl?“

„Dort, wo der Wildbach auslauft wie ein weißes Banderl.“

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