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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Individualität innewohne, eine Art Seele, die erst ihren Werth bestimmte. Und diese Seele, die nirgends zu sehen, aber überall zu fühlen war, ließ sich nicht wissenschaftlich nachweisen und berechnen, die mußte instinktiv gefunden und hineingearbeitet werden, und in diesem schöpferischen Ahnungsvermögen erblickte er den Höhepunkt seines Berufes, der weit über dem Handwerk lag. –

Die sonntäglichen Besuche bei dem Vater fanden regelmaßig statt, doch die Atmosphäre der „Fackel“ – Davis mochte sich trotz alles Zuredens nicht davon trennen – konnte seiner im Stahlbad ernster strebsamer Arbeit gestärkten Seele nichts anhaben. Aber Schmerz und eine unbestimmte Angst empfand er bei der Beobachtung des unsteten haltlosen Wesens seines Vaters. Er traf ihn in den verschiedensten Stimmungen; voll zufriedenen Muthes und wieder voll Trotz und Haß; oft väterlich zärtlich, Liebe und Dankbarkeit verrathend, oft voll höhnischen Spotts, neidisch auf die Stellung, die hoffnungsvolle Zukunft des eigenen Sohnes; oft weich wie ein Kind, zugänglich den Ermahnungen und Bitten des Sohnes, auszuharren, bis er in der Lage sei, mehr für ihn zu thun, für seine alten Tage zu sorgen; oft wüthend in sinnlosen Drohungen gegen Gott und Welt oder in rohen Worten jede Bevormundung durch so einen „grünenn Jungen“ zurückweisend.

Hans lebte dabei in der ständigen Furcht, sein Verkehr in der „Fackel“ könnte entdeckt werden, und er selbst mußte sich gestehen, daß der Ort ganz dazu angethan sei, um Herrn Berrys höchste Entrüstung zu rechtfertigen. Ein halbes Jahr ging so vorüber, da traf er eines Sonntags denselben Gesellen, der ihm einst den Weg zur „Fackel“ gewiesen hatte, bei seinem Vater. Beide waren offenbar nicht mehr sehr nüchtern, einige geleerte Weinflaschen standen vor ihnen. Davis stellte den Genossen als seinen Kollegen und guten Freund Holzmann vor, und aus dem gegenseitigen Anblinzeln und Zulachen glaubte Hans zu erkennen, daß dem Fremden sein Verhältniß zu Davis kein Geheimniß mehr war. Mit Widerwillen blieb er; und in der That – bei einer weiteren Flasche, welche die beiden Männer unter lärmendem Gespräch tranken, machte Holzmann plumpe Anspielungen auf das Schicksal von Hans und sprach dabei von dem Blutsauger Berry, dem einmal ordentlich zu Ader gelassen werden sollte. Dann wurde sein Ton immer vertraulicher, bis er endlich unvermittelt herausplatzte, Hans werde sich doch nicht einbilden, irgendwie diesem Berry verpflichtet zu sein, der ihn wie einen Sklaven gekauft und für seine hartherzigen Zwecke aufgezogen habe, nachdem sein Vater durch diesen Menschen ins Elend, die Mutter ins Wasser gejagt worden sei; im Gegentheil habe er allen Grund, sich zu rächen für solche Gemeinheit. Daran knüpften sich sonderbare Fragen über die Räumlichkeiten im Berryschen Hause, Ausdrücke der Verwunderung, daß es noch niemand probiert habe, an den goldenen Raub zu kommen, den der alte Fuchs jedenfalls aufgestapelt habe, das ware ja geradezu ein verdienstliches Werk.

Diese Dinge wurden allerdings in scherzendem Tone gesprochen aber die Blicke des Mannes ruhten lauernd auf Hans und schweiften dann wieder zu Davis hinüber, der durch seine Miene zur Vorsicht zu mahnen schien, so daß den scharf beobachtenden jungen Mann ein Schauer überlief bei der furchtbaren Ahnung dessen, auf was Holzmann abziele. Trotzdem unterbrach er den Redestrom des halb Betrunkenen nicht. Die Besorgniß machte ihn verschmitzt. Mochte dieser Mensch sein Innerstes nur aufdecken und den verbrecherischen Anschlag, mit dem er sich offenbar trug, bloßlegen. Nicht nur, daß der Vater auf diese Weise vor dem gefährlichen Umgang gewarnt wurde – es ließ sich so zugleich die Möglichkeit gewinnen, ein Verbrechen zu vereiteln.

Und Holzmann kroch immer mehr aus seinem Versteck, seine kleinen Augen blitzten vor Vergnügen und er vergaß sogar seine Flasche. Stück um Stück enthüllte er einen vollständigen Plan zur Beraubung des Berryschen Hauses. Der Vater hörte ruhig zu und stierte auf den Boden, nur in seinem Gesicht spiegelte sich eine lebhafte Theilnahme, eine das Gesprochene verfolgende lebhafte Phantasie. Als Holzmann seine Auseinandersetzungen mit den leisen Worten schloß: „Sie sehen, es handelt sich nur noch um einen Eingeweihten aus der Fabrik, und der könnte sich ja finden,“ erhob Davis unmerklich den gesenkten Blick und schielte gespannt hinüber zu dem bleichen Gesicht seines Sohnes, aus dem ihn zwei klare Augen fragend anschauten.

Eine peinliche Pause trat ein, dann lachte Davis hell auf und gab Holzmann einen Tritt mit dem Fuße. „Ich glaube gar, der Junge nimmt die Geschichte ernst und hält uns für die leibhaftigen Banditen, die alles zu thun imstande wären.“ Er lachte, daß ihm die Adern am Halse dick anschwollen, dann sprang er plötzlich empor und schlug heftig auf den Tisch. „Das aber ist eine Gemeinheit, weißt Du das! Eine Gemeinheit – ich verbitte mir das! Will das auch schon auf unsereinen herabsehen wie auf Lumpenvolk? Oder gar spionieren, kundschaften – wär’s das? Junge, nimm’ Dich in acht, wenn ich Dich wieder zwischen meinen Fäusten habe, geht’s nicht wieder so gut aus!“ Sein Gesicht hatte wieder denselben thierischen Ausdruck wie an jenem Abend im Fabrikhof, allein Hans fürchtete sich jetzt nicht mehr; fest sah er den Zornigen an.

„Du hast keinen Grund, so zu poltern,“ sagte er ruhig, „Du hast ja vorhin kein Wort gesprochen, also konnte ich von Dir nichts für Spaß oder für Ernst nehmen; nur dieser Mann hier spricht über Dinge, über die man auch im Scherze nicht sprechen soll –“

„Aha!“ rief jetzt Holzmann höhnisch, „hörst Du ihn, Deinen gestrengen Herrn Sohn? Schau nur, wie er predigen kann!“

Davis ging, die Hand in der Tasche, wie ein wildes Thier im Zimmer umher; nun blieb er mit einem Rucke vor Holzmann stehen und strich sich die zerwühlten schwarzen Haare mit einer zornigen Bewegung aus der Stirn. „Und recht hat er doch, der Herr Sohn; Du hast wirklich ein zu dummes Gewäsch, das einen ins Zuchthaus bringen könnte. Ich will’s auch nimmer hören, es stürzt mir ins Hirn wie der Wein da und macht mich ganz toll . . . Und sag’, Holzmann, hab’ ich je von so ’was gesprochen, daß ich wollte – oder könnte – oder – sprich, habe ich je – sprich, sag’ ich . . .“

Drohend, mit geballten Fäusten und herausquellenden Augen stand er vor dem Freunde. Der Blick des schmächtigen, durch den Trunk entkräfteten Menschen kroch scheu zu Boden, sein Körper drückte sich furchtsam beiseite, plötzlich sprang er geradeaus gegen die Thür.

„Du bist ein tolles Thier – mach’, was Du willst!“ rief er und war im Nu verschwunden.

Davis rannte mit einer blinden Wuth, welche den Vergleich Holzmanns rechtfertigte, gegen die ins Schloß fallende Thür. Als er sah, daß der Verfolgte außer dem Bereich seiner Fäuste war, schien er sich zu besinnen und kam langsam zu Hans zurück.

„Warum verkehrst Du mit einem solchen Menschen?“ fragte ihn dieser furchtlos.

„Dumme Frage! Wir arbeiten zusammen wie zwei Maulwürfe, ein Kollege von mir! Mit einem ‚solchen Menschen‘, sagst Du? Ja, was soll’s denn für ein Mensch sein? Er hatte freilich nicht das Glück, von einem Geldprotzen von der Straße aufgelesen zu werden wie Du, und hat natürlich ganz andere Ansichten wie Du. Er meint’s auch nicht so schlimm, und ich ärgere mich jetzt nur, daß ich so grob war gegen ihn. Aber daran bist nur Du schuld mit Deinem dummen Moralpredigen . . . Ja, wer bin ich denn eigentlich, daß ich mir das gefallen lassen muß?“

In neu aufsteigendem Zorne stampfte er mit dem Fuße. Hans ließ ihm Zeit, sich zu beruhigen, und faßte unterdessen seinen Entschluß

Endlich setzte sich Davis, wie ermattet von dem Wuthanfall, und brachte seinen Pfeifenstummel wieder in Brand. Es war ganz still, nur um den verschütteten Wein summten die Fliegen.

„Ich bin überzeugt,“ begann Hans, „daß dieser Mann nicht im Scherze sprach, daß er mich ausforschen wollte, daß er in mir diesen ‚Eingeweihten aus der Fabrik‘ zu finden hoffte.“

Davis blies eine Rauchwolke gegen die Wand und bewegte sich unruhig auf seinem Stuhle. „So laß ihm doch sein Vergnügen, was kann er schaden, wenn er doch in Dir den Mann nicht findet, den er braucht?“ antwortete er dann leichthin.

„Aber Dir kann er schaden, Vater, wenn Du unter seinem verderblichen Einfluß bleibst,“ entgegnete Hans eifrig.

„Du sprichst ja wie ein Pfarrer! Teufel, was hab’ ich für ein Söhnchen!“ Davis lachte spöttisch auf.

„Ich muß Dir erklären, daß ich nicht mehr zu Dir kommen kann, wenn Du den Verkehr mit diesem Menschen nicht aufgiebst.“

„Du hast also wirklich Angst für die Geldspinden Deines geliebten Herrn Berry?“

„Ich habe Angst, daß Holzmann Dich in irgend eine unrechte That verwickelt, wenn auch wider Deinen Willen, und dann wärst Du und ich für immer zu Grunde gerichtet.“

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