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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

keineswegs aber geglättet, sondern rauh gelassen. Zuerst entsteht ein halbbogenförmiger Kranz von unten, auf welchem die Schwalbe nun einen bequemen Sitz hat und rüstig weiter mauern kann. Dabei wechselt sie nach Bedürfniß ihre Stellung. Bald hängt sie sich außen an die Nestwand an, bald schaut sie von innen heraus. Letzteres geschieht insbesondere dann, wenn das Flugloch angelegt wird. Im Innern füttert die Mehlschwalbe gleich ihrer Verwandten das Nest mit Stroh und Grashälmchen, Federn, Wolle und sonstigen weichen Stoffen aus. Das Weibchen brütet allein über den vier bis sechs dünnschaligen, weißen Eiern, bei günstigem Witterungsverlauf zwölf bis dreizehn Tage, bei ungünstigem etwas länger, weil es alsdann wegen der mangelhaften Fütterung von seiten des Männchens das Gelege verlassen und sich selbst auf die Jagd begeben muß. Die flügge gewordenen Jungen bleiben verhältnißmäßig lange im Neste; kommen die Eltern mit Speise zurück, so machen sich die älteren von der Brut zirpend an das Flugloch vor und die jüngeren müßten bei der Fütterung zu kurz kommen und bald verhungern, wenn die Alten nicht ein Einsehen hätten und sich in die Tiefe des Nestes zu ihnen drängten. Noch des Nachts hört man die Brut unruhig zirpen, und es ist nur zu verwundern, daß alt und jung in dem engen Raume überhaupt Platz findet. Manchmal giebt freilich auch die Nestwand nach, und die ganze Gesellschaft wird an die Luft gesetzt. Infolge dessen bemerkt man wohl da und dort ein noch nicht flugfähiges Schwälbchen, welches verlassen auf dem Bauche liegt, mühsam mit den Flügelchen sich stützt und sehnsüchtigen Blickes nach der Höhe um Hilfe schreit. Sind die Jungen ausgeflogen, so besuchen sie noch eine Zeitlang allabendlich ihre Geburtsstätte, bis es ihnen von den Eltern verwehrt wird, die zu einer zweiten, weniger fruchtbaren Brut schreiten. Die Atzung findet nunmehr in der Luft statt. Die alte und junge Schwalbe fliegen sich entgegen, steigen ein wenig voreinander in die Höhe, und unter Gezirp empfängt der Pflegling die Liebesgabe. Mitten unter großen Flügen erkennen alle Schwalbenpaare unfehlbar ihre eigenen Jungen.

Uferschwalben.

Ein merkwürdiges Beispiel von der Fürsorge eines alten Mehlschwalbenpaares für die Erhaltung seiner Jungen müssen wir noch erzählen. Das Nest der Familie war gesprengt worden, und die Jungen lagen halb flügge am Boden. Menschliche Hilfe bereitete den Kleinen einen bequemen Sitz auf einem am geborstenen Neste angebrachten Brette. Doch gerieth das eine und andere Schwälbchen infolge seiner Unruhe über den Rand hinaus, so daß es wieder hinabfiel. Da fingen plötzlich die Eltern an, Baumaterial herbeizutragen und um die noch auf dem Brette sitzenden jüngsten Kinder einen Kranz zu kitten, auf welchem sie alsdann weiter mauerten, bis eine genügende Wölbung hinlänglichen Schutz gegen das Hinabfallen bot. Es ist dies der erste Fall von einer derartigen Veranstaltung zum Schutze der Brut nach Zersprengung des ersten Nestes, welcher uns bekannt geworden ist.

Bewundernswürdig erscheint unter den Seglern der Lüfte die Uferschwalbe durch die Art, wie sie ihre Nisthöhlen bereitet. Diese sind nämlich mit Vorliebe und meist in großer Anzahl nebeneinander in die steilen Wände und Böschungen eines Flußufers, Hohlwegs oder dergleichen gegraben.

Bei oberflächlichem Blicke hält man es für unmöglich, daß das schmächtige Vögelchen eine solche Arbeit vollbringen kann, aber bei näherer Betrachtung erkennen wir in dem kurzen, harten, schneidig gekanteten und scharf zugespitzten Schnäbelchen sowie in den außerordentlich scharfkralligen Füßen die wirksamsten Werkzeuge zur Herstellung der tiefgehenden Höhlungen, welche nicht bloß in Lehm-, sondern sogar in Sandsteinwänden zu finden sind. Wir haben die kleinen Vögel in ihrer mühevollen Arbeit eingehend beobachtet und das Ergebniß unserer sorgfältigen Bemühungen in der Schilderung der Nestbaukunst der Vögel in unserem Werke „Thiere der Heimath“ niedergelegt. Das Schnäbelchen des kleinen Minierers vertritt die Stelle des Spitzhammers, die Füße dienen als natürliche Steigeisen; hin- und herrückend oder in kurz abgesetzten Bogenflügen sucht er nach einer passenden Stelle, die nicht zu locker und auch nicht zu fest ist für seinen Zweck; hier und da hackt der Schnabel versuchsweise in die Wand, bis endlich das richtige Plätzchen gefunden ist. Dann beginnt ein ganz eigenthümliches Verfahren: das Schwälbchen beschreibt mit dem Hinterleib und den Füßen einen Kreis um seinen Kopf, dessen Schnabel sich in die Wand bohrt.

Emsig und ausdauernd wird so weiter gegraben, nach allen Seiten springt das Material weg und in kurzer Zeit hat das scharfe Werkzeug eine runde Vertiefung geschaffen – das zukünftige Flugloch der Nisthöhle – in welcher das Thierchen festen Fuß fassen kann. Rasch fördert es die Arbeit, so daß es bald in der Wand verschwunden ist. Mit dem Fernrohr gewahrt man es nun bald seitlich, bald oben oder unten in der erweiterten Höhlung hängend, die es fortwährend im Kreise mit dem Schnabel bearbeitet. Der sich ansammelnde Schutt wird mit den Füßen herausgescharrt, größere Brocken schiebt der Vogelleib gemächlich nach dem Ausgang, um sie dann durch ein plötzliches Anstemmen über den Rand hinabzustoßen. So schafft sich der kleine Erdarbeiter allmählich ins Innere, indem er einen etwas schräg nach oben verlaufenden runden Gang herstellt, so daß eindringendes Regenwasser sogleich wieder abfließen kann. Das am höchsten liegende hintere Ende wird für das kunstlose, aus einer einfachen Unterlage von Genist und Federn bestehende Nest ausgehöhlt. Der Gang ist meist in gerader Richtung angelegt, bisweilen muß er sich aber auch um Steine oder Wurzeln herumwinden; er dringt gewöhnlich einen halben Meter, manchmal aber auch bis zu dreiviertel Meter tief in die Erde.

Die Wände, an welchen sich die kolonienweise nistenden Uferschwalben ansiedeln, erscheinen wie vielfach durchlöchert. Ueberall nimmt man Stellen wahr, wo Versuche, Anfänge zu Höhlungen gemacht worden sind, die aber wegen irgend eines Hindernisses, vielleicht auch aus Laune wieder aufgegeben wurden. Um sich vor den Wasserratten, den Wieseln etc. zu schützen, legen die vorsorglichen Vögel ihre Nestlöcher nie in der Tiefe an, sondern ungefähr von der Mitte der Wand an aufwärts bis zu einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_510.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)