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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


fragte Gittli mit zagender Stimme. „Zenza, mein Gott sag’ mir doch ... was fehlt ihm denn?“

„Was wird ihm denn fehlen?“ lautete die murrende Antwort. „Du fehlst ihm!“

„Zenza!“ stammelte Gittli, und weiter brachte sie kein Wort mehr über die Lippen; nur ein erstickter Laut quoll aus ihrer Kehle, als wollte ihr das jählings schwellende Herz die Brust zersprengen; dazu schoßen ihr die heißen Thränen in die Augen, und sie hastete vorwärts, daß ihr Zenza kaum folgen konnte.

Noch ehe sie Schellenberg erreichten, waren die feinen Schnabelschuhe zertreten und die dünnen Sohlen durchgetreten. Gittli ließ sich auf einen Straßenstein nieder und zerrte die zerfetzten Schuhe von ihren Füßen.

„So ein Gelumpert!" brummte Zenza. „Aber was machst denn jetzt?“

„Ich lauf’ halt barfuß! Komm’ nur, komm’, komm’ ...“

Und weiter ging es, immer weiter auf der mondhell gewordenen Straße.


26.

Bald nach dem Ostertag war im Berchtesgadener Klosterland ein neues Sprichwort aufgetaucht. Wenn Sturm und Regen sich über Nacht in einen sonnigen Tag verwandelten, dann hieß es: „Das Wetter hat sich gewendt wie der Klostervogt!“ Und in der That, Herr Schluttemann war kaum mehr zu erkennen; die Leute wußten es nicht genug zu rühmen, wie gut und freundlich der Vogt sie jetzt behandle. Mit rechten Dingen könne das nicht zugegangen sein, darüber waren sie alle einig. Und es verbreitete sich die Märe: Herr Schluttemann habe an der Wand in seiner Amtsstube einen „Zauber wider die Galle“ hängen; wenn immer nur ein Fünklein Zorn in ihm aufsteige, dann thue er schnell einen Blick nach dem unheimlichen Ding an der Wand und sei plötzlich verwandelt in die leibhaftige Sanftmuth.

Der „Zauber“ hing unter dem Bilde, welches den heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen darstellte, und sah einem zierlich beschriebenen, unter geschnitztem Rahmen verwahrten Pergamentblatt zum Verwechseln ähnlich.

Als Herr Schluttemann in der Woche nach Ostern eines Morgens seine Amtsstube betrat, gewahrte er den „Zauber“ an der Wand. Er trat mit verblüfften Augen näher, fuhr mit glühender Nase zurück ... und rannte wuthschnaubend in das Gemach des Propstes.

„Reverendissime! Alles kocht in mir!“

„Weshalb?“ fragte Herr Heinrich lächelnd.

„Man hat mich beschimpft, man hat mir einen schmählichen Possen angethan! Das Urtheil, Reverendissime, das Urtheil wider meine Hausfrau ...“

„Das sie Euch an den Kopf gehauen?“

„Ja ... das hat man in meiner Amtsstube aufgehangen! Aber ich will nimmer schlafen, bis ich den gefunden habe, der mir das angethan hat.“

„Da braucht Ihr nicht lange zu suchen. Das hab’ ich selbst gethan!“

„Re ... Re ...“ Herr Schluttemann wollte sagen: „Reverendissime!“ Allein der Schreck lähmte seine Zunge.

„Eurer Klugheit mag es überlassen bleiben, herauszufinden, weshalb es geschah. Wenn Euch das aber nicht gelingen sollte ...“ Herr Heinrich machte eine bedenkliche Pause. „Ihr wißt, mein Vogt im Pongau ist gestorben. Ich muß einen anderen an seine Stelle setzen. Es ist ein böser, mühsamer Posten. Indeß ... wenn Ihr drüben im Pongau mit den Leuten umschreiet, dann hör’ ich’s nicht.“ Herr Heinrich trat zu seinem Pult und begann in einem aufgeschlagenen Buch zu lesen.

Wie ein begossener Pudel ging Herr Schluttemann davon. Draußen in der Amtsstube stand er lange, lange mit gespreizten Beinen und verschränkten Armen vor dem „Zauber“. Dann plötzlich stülpte er den Hut über das borstige Haar und rannte nach Hause wie ein angeschossener Dachs in seinen Bau. Da ging nun ein Spektakel los, daß die Leute auf der Straße zusammenliefen und lauschend stehen blieben. Eine geraume Weile hörte man zwei Stimmen; dann nur noch eine: die donnernde Stimme des Vogtes. Frau Cäcilia hatte zum ersten Male in ihrem Leben den kürzeren gezogen.

Herr Schluttemann ließ sich den Vortheil dieses ermuthigenden Sieges nicht wieder entschlüpfen. Das merkte man ihm deutlich an, wenn er allmorgendlich behäbigen Ganges zur Amtsstube wanderte, gründlich ausgeschlafen, mit lachendem Gesicht.

Frau Cäcilia versenkte sich in stummen Groll; da sie aber schließlich merkte, wie wenig ihr das Grollen eintrug, spielte sie die Klügere ... und gab nach. Am Morgen des Fronleichnamstages wurde die Versöhnung geschlossen; und bei der feierlichen Prozession schritt Herr Schluttemann Hand in Hand mit seiner „getreuen Hausehre“, wie er jetzt zu sagen pflegte, hinter dem Baldachin einher.

Als er anderen Tages seine Amtsstube betrat, war der „Zauber“ verschwunden. Er stürzte in das Gemach des Propstes.

„Reverendissime! Das Ding ist weg von der Wand!“

„So?“ lächelte Herr Heinrich. „Da mag es wohl einer weggenommen haben, der gefunden hat, daß es nimmer nöthig wäre.“

(Fortsetzung folgt.)

Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
7.0 Segler der Lüfte.0 Mit Abbildungen von Marie Laux.
a.0 Unsere Schwalben.

Segler der Lüfte!“ Ja, das Luftmeer ist das wahre Element ihres Lebens! Selten kommen sie zur Erde, ihre körperliche Ausrüstung hat sie zum ewigen Fluge bestimmt, ihr Sinn strebt nach der Höhe und Weite, nach der Freiheit, der ungebundenen, schrankenlosen Bewegung. Auch ihre Nahrung bietet sich ihnen nur im Reiche der Luft.

Als die geflügelten Boten des Lenzes, als treue Mitbewohner unserer Städte und Dörfer und als unermüdliche Vertilger der Insekten in der Luft sind die Schwalben überall willkommen, und gern wird ihnen der wohlverdiente Schutz zu theil. Wenn auch viele der neuerrichteten Häuser nur in sehr geringem Grade den Bedingungen entsprechen, unter welchen die Schwalbe gerne nistet, wenn auch nicht wenige Hausbewohner des Schmutzes halber die Anfänge des Nestbaues mit Stöcken und Stangen zu entfernen bemüht sind, so giebt es doch unzählige Plätzchen mit warmer Lage, rauher Fläche und schützender Decke, welche den lieben Gästen friedlich winken, und Tausende von Hausbesitzern nehmen gern eine kleine Unannehmlichkeit mit in den Kauf, wenn sie den treuen, anhänglichen Thierchen Obdach zu bieten imstande sind. Freilich ist es der Schwalbe, der Rauch- wie der Hausschwalbe, am liebsten, wenn die menschlichen Wohnungen die Spuren des Alters und des Zerfalls an sich tragen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil damit die Gelegenheit zu bequemem Nisten sich mehrt. Wie manches Rauchschwalbenpaar ist schon durch das Ausbessern einer Fensterscheibe am Pferde- oder Kuhstall in bittere Verlegenheit gesetzt worden, weil ihm damit der einzige Weg zu seinem Neste verschlossen wurde!

Mit Sehnsucht wird die Ankunft der Schwalben im Frühling erwartet. Sind sie doch die Vorboten der schönen Sommerzeit. Einen eigenthümlichen Zauber haben die Töne der Rauchschwalbe, wenn sie am Morgen nach ihrem Erscheinen an der heimischen Stätte ihr „Wittwitt“ hören läßt, wenn sie zum ersten Male wieder mit ihrem Liedchen das Frühroth besingt. Und welch einen fesselnden Anblick bietet sie, wenn sie in kunstvollem Fluge die Luft durchschneidet, hier sanft dahinschwebt und nur zuweilen die Schwingen regt oder auch im plötzlich flatternden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_508.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)