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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Gemüth, sondern auch von einer beachtenswerthen Darstellungsgabe, was um so mehr Anerkennung verdient, als ja der Bildungsgang der Dichterin sich auf den einfachen Unterricht in der Dorfschule beschränkte und sie schon in ihrem dreizehnten Lebensjahr gezwungen war, Magddienste zu leisten. Wenn ich in den nachfolgenden Zeilen in Kürze über Katharina Kochs Leben und Wirken berichte, so geschieht es, um der am 6. März 1892 im Alter von 82 Jahren aus dem Leben geschiedenen Dichterin ein einfaches Gedenkblatt zu widmen. Ein gütiges Geschick wollte es, daß ich im Leben der Heimgegangenen nicht ohne einflußreiche Rolle bleiben sollte.

Im Jahre 1882 schritt ich an die Zusammenstellung meines Buches „Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen“. Um ein möglichst umfassendes Bild von der dichterischen Thätigkeit der deutschen Frauenwelt zu geben, durchforschte ich alle litterarischen und belletristischen Blätter und fand in der „Gartenlaube“ die erwähnte Mittheilung. Nun wandte ich mich an Katharina Koch mit der Bitte um Zusendung einiger Gedichte und kurzer Angaben über ihr Leben. Die Antwort, welche ich unterm 18. September 1882 empfing, enthält folgende, auch für die Bewohner Ortenburgs bezeichnende Stelle:

„Den Notizen, welche die ‚Gartenlaube‘ über mich enthält, kann ich jetzt nur hinzufügen: daß ich nun im 72. Lebensjahr stehe, Gegenwärtiges noch ohne Brille schreibe und auch geistig noch so ziemlich regsam und kräftig bin, so daß ich bisher mein tägliches Brot mir meist mit Schreiben verdient habe und noch verdiene. Ich sammle Gedichte aus Zeitschriften, Liederbüchern etc., schreibe sie in Heften groß 4° à 20 Seiten, füge mitunter eigene Produkte bei und ein solches Heft wird mir dann mit 60 Pf. bezahlt. Hat jemand 12 bis 14 solcher Hefte, so werden sie zu einem Bande gebunden, und die Leute betrachten solche Bücher als Hausschatz und würden sie für gedruckte Bücher gar nicht vertauschen. Mitunter verfasse ich Hochzeitsgedichte; Mitgaben oder Nachrufe ins Grab schreibe ich auf weiße Atlasbänder, die als Schleifen an Kränze oder Bukette geheftet werden, verfasse auch Prologe und Deklamationsgedichte für Vereine, schreibe für die Schreibunkundigen oder Schreibträgen Briefe, kurz ich bin ein ‚Mädchen für alles‘ und für die weitesten Entfernungen, denn ich bin nicht eine Frau, sondern unverheirathet und nach dem gangbaren Ausdruck ‚eine alte Jungfer‘. Als solche nun suche ich diese Klasse soviel als möglich in Ehren zu erhalten und der Welt zu nützen, so gut ich’s kann und solange ich’s kann.“

Die dem Briefe beigeschlossenen Verse aber hatten meine Theilnahme in hohem Grade rege gemacht. Es entspann sich ein lebhafter Briefwechsel, und ich bewog die Greisin, ihre Gedichte zu sammeln, weil ich die stille Absicht hatte, ein Büchlein herauszugeben, um der kränkelnden Dichterin ein schönes Christkindangebinde zukommen zu lassen und auch fürderhin ihren Lebensabend zu erhellen. Es glückte und der Anfang war gemacht; ich bemühte mich mit Erfolg weiter, und sowohl der verstorbene König von Bayern, Ludwig II., als auch die Schiller- und Tiedgestiftung beantworteten meine Gesuche, die ich nun durch Einsendung eines Bändchens der gemüthsinnigen Schöpfungen der Naturdichterin unterstützen konnte, mit reichen Geldgeschenken. „Jungfer Bas“ konnte ohne bedeutende Sorge weiter leben. Von den Gedichten ist sogar eine zweite Auflage bei E. Greiner und Pfeiffer in Stuttgart unter dem Titel „Mein Leitstern“ erschienen, und es hat sich bewahrheitet, was die „Gartenlaube“ 1872 über die poetische Thätigkeit Katharina Kochs sagte: „Es ist schon werth, daß man in ganz Deutschland sich über ein solches Dichterwirken freue.“

Wir aber schließen hier mit den schönen Versen, in denen sie gleichsam ihr Testament machte; mehr als alles andere zeigen sie das tiefpoetische Gemüth und den bescheidenen Sinn der heimgegangenen Dichterin.

Karl Schrattenthal. 

  Letzte Bitte.
Wenn einstens mir mein Ende nah,
So bitt’ ich, laßt mich ruhig scheiden!
Laßt keine Gaffer stehen da,
Die sich an letzten Zügen weiden.
Ein Freundesherz wird sich wohl finden,
Das treu am Sterbebette steht
Und, wenn es gilt, zu überwinden,
Ein selig Ende mir erfleht.

Tragt ohn’ Gepränge mich zur Ruh;
Was soll ein Kranz am Sarg noch prangen?
Er bringt mir sanftern Schlaf nicht zu,
Er stillt auch sonst kein heiß’ Verlangen.
Ein kurz Gebet, ein kurzer Segen
Sei alles, was man mir beschert;
Mir nützt es nichts auf Jenseits-Wegen,
Ob man mich tadelt oder ehrt.

Auch keinen Stein setzt mir aufs Grab,
Kein Kreuz soll überm Hügel ragen,
Weil solches ich getragen hab’
Genug in meinen Lebenstagen.
Laßt leicht mir sein den heil’gen Boden,
Drin sprossen soll der ew’ge Keim,
Sprecht lieber: „Selig sind die Toten“,
Und geht zu euren Hütten heim.

Untergegangene Bergwerke. Zu den schönsten Sagen, die im Volke der österreichischen Alpen und namentlich in dem Volke Obersteiermarks leben, dürfen unstreitig jene gezählt werden, welche von verfallenen oder untergegangenen Bergwerken berichten. Vielleicht hat aber auch kein Volk eine so lebendige Phantasie, eine so stark entwickelte dichterische Begabung als das Volk der Alpen; zeigen sich ihm doch Jahr um Jahr, im Sommer wie im Winter, die gewaltigsten Naturerscheinungen. Und aus denselben scheint, bald im Guten, bald im Bösen, die Stimme einer höheren Macht zu sprechen, welche diesen einfachen Menschen als die Urheberin alles dessen dünkt, was sie in Freude oder Leid bewegt.

Den obersteirischen Aelplern gilt es als gewiß, daß in ihrem Landestheile einst alle edlen Metalle heimisch waren und daß nur der sündhafte Uebermuth der Knappen, denen es zu gut erging, die Schuld trage, daß alle diese reichen Schätze heute nicht mehr zu finden seien.

Die dunkle Geschichte vom Untergange eines Silberbergwerkes in dem obersteirischen Orte Zeiring, von welchem nur eine ungenaue Ueberlieferung erzählte, hat sich im Laufe von Jahrhunderten zu einer Sage verdichtet, die das Wesen, Denken und Fühlen der Aelpler am genauesten kennzeichnet. Mit silbernen Kugeln auf silberne Kegel schoben da einst die übermüthigen Knappen; aber auch dies war den rohen Menschen zu harmlos. Es war an einem Sonntagnachmittag und ein Großmütterchen ging just mit seinem Enkelkinde, einem bildhübschen goldlockigen Knäbchen, aus der Kirche heimwärts. Der Weg führte die beiden an der Kegelstätte vorüber. Kaum hatten die wilden Gesellen aber das gebrechliche Weibchen erblickt, so begannen sie dasselbe zu verspotten. Die Alte nahm den Spott nicht ruhig hin, ließ vielmehr ihre scharfe Gegenrede ertönen, welche die tollen Kegelschieber nur noch mehr entflammte. Einer der verwegensten von ihnen ergriff plötzlich und unerwartet den blonden Knaben und hatte ihm im Nu das Köpfchen abgeschlagen, um mit demselben zu kegeln. Aus Schreck erstarrte das alte Mütterchen fast, und sie brachte erst kein Wort über ihre Lippen. Ueber der unerhörten Frevelthat aber war ihr eine mit Mohnsamen gefüllte Flasche entfallen und die Körner lagen verstreut auf dem Erdboden. Da rief sie mit funkelnden Augen und bebenden Lippen, zitternd am ganzen Körper: „So viele Mohnkörner hier auf der Erde liegen, so viele Jahre wird es in Zeiring keinen Bergsegen mehr geben!“ Und am nächsten Tage, als 1400 Knappen eingefahren waren und in der „Schicht“ arbeiteten, erbebte plötzlich die Erde, von allen Seiten stürzten Gewässer herein, welche „die besten Erzgänge“, wie es heißt, „mit rasender Eile erfüllten.“ Von allen Knappen im Bergwerke entkam auch nicht einer. E. K. 

Der schnellste Zug der Welt. Von der Geschwindigkeit der amerikanischen Eisenbahnzüge machen sich viele Leute oft übertriebene Vorstellungen. Diese sprichwörtliche Geschwindigkeit trifft höchstens für einige Züge der östlichen Linien zu, während im allgemeinen die in Europa übliche Durchschnittsgeschwindigkeit kaum erreicht, jedenfalls nicht übertroffen wird. Gleichwohl können sich die Amerikaner rühmen, gegenwärtig den schnellsten Zug der Welt zu besitzen. Der „fliegende Schottländer“, welcher die 632 km voneinander entfernten Städte London und Edinburgh in 8½ Stunden verbindet, bis vor kurzem der König aller Schnellzüge, hat seine Herrschaft niederlegen müssen. An seine Stelle ist der „Empire State Express“ getreten, der die 702 km lange Strecke New-York-East-Buffalo der New-Yorker Centralbahn in 8 Stunden 24 Minuten durchbraust, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 84 km in der Stunde entspricht. Bei einer vor Einlegung dieses Zuges veranstalteten Probefahrt wurde sogar eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 96 km in der Stunde erreicht, ja streckenweise wurde die Schnelligkeit auf die unheimliche Höhe von 2 km in der Minute gesteigert. Der europäische Reisende, welcher die Weltausstellung in Chicago besucht, wird Gelegenheit finden, auf dem Wege dahin sich selbst von dieser neuesten Errungenschaft der Eisenbahntechnik zu überzeugen.

Während der oben bezeichnete schnellste englische Zug eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 74,4 km in der Stunde erreicht, bringt es der jetzige schnellste deutsche Zug, der Berlin-Hamburger Eilzug, auf 78,7 km in der Stunde, wobei allerdings für den letzteren eine zweieinhalbmal kürzere Entfernung in Betracht kommt. Dieser Zug braucht zu der 286 km langen Fahrt 3 Stunden 38 Minuten. Der ehedem vielgenannte „Berlin-Kölner Jagdzug“ bleibt mit 61 km Durchschnittsgeschwindigkeit weit hinter dieser Leistung zurück.

Weibliche Aerzte. Ein bedeutsamer Schritt vorwärts in der Frage des medizinischen Frauenstudiums ist in den letzten Monaten geschehen: die dem preußischen Landtag eingereichte Frauenpetition wurde nicht einfach abgewiesen, sondern der Regierung zur theilweisen Erwägung übergeben, der erste Fall dieser Art. Die guten und einleuchtenden Gründe, sowie der Hinweis auf die völlig befriedigende ärztliche Thätigkeit der Frauen in anderen Ländern haben offenbar manchen früheren Gegner nachdenklich gemacht, manchen bereits Zweifelnden bekehrt. Immerhin bleibt noch ein starker Wall von vorgefaßter Meinung zu durchbrechen, und so ist jede Schrift, die das in logischer und maßvoller Weise fördern hilft, willkommen zu heißen. Neben den ausgezeichneten Leistungen von H. Lange und M. Weber sei hier als besonders glücklich in Ton und Beweisführung eine neuerschienene Broschüre von S. Binder, „Weibliche Aerzte“ (Stuttgart, Göschen), genannt. Die Verfasserin macht es sich zur Aufgabe, alle die landläufigen, von einem dem anderen nachgesprochenen „Unmöglichkeiten“ einzeln zu beleuchten und so schlagende Gegengründe anzuführen, daß ihr ein Unbefangener in den meisten Fällen Recht geben wird. Mit Geist und Humor, auch mit sicherem Takte liefert sie den Beweis, daß die Frauen in dieser gewöhnlich über ihre Köpfe weg abgehandelten Frage selbst noch allerhand zu sagen haben und deshalb Gehör verlangen müssen. Auch wer die betreffende Broschürenlitteratur mit ihren im großen und ganzen stets wiederkehrenden Hauptgedanken verfolgt hat, wird in der Binderschen Schrift mit Vergnügen noch neue Gesichtspunkte und bisher unbesprochene Einzelheiten finden, er wird sie auch mit der Ueberzeugung aus der Hand legen, daß die Forderung berechtigt ist, jetzt nach soviel theoretischem Für und Wider einfach die Probe zu machen, welche ja allein die Fähigkeit oder Unfähigkeit der Frauen zum medizinischen Studium beweisen kann. B. 

Was sich für ein junges Mädchen schickt und was nicht, das ist zu allen Zeiten von der Sitte mit besonders engen und scharfgezogenen Grenzen umschrieben worden. Aber keineswegs waren diese Grenzen immer dieselben. Im Gegentheil, manches wird heute erlaubt, was vor hundert Jahren verpönt wurde, und manches heute verurtheilt, woran noch die Urgroßeltern keinen Anstand nahmen. Ein köstliches Bild aus diesem Wandel der Zeiten geben uns die schriftlichen Vermahnungen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_482.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)