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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


deren Dasein die genauere Bestimmung der Schwere eines Gegenstandes, sei er flüssig, sei er trocken, wie eine Unmöglichkeit erscheint. Die erste Wage mag recht plump und unbeholfen gewesen sein, aber sie leistete immerhin ihre guten Dienste und vervollkommnete sich im Laufe der Zeiten je nach dem Stande der fortschreitenden Technik. Heißt sie in dem ältesten Aegyptisch einfach nur „die Trage“ und ist ihr Ursprung wirklich auf die hölzerne Trage auf dem Nacken eines Menschen zurückzuführen, der in zwei an Seilen befestigten Gefäßen je eine gleiche Gewichtsmenge trägt wie etwa ein Wasserträger seine beiden gleichschweren Wassereimer – so wandelte sich später der alte Name zu einem neuen um, dessen Grundbedeutung, bezeichnend genug, „Maßgeber“ ist. Die ältesten Gewichte, deren man sich beim Abwägen bediente, hatten die Gestalt eines rohen Steines, die jüngeren dagegen zeigen wohl abgekantete würfelförmige oder tonnenartige Formen oder nachgeahmte Thiergestalten aus Stein und Bronze, wie z. B. liegende Löwen, Stiere, Enten oder nur den Kopf der aufgezählten Vierfüßer.

Mit der Erfindung der Wage, deren beide „Arme“ als die gleichen Hälften einer Gewichtseinheit erscheinen, war die Feststellung des Gewichtes eingeleitet. Durch fortgesetzte Versuche konnte man die Schwere eines Wasserwürfels mit der Kantenausdehnung von einer Elle oder von Theilen der Elle aufs genaueste bestimmen und nun auch rückwärts den verschiedenen Gehalt der Hohlmaße nach dem Wassergewichte feststellen. Das uralte Gesetz von der Wechselbeziehung zwischen Raum und Gewicht war damit begründet, andererseits zugleich die Gelegenheit geboten, zunächst mit Hilfe des Wassergewichtes die Gewichtsstücke selber von der kleinsten Einheit an bis zur größten hin zu normieren und weiterhin ebenso die Hohlmaße.

Der Badersee bei Partenkirchen.
Nach einer Zeichnung von A. Brunner.

Es ist wunderbar, daß die Aegypter dem Wasser dasselbe specifische Gewicht zuertheilt haben, welches bei allen Gewichtsbestimmungen unserem von den Franzosen übernommenen metrischen System zu Grunde liegt. Jedermann weiß, daß diesem als Mustermaß der Meter zu Grunde liegt, d. h. der zehnmillionste Theil des Erdquadranten zwischen dem Nordpol und dem Aequator. Der Meter wird nach decimaler Eintheilung vervielfacht oder in kleinere Theile zerlegt. Als Körpermaß gilt der Liter oder ein Hohlraum in Würfelform, dessen Kanten dem zehnten Theile des Meters in der Länge entsprechen. Mit Wasser auf dem Punkte seiner größten Dichtigkeit angefüllt, dient der Liter zur Schöpfung der eigentlichen Gewichtsnorm, des Kilogramms.

Wie haben nun die Aegypter Maß und Gewicht des Näheren in Beziehung zu einander gesetzt?

Ihre „königliche“ Elle maß 527 Millimeter, und das Wassergewicht des mit Hilfe dieser Längenausdehnung hergestellten Würfels betrug nicht weniger als 1451/2 Kilogramm. Die durchgeführte Theilung führte zu der kleinsten Einheit für den Hohlraum von nahe einem halben Liter (genau 0,455 Liter) mit einem Wassergewicht von 455 Gramm. Dieses Hohlmaß erhielt unter dem Namen „Hin“ die allgemeine Bedeutung unseres Liters und das damit verbundene Wassergewicht die unseres Pfundes. Auf das Grundmaß des Hin wurden die verschiedenen Hohlmaße nach ihrer Fassung geaicht, wie das erhaltene Gefäße mit Aufschriften durch ihren mit wissenschaftlicher Sorgfalt nachgemessenen Inhalt beweisen.

Man theilte weiter das Pfund in 50 gleiche Theile oder Lothe und erhielt als kleinste Einheit ein Gewicht von 9,09 Gramm, dessen Schwere durch aufgefundene und mit Zahleninschriften versehene Gewichtsstücke gleichfalls verbürgt ist. Das Sechzigfache des Pfundes mit dem Gewicht von etwas über 27 Kilogramm vertrat die Stelle unseres Centners und entsprach dem Ausdruck „Talent“ bei den alten Griechen.

Mit diesem ganzen Vorgehen hatte das Pfund, nach dem Wassergewicht bestimmt, seinen ersten Geburtstag gefeiert und Handel und Wandel hatten das Mittel gefunden, nach Maß und Gewicht die flüssige und trockene Ware abzuschätzen.

Nachdem die uralte Weise, im Verkehrsleben eine Ware gegen eine als gleichwerthig betrachtete andere auszutauschen, dem Bedürfniß nicht mehr Genüge leistete, trat damit eine plötzliche Wandlung ein, die mindestens schon an der Wende des 3. Jahrtausends vor Christus stattfand. Die Metalle Gold, Silber und Kupfer wurden je nach dem Gewicht und ihrem Werthverhältniß zu einander als Werthmesser ausgenutzt. Dabei mußten staatlich gesetzliche Bestimmungen den Werth der einzelnen Stücke regeln, damit man sich ihrer als allgemein gültigen Zahlungsmittels bedienen konnte.

Das neu geschaffene Geldgewicht beruhte seiner Gewichtsbestimmung nach auf dem Gewichte des Wassers in einem geaichten Hohlraum. Stellt man sich in einem solchen statt des Wassers eine Füllung von Metallen z. B. Gold oder Silber, vor, so würde je nach dem spezifischen Gewicht derselben ihre Schwere in einem eigenthümlichen Gegensatz zu dem des Wassers gestanden haben. Beispielsweise würde Gold das Wassergewicht des bezüglichen Hohlraumes um das Sechzehn bis Neunzehnfache, Silber um das Zehn- bis Zwölffache übertroffen haben. Ein Ausgleich zwischen dem Wassergewicht und seinem dazu gehörigen Hohlraum und den Metallgewichten nebst ihren bezüglichen, immerhin aber von den Grundmaßen des Wassers abgeleiteten Hohlräumen war daher selbstverständlich geboten. Der Ausweg, um das Mißverhältniß zu heben und besonders dem Kleinverkehr praktische Dienste zu leisten, war ebenso einfach als natürlich. Wog der normale Hohlraum, welcher ein Loth Wasser in sich faßte, nach den Vermessungen 9,09 Gramm, so würde beispielsweise das Goldgewicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_469.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2022)