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und dann zum dritten Male katholisch. Es ist nicht geuan bekannt, mit welchen Vortheilen dieser letzte Religionswechsel verbunden war. Zwischen dem König und dem Baron fand in späteren Jahren ein oft durch Witzturniere belebter Verkehr statt. Einmal übersandte der alte Baron dem König ein Paar Truthühner mit den vier Worten: „Voilà les dindons, Sire!“ („Hier die Truthühner, Sire!“) Friedrich ließ den magersten Ochsen aufkaufen, den man finden konnte, und ihm zwischen die Hörner die zweideutige Inschrift heften: „Voilà le boeuf Poellnitz!“ („Hier der Ochse Pöllnitz!“) Das Thier traf unter dem Jubel der Berliner Bevölkerung im Stalle des Barons ein, und dieser gelobte in seinem Dankschreiben, „das Thier zwar nicht wie den Gott Apis anzubeten, aber als Dankopfer mit dem Freudenruf ‚Vive le roi‘ („Es lebe der König!“) zu verspeisen.“

Pöllnitz wurde nach dem Siebenjährigen Kriege Intendant der Komödie und des Balletts in Berlin, machte sich noch als Ceremonienmeister um die Empfangsfeierlichkeiten bei Ankunft der türkischen Gesandtschaft 1763 verdient, verkehrte von jetzt ab ohne grausame Zwischenfälle ruhig mit dem König, den er bisweilen in Potsdam besuchte, und starb am 23. Juni 1775, von niemand betrauert, wie Friedrich an Voltaire schrieb, als von seinen Gläubigern.

In seinem Nachlaß fanden sich die Memoiren zur Geschichte der vier letzten Souveräne des Hauses Brandenburg, von denen 1791 der bis zu Friedrich dem Großen reichende Haupttheil veröffentlicht wurde. Ueber die Geschichtschreibung von Pöllnitz sagt ein berühmter Historiker, Droysen: „Man wird wohlthun, in dem geistreichen Geplauder dieses immer lächelnden Höflings die verstohlenen Absichtlichkeiten, die heimlichen Bosheiten und Giftstiche nicht unbeachtet zu lassen, mit denen er seiner Erzählung den nöthigen haut-goût giebt. Das ist, wenn man will, die Satisfaktion, die er sich im Schreiben bereitet; für so manche Beschämung, Mißachtung, moralische Demüthigung, die er hinnehmen muß, ist es seine Genugthuung, von anderen übel zu reden, von denen, die ihm immer wieder verziehen und wohlgethan, am übelsten.“

Jedenfalls ist Pöllnitz eine der für das 18. Jahrhundert am meisten charakteristischen Persönlichkeiten. Solcher Höflinge von schlagfertiger Zunge und gewissenlosem Benehmen, von jener praktischen Freigeisterei, für die kein anderer Glaubensartikel besteht als der eigene Nutzen, gab es damals eine große Zahl an allen europäischen Höfen; aber kaum einer war so unverfroren im schamlosen Eingeständniß dieser Gesinnung, so sportsmäßig in seinem Glaubenswechsel wie dieser geistreiche Anekdotenjäger, dieser unermüdliche Spaß- und Schuldenmacher, dieser berufsmäßige Memoirenschreiber Baron von Pöllnitz. Rudolf von Gottschall.     


Die Geschichte vom Pfund.

Von Professor Dr. Heinrich Brugsch.

Die Geschichte, welche ich wahrheitsgetreu und schlicht von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende erzählen will, hat schon lange Jahrtausende hinter sich und ihr Beginn liegt in weiter nebelhafter Ferne. Selbst für das Jahrhundert, in welchem sie anhub, kann die runde Zahl nicht mehr angegeben werden. Nur das eine muß als sicher gelten, daß der damals lebende Mensch noch an den zehn Fingern seine Rechnung abzählte und daß er von rechtem Maße und rechtem Gewicht zunächst keine Vorstellung besaß. Je nach der größeren oder geringeren Ausdehnung eines Gegenstandes maß er damals noch dessen Länge mit Hilfe seines Ellbogens, seiner Hand, deren fünf Finger nebeneinander ruhten oder sich als Spanne ausspreizten, und mit Hilfe seiner Faust und seines Fingers. Daneben diente ihm noch das Längenmaß des eigenen Fußes als Helfer in der Noth, und größere Entfernungen schritt er ab. Da aber selbstverständlich die Hände und Füße der Menschen an sich schon ungleiches Maß haben, ganz abgesehen von den Unterschieden, welche die Glieder der Kinder gegenüber denen der Erwachsenen zeigen, so verfielen die Klugen auf den gescheiten Gedanken, sich in der sichtbaren Natur nach einem Gegenstand umzusehen, welcher keinen zweiten derart neben sich hatte und unverändert dieselbe Ausdehnung besaß.

Wie lange sie danach gesucht haben mögen? Das ist schwer zu sagen, doch ist es gewiß und der Beweis liegt vor, daß ihr Suchen schließlich von Erfolg gekrönt wurde. Und wenn sie den Träger des zukünftigen Grundmaßes auch täglich vor ihren Augen sahen, so war seine Vermessung dennoch keine leichte Sache und forderte die ganze Kraft des erfinderischen Sinnes der ältesten Menschen heraus. Nach vielen Beobachtuugeu hatten sie es nämlich richtig erkannt und durch wiederholte Proben bestätigt gefunden, daß der Durchmesser der Sonnenscheibe, wie sie sich zur Zeit der beiden Tag- und Nachtgleichen von dem Augenblick ihres Erscheinens am Horizont bis zum vollendeten Aufgang, von der Erde aus gesehen, dem menschlichen Auge darstellt, ein unveränderliches Maß abgebe, welches am Himmel immer wieder gefunden werden könne.

Die Hälfte dieses Durchmessers verglichen sie mit der Länge des menschlichen Ellbogens, dessen Zweidrittel mit dem Fuße und sein vierundzwanzigstel mit der Fingersbreite, da die Ausdehnungen dieser Gliedmaßen den angegebenen Verhältnissen in der natürlichsten Weise entsprechen. Nun erst konnte man von einem wirklichen Messen und einem Längenmaß reden, ohne dem Irrthum und dem Ungefähr anheimzufallen.

Mit diesem Triumph des menschlichen Scharfsinnes begnügten sich aber die Altvordern bei ihrem Eintritt in das Kulturleben noch lange nicht, sondern sie sannen weiter darüber nach, wie sie mit Hilfe des entdeckten Längenmaßes oder der Elle auch den hohlen Raum und das Gewicht zu bestimmen vermöchten. So einfach und natürlich uns heutzutage der Weg, welchen sie dabei einschlugen, erscheinen mag, so war seine Auffindung nichts weniger als leicht. Man verfertigte nämlich ein Hohlmaß in Gestalt eines Würfels, dessen sämmtliche Kanten die Länge der gefundenen Elle besaßen, und betrachtete diese Kubikelle als das Grundmaß und die höchste Grundeinheit für die Berechnung hohler Räume. Ging beispielsweise in eine große Kanne gerade soviel Wasser hinein, als das Urmaß, der Ellenwürfel, in sich faßte, so war man sicher, daß das in Rede stehende Gefäß einen gleichen Inhalt wie jenes Urmaß in sich barg. Die Ausmessungen hohler Räume ergaben sich hiernach von selber, und die ersten Anfänge der Aichung waren mit einem Male geschaffen.

Ein solches Gefäß von einer Kubikelle Fassung, das mit Regen- oder reinem Flußwasser oder mit ungemischtem Weine angefüllt war, zeigte ferner bei gleichartiger Füllung stets dieselbe Schwere. Und damit war ein neuer Sieg errungen – es war die Grundeinheit für das Gewicht geschaffen, wie sie nicht schöner erdacht werden konnte.

Wie beim Längenmaß, der einfachen Elle, so brauchte man die Grundeinheiten des Hohlmaßes und des Gewichtes nur zu theilen, um eine ganze Reihe neuer Theilmaße zu gewinnen, welche bis zu dem kleinsten hin im Handel und Wandel des menschlichen Verkehrs ihren Zweck erfüllten.

Alle diese Wege, die ich soeben beschrieben habe, sind von den ältesten Kulturmenschen der Erde eingeschlagen worden, um Maß und Gewicht zu beherrschen, und wenn wir die Aegypter am Nil und die Babylonier am unteren Euphrat in erster Linie aus den übrigen Völkern hervorheben müssen, weil sie gleichsam mit der Elle in der Hand in die Geschichte eingetreten sind, so wollen wir mit gebotener Vorsicht es unentschieden lassen, welchen von den beiden der Vorzug gebührt, als die glücklichen Erfinder der Metrologie, der Maße und Gewichte gepriesen zu werden. Vielleicht auch, daß ein vorgeschichtliches Kulturvolk den ältesten Aegyptern und Babyloniern die metrologischen Errungenschaften eigenster Geistesarbeit als gemeinsames Erbtheil überlassen hatte! Sicher ist es, daß beiden Kulturvölkern dieselbe Gewichtsbestimmung und dasselbe Rechnungssystem eigen war, daß beide gemeinsam als die Väter des Pfundes zu betrachten sind, von dessen Geschichte ich meinen Lesern erzählen wollte, weil die Nachkommenschaft jenes ersten Pfundes mit allen Merkmalen des uralten Ursprunges sich durch die Jahrtausende hindurch bis zu unseren jungen Tagen erhalten hat und wahrscheinlich in der Erinnerung niemals aussterben wird.

Um nicht zu vergessen, was in die merkwürdige Lebensbeschreibung des Pfundes von seiner Geburt an wie eine Nothwendigkeit hineingehört, sei zunächst noch der Wage gedacht, ohne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_468.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)