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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Rübe der Fall. Dieser Laboratoriumversuch war der Ausgangspunkt einer neuen Industrie. Ein Schüler Marggrafs, Professor Achard, begann im Jahre 1786 zuckerreiche Rüben zu bauen und gründete 1796 die erste Rübenzuckersiederei, die allerdings noch von bescheidenem Umfang war; aber schon im Jahre 1800 wurden 16 Centner Rübenzucker in Berlin raffiniert, die Friedrich Wilhelm III. derart befriedigten, daß er Achard die goldene Medaille zur Belohnung des Kunstfleißes zukommen ließ.[1]

Allerdings hatte der Rübenzucker im Anfang einen schweren Stand gegenüber dem Rohrzucker. Das süße Prinzip ist in beiden das gleiche, aber in der Fabrikation hafteten noch beiden unreine Bestandteile an; während nun der Rohrzucker, wenn er nicht sehr sorgfältig gereinigt wird, einen aromatischen Beigeschmack hat, schmeckt der nicht genügend raffinierte Rübenzucker widerlich. Doch in jahrzehntelangem Mühen und Arbeiten wurde die Rübenzuckerindustrie derart vervollkommnet, daß endlich der beste Rübenzucker dem besten Rohrzucker durchaus gleich war. Ja, die Methoden der Rübenzuckerindustrie erreichten eine so hohe Stufe der Vollendung, daß nunmehr die kolonialen Zuckersieder bei den europäischen in die Lehre gingen.

Deutschland, das Heimathland der Rübenzuckerindustrie, ist noch heute die hervorragendste Stätte derselben. Man berechnet, daß die Gesammterzeugung an Zucker auf der Erde etwa 50 Millionen Meter-Centner beträgt, und fast die Hälfte davon entfällt auf den Rübenzucker. Dank den Arbeiten Marggrafs und Achards ist der Zucker bedeutend billiger geworden, und er wäre noch billiger, wenn man ihn nicht so hoch besteuerte.

Der Mensch hat aber den süßen Stoff nicht bloß im Zuckerrohr und in der Rübe, sondern auch in anderen Pflanzen ausfindig gemacht. Als Cortez Mexiko eroberte, da fand er, daß die alten Mexikaner aus dem Safte des grünen Maises Rohzucker zu sieden verstanden, und noch heute wird in Amerika Maiszucker bereitet. Andere ackerbautreibende Völker gewinnen ihn aus der Zuckerpalme und der Zuckerhirse. Die Chemie lernte die verschiedenen Zuckerarten, die im Pflanzen- und Thierreich verbreitet sind, unterscheiden, und neben dem Rohrzucker werden heute auch Milchzucker und Traubenzucker bereitet, die, wie der letztere, namentlich für technische Zwecke, Weinbereitung u. dergl. Verwendung finden.

Im Laufe der Zeit hat der Zucker im Welthandel dieselbe Bedeutung erlangt wie die Genußmittel Tabak, Kaffee und Thee. Für den Kolonialzucker, der von den Antillen, namentlich von Cuba, ferner aus Brasilien, Java und Louisiana eingeführt wird, bildet London den Hauptstapelplatz. Der Hauptmarkt für den deutschen Rübenzucker ist Magdeburg, da in der Nähe dieser Stadt sich die großen Zuckerfabriken der Magdeburger Börde befinden.

Leider ist das Zuckergeschäft nicht immer ruhig und wird nicht ausschließlich durch Herstellung und Verbrauch bestimmt. Da der Zucker zum Leben nicht unbedingt nöthig ist, so fanden die Regierungen in ihm ein willkommenes Steuerobjekt. Anfangs wurde der Kolonialzucker bei der Einfuhr verzollt; als nun die Rübenzuckerfabrikation in Europa in Aufschwung kam, wurde auch der innere Zucker besteuert, aber die Steuer galt nur als Verbrauchssteuer, weshalb den Fabrikanten, welche Zucker ausführten, Rückvergütung der Steuer gewährt wurde. So entstanden die „Zuckerprämien“, die sich oft höher stellten als die wirklich bezahlte Steuer, und dieses System führte wiederholt zu Spekulationen, die sich selbst auf die Zuckererzeugung erstreckten. Es wurde mehr hervorgebracht, als man brauchte, und so traten Zuckerkrisen ein, von denen die im Jahre 1884 für Deutschland die bedeutsamste war.

Und welchen Nutzen hatte nun die Menschheit von diesem neuen Süßmittel? Wie haben sich im Laufe der Zeit die Ansichten der Aerzte über den Zucker gestaltet? Ist er ein Heilmittel oder ein „Gift“; ist er ein werthloses Genußmittel, das nur den Gaumen reizt, oder hat er nährende Eigenschaften?

Der Zucker ist sicher ein Nahrungsmittel; er verbrennt in unserem Körper und erzeugt dadurch Wärme und Kraft. Das wissen die Gemsenjäger, die im Gebirge anstrengende Wege machen müssen. Sie pflegen Zucker und Speck mit sich zu führen. Sind sie ermüdet, so nehmen sie ein Stückchen Zucker in den Mund; die erschöpften Kräfte werden dadurch rasch für einige Zeit gehoben.

Der Zucker ist auch eine Würze; denn durch seinen süßen Geschmack regt er, mäßig genossen, die Speichelabsonderung an und befördert die Verdauung; man pflegt auch Zucker zu essen, wenn man den Magen mit fetten Speisen überladen hat.

Aber der Zucker ist kein Nahrungsmittel, das man in größeren Mengen verzehren kann, denn er erzeugt alsdann Säure im Magen und führt zur Erkrankung der Verdauungsorgane. Da die Zuckerreste im Munde Gährung einleiten, so ist er auch kein Freund der Zähne und wohl geeignet, namentlich bei ungenügender Zahnpflege, schädlich zu wirken.

Diese üblen Eigenschaften theilt er indessen mit vielen anderen sonst nützlichen Dingen; denn schließlich ist alles schädlich, wenn es im Uebermaß genossen wird.

Es hat gewiß einen eigenartigen Reiz, die Entwicklungsgeschichte des Zuckers und die Wandlungen der menschlichen Ansichten von seinem Werthe zu verfolgen. Wir haben den Gang dieser Entwicklung nur in großen Umrissen skizzieren können; wenn man aber tiefer auf den Gegenstand eingeht, wenn man Schritt für Schritt verfolgt, wie der indische „Sarkara“ den Arabern als „Sukkar“ bekannt wurde, wie von diesen die Europäer den „Zucker“ kennenlernten, so finden wir eine ganze Reihe höchst merkwürdiger Vorgänge, die uns tiefe Einblicke in die Kulturgeschichte der Menschheit gewähren. Erst vor kurzem hat Dr. E. O. Lippmann ein Werk, „Geschichte des Zuckers“, herausgegeben, in welchem alle Einzelheiten sorgfältig zusammengetragen sind. St. v. J.     


Deutsche Originalcharaktere aus dem achtzehnten Jahrhundert.

Karl Ludwig Baron von Pöllnitz.

Das achtzehnte Jahrhundert erstarb im Kultus der Höfe; aber einen charakterloseren Höfling hat es kaum hervorgebracht als den Helden unserer Geschichte, den vielgewandten Baron von Pöllnitz. Er ist eins der merkwürdigsten Exemplare jener geistreichen Leute, die damals zu glänzen pflegten, obschon nur mit dem Glanze der aus Sumpf und Moder geborenen Irrlichter. Kein vagabundierender Landsknecht aus der Zeit des Simplicissimus darf sich in Bezug auf die weite Ausdehnung und fortwährende Unruhe seiner Wanderschaften und die Fülle der erlebten Abenteuer mit diesem höfischen Vagabunden vergleichen.

Karl Ludwig Baron von Pöllnitz war zu Issum im Stifte Köln im Jahre 1692 geboren. Sein Großvater war Staatsminister, Kammerherr und Generalmajor gewesen; seine Großmutter, Eleonore Gräfin von Nassau, eine natürliche Tochter des Statthalters der Niederlande, Moritz von Oranien; sein Vater Wilhelm Ludwig, Obrist eines Reiterregiments, hatte mehrere Feldzüge des Großen Kurfürsten mitgemacht. Er starb schon 1693 und ließ seine Witwe in sehr bedrängten Verhältnissen zurück. Sie heirathete 1694 den alten Minister von Meinders, aber der Tod des Gatten trennte auch diese Ehe, und zwar schon im folgenden Jahre. Die jetzt durch die Erbschaft reich gewordene Witwe vermählte sich wieder mit dem Hofmarschall von Wansen der bald infolge von Hofintriguen, die er zum Theil selbst angezettelt, gestürzt wurde. Der junge Pöllnitz, der damals in einer der beiden Compagnien stand, die für den Kronprinzen errichtet waren und von diesem einexerziert wurden, der auch mit dem Prinzen französische Komödien aufführte, mußte selbst um Gnade für seinen Stiefvater bitten. Aus jener Zeit erzählt er in einem seiner Memoirenwerke, er habe 1706 den preußischen Abgesandten von Printzen zu Karl XII. nach Altranstädt begleitet; er beschreibt sogar Wesen und Aussehen des Königs ganz genau; doch ist dies nur Wichtigthuerei und Flunkerei, denn er war damals noch nicht fünfzehn Jahre und hätte nur als Page nach Altranstädt mitgehen können. Davon schreibt er aber nichts. Im Jahre 1708 machte er den Feldzug in Flandern und die Schlacht

bei Oudenaarde mit und will den General Lottum aus der Gefangenschaft

  1. Die Büsten Marggrafs und Achards sind am 8. Juni d. J. an dem Hause, in welchem diese Männer zu ihren Lebzeiten gewirkt haben, dem der preußischen Akademie der Wissenschaften gehörigen Gebäude Dorotheenstraße 10 zu Berlin, angebracht worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_464.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)