Seite:Die Gartenlaube (1892) 461.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Metternich, die schon auf manchen großen Erfolg in Wien zurückblicken kann, ist die Urheberin des Planes zu einer derartigen Veranstaltung, und wenn es ihr einst als Botschafterin in Paris nicht gelungen ist, durch ihr Theaterspielen und die Musik ihres Gemahls Napoleon III. für Oesterreich zu gewinnen, so kann sie dafür jetzt vor den Wienern deren Liebling sie ist, und vor Europa auf ihr Siegesfeld im Prater hinweisen, wo sich auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, in der That eine ganze Welt, von ihrem Winke geführt, zusammenfindet.

Nehmen wir also – einige poetische Licenz wird ja gestattet sein – einen der ebenso theuern als raschen Wiener Fiaker und begeben uns zu der wohlbekannten Stätte im Prater, die seit der Weltausstellung von 1873 schon so viele Sonderausstellungen gesehen hat. Ein seltsamer Holzbau grüßt uns gleich zur Rechten des Eingangsthores. Es ist die gewaltige Halle der Gibichungen errichtet von der kundigen Hand des Malers Josef Hofmann, der hier nach Angaben alter Dichtungen und mit Verwerthung kunstgewerblicher Ueberreste einen Fürstensitz hergestellt hat, wie man sich ihn im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung vorstellen mag. Dadurch, daß in diesen Räumen zugleich Büsten, Bildnisse und Reliquien von Richard Wagner, sowie Abbildungen von Scenen aus seinen sämmtlichen Opern Aufstellung gefunden habett, wird dieser genial entworfene Bau zu einem würdigen Denkmal für den eigenartigsten Meister im Musik- und Theaterwesen der Neuzeit.

 Aus der Ausstellung der deutschen
 Militärmusik.

Volkssänger von 1692. 
Hanswurst-Theater am Hohen Markt. 

Nicht ganz leichten Herzens schlängeln wir uns jetzt zwischen zwei recht einladenden Holzbauten neuesten Stiles durch, die, minder hohen Zwecken gewidmet, auf die Menge keine geringe Anziehungskraft ausüben; in dem einen fließt hellgoldiges „Schwechater“, im anderen dunkelbraunes bayerisches Bier. Wir entziehen uns dem Schicksal von Buridans Esel zwischen den zwei Heubündeln, indem wir entschlossenen Schrittes vorwärts drängen und vor das Theater gelangen, das den Hintergrund des ganzen Ausstellungsplatzes im Westen ausfüllt. Es ist hergestellt von den hervorragenden Theater-Erbauern Fellner und Helmer, die den Theaterbau, wie man fast sagen darf, zu einem der größten Wiener „Ausfuhrartikel“ gemacht haben. Duftig und heiter wie ein Frühlingslied muthet uns diese Schöpfung an, die allen Anforderungen des Geschmackes und allen Bedürfnissen entspricht und für sich selbst einen der beachtenswerthesten Gegenstände der ganzen Ausstellung bildet. Hier sollen der Reihe nach Vorstellungen in den verschiedensten Sprachen stattfinden. Eine Berliner Gesellschaft hat die Spielzeit in angemessener Weise eröffnet und achtungswerthe Proben ihrer Leistungsfähigkeit abgelegt. Zu bedauern bleibt, daß die, wenn nicht größte, so doch interessanteste Schauspielerin der Gegenwart, Eleonora Duse, nicht für ein Gastspiel im Ausstellungstheater selbft gewonnen wurde. Immerhin ist sie gerade recht zur Ausstellungszeit nach Wien gekommen, um wenigstens auf der Bühne des Karltheaters zur Anschauung zu bringen, welche Wege nach der Ansicht der bei uns heute mächtigsten Schule die Schauspielkunst einschlagen müsse, um ihre ganze Wirkung auf den nervösen Menschen vom Ende dieses Jahrhunderts auszuüben. Wie zwei entgegengesetzte Pole standen sich die temperamentvolle, natürliche Spielweise der Duseschen Truppe vom Karltheater und das durch alte feste Ueberlieferungen geregelte, akademische Spiel der Pariser Comédie Française gegenüber, deren Personal im Ausstellungstheater die Berliner Künstler ablöste. Und daß die Zukunft des Theaters in Europa eher der italienischen als der französischen Spielweise gehört, darf man wohl weissagen, auch ohne Voreingenommenheit für unsere Genossen im Dreibunde. Nicht minder anziehend als dieser Wettkampf der zwei romanischen Kulturvölker auf der Bühne ist das Auftreten slavischer Schauspiel- und Operngesellschaften im leichtgezimmerten Heim der Thalia dort im Prater; die Leistungen des tschechischen Nationaltheaters, die Gesangsgrößen und namentlich auch das berühmte Warschauer Ballett der Polen können hier zur Geltung kommen. Und die Ungarn werden den Beweis zu erbringen suchen, daß, obgleich viele ihrer Besten wie von den Tschechen der deutschen Bühne sich zuwenden, doch auch bei ihnen eine tüchtige dramatische Kunst und beachtenswerthe schauspielerische Schulung lebendig ist.

So können die Besucher des Ausstellungstheaters diesen Sommer hindurch in dessen heiteren Räumen einen praktischen Lehrkursus in europäischer Schausplelkunst durchmachen. Freilich muß dieser Genuß mit Eintrittspreisen erkauft werden, die für bescheidene Geldbeutel unerschwinglich sind. Und es ist für den weniger Bemittelten eine schwache Entschädigung, daß er kostenfrei vor dem Beginne der Vorstellungen die hochadeligen und steinreichen Veranstalter der Ausstellung mit Gemahlinnen und Töchtern in rauschendster Modetracht zwischen dem Theater und dem Westthor der Rotunde lustwandeln oder bei einem eigens aus Paris verschriebenen Gastwirthe lukullisch speisen sehen darf. Ein Stück vom großen Welttheater wußte der Erfindungsgeist der Fürstin Metternich auch hierher zu verpflanzen, indem sie „Blumenpromenaden“, wie zur Zeit des Wiener Kongresses, veranstaltete, wo wie beim „Blumenkorso“ im großen Prater Fürstinnen, Gräfinnen und Baroninnen an gewöhnliche Sterbliche in schön geschmückten Zelten Blumen, Ausstellungsschleifen und Münzen verkaufen.

Doch setzen wir unsere Wanderung fort! Wir vermeiden wieder eine in unmittelbarer Nähe des Theaters gestellte Falle, die Pilsenetzer Bierhalle, und lassen uns auch nicht in das „Panorama“ gegenüber locken, wo ein prächtig ausgestatteter Oceandampfer zu schauen ist. Denn der Zusammenhang zwischen besagtem Dampfer und der Musik- und Theaterausstellung ist uns ebenso unklar wie der zwischen eben dieser Ausstellung und den Jagdwagen, Mannesmannröhren, Barometern, Photographieständern, Handschuhen, Stiefeln und anderem derart, das in der Sonderausstellung des Wiener Modeklubs und sonst einen breiten Platz einnimmt.

Ein Rundgang in dem Gebäude des Verlags von Musikalien rückt uns neuerdings die Thatsache vor Augen, daß Wien, die erste deutsche Musikstadt, den Verlag der großen Tondichter im Laufe der Zeit ebenso an reichsdeutsche Firmen abgegeben hat wie den Verlag der bedeutenderen Dichter Oesterreichs. Froh aber muß einem das Herz aufgehen beim lustigen Schattenspieltheater, dann in der großen Musikhalle und in der Tonhalle, wo durch einheimische und auswärtige Gesangvereine deutsche und fremde Volkslieder in historischen Konzerten vorgetragen werden, wo man sich an den Einzelleistungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_461.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2020)