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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

das Fenster. Ihre Blicke maßen seine ruhig dastehende Gestalt und hefteten sich durchdringend auf seine Züge.

„Was ist mit Ihnen vorgegangen?“ fragte sie mit leiser, weicher Stimme. „Seit gestern – die Stunde könnt’ ich Ihnen nennen – – ich habe etwas in Ihnen entdeckt, was Ihnen bisher zu fehlen schien: Sie haben einen Willen!“

Helmuth verbeugte sich verbindlich.

„Einen Willen sogar, der den meinen kreuzt,“ setzte sie hinzu, und die Spannung ihrer Züge löste sich in ein feines, kokettes Lächeln. „Wissen Sie nicht, daß das Neue mich reizt? Ich könnte wahrhaftig Lust bekommen –“

In der ihr eigenen halb herausfordernden Weise brach sie ab. Diese Art, verheißungsvoll anzudeuten, ohne etwas Bestimmtes zu versprechen, hatte noch selten ihre Wirkung verfehlt, am wenigsten auf Helmuth. Und heute?

„Verzeihung – Sie meinten?“ fuhr er plötzlich wie aus einem Traume auf.

Lola sah ihn groß an. War das berechnetes Spiel, war es Wahrheit? Ihr Herz begann zu klopfen. Die beleidigte Eitelkeit wollte den gesichert geglaubten Besitz, den sie so lange aus Herrschlust und Eigennutz festgehalten hatte, so leichten Kaufes nicht fahren lassen. Und es konnte ja nicht sein; er war nur in der That zu lange in ihrer Schule gewesen, hatte gelernt, sie mit ihren eigenen Waffen herauszufordern noch gestern morgen hatte er mit feurigem Blicke und Worte ihre Hand ergriffen –

„Mir fiel ein,“ sagte sie mit vollkommener Haltung, „daß ich Sie um einen Rath bitten könnte; Sie wissen, daß ich nicht gewohnt bin, einen wichtigen Schritt zu thun ohne Ihre freundschaftliche Meinung gehört zu haben.“

Er sah sie fragend an.

„Der Gutsbesitzer Konrad Marboth hat um meine Hand angehalten. Es ist ein glänzendes Los, das er mir bietet, wir würden im Sommer auf seinen Gütern, im Winter in Paris oder im Süden leben. Aber er ist ein wunderlicher Junggesell von fünfzig Jahren, eine etwas tyrannische Natur – was rathen Sie mir?“

In mühsam beherrschter Erwartung stand sie vor ihm. Die sieggewohnte Eitelkeit lechzte nach ihrem Triumph mit einer zitternden Begierde, die ihr ganzes Wesen wie eine neue Leidenschaft ergriff. In diesem Augenblick hätte sie alles drum gegeben, ihn zu ihren Füßeu zu sehen, ihn bebend stammeln zu hören. Keines anderen sollst Du werden, sei mein, endlich mein!

Er stand wieder ans Büffett gelehnt und strich sich bedächtig das dunkle Bärtchen. Eine Weile herrschte so tiefe Stille, daß das schwere Ticken der Uhr hörbar ward; dann hob Helmuth den Kopf und sagte mit einer Ruhe, der ein ironischer Beigeschmack nicht fehlte: „Sie haben ja heute Ihren Kolumbus-Tag: in mir haben Sie einen Willen entdeckt – vielleicht entdecken Sie in sich ein Herz. In diesem Falle rathe ich Ihnen: folgen Sie Ihrem Herzen!“

Abermals zurückgeschlagen! War das auch noch Spiel?

„Sie fangen an, sehr boshaft und amüsant zu werden,“ bemerkte Lola mit geschickt erheuchelter Munterkeit. „Wie schade, daß diese Begabung so spät zur Geltung kommt! Für jetzt erlaube ich Ihnen, mir Resi zu schicken und Ihre Freundin Hedwig von dem erfochtenen Siege in Kenntniß zu setzen. Die Kinder sind in ihrem kleinen Zimmer – Sie wissen ja – die vorletzte Thür im Gange!“

Als Helmuth an die bezeichnete Thür klopfte, erscholl ein kleiner Schrei, dann wurde sehr geräuschvoll mit Papier geraschelt, und schließlich riefen zwei helle Stimmen zu gleicher Zeit „Herein!“

Beide Mädchen, in einfachen Hauskleidern und Schürzen, standen ein wenig verlegen vor dem Eintretenden, doch sogleich ging über Hedwigs Gesicht eine lichte Röthe, und freundlich reichte sie ihm die Hand. Er behielt diese Hand in der seinen und sagte, zu Resi gewendet, daß ihre Mama sie zu sprechen wünsche.

„Sie sind’s – wie hübsch! Aber erschreckt haben Sie uns, weil wir gerade unsere große Arbeit für Mamas Geburtstag vorgenommen hatten. Wollen Sie einmal sehen? Es giebt eine Fensterdecke; ein Zweig ist schon fertig – schön, nicht wahr?“

Resi hob einen großen Papierbogen vom Mitteltisch, und ein riesiger Stickrahmen wurde sichtbar; der eingespannte blaßgelblich schillernde Seidenplüsch zeigte eine gestickte Blumenranke.

„Reizend,“ sagte Helmuth. „Aber nun gehen Sie zu Ihrer Mama, Sie ungehorsames Kind, sie hat zur Revanche auch solch eine sandfarbene Ueberraschung für Sie bereit.“

Resi riß die Augen weit auf, zuckte die Achseln und schlenderte vergnüglich und ahnungslos aus dem Zimmer.

„Es wird doch nicht schon – ist – ist Herr Marboth bei Mama?“ fragte Hedwig erregt und versuchte vergebens, ihm ihre Hand zu entwinden.

Helmuth schüttelte den Kopf und hielt Umschau in dem behaglichen Raume, der mit den zierlichen, in Schwarz und Gold lackierten Möbeln, den fächergeschmückten Wänden und dem Ueberfluß an Nippes den Typus eines Mädchenzimmers darstellte.

„Wie hübsch Sie es hier haben!“ sagte er fast beklommen und athmete andächtig den unbestimmten Duft ein, der jedem Gegenstand dieses Zimmers anzuhaften schien.

„Sie waren doch früher schon öfter hier,“ versetzte Hedwig verlegen und blickte zagend auf ihre gefangene Hand.

„Ja – früher! Da war auch alles anders. Der Schreibtisch zum Beispiel stand früher da, wo jetzt der Blumentisch steht.“

„O nein, Sie täuschen sich – der stand immer dort.“

„Dann fehlten die Fächer und die Vasen mit Wetterdisteln.“

„Nur zwei der Fächer sind neu – die großen japanischen. Die Vasen haben Sie uns ja selbst vor zwei Jahren mitgebracht; wissen Sie nicht mehr?“

„Nein wahrhaftig, das weiß ich nicht mehr. Uebrigeus sind sie nicht sehr schön, Sie sollen andere dafür haben. Was mögen Sie am liebsten? Meißener?“

„O – Herr Helmuth –“

„Und mein Bild habe ich Ihnen auch geschenkt?“

Er nahm von einem Borte ein neues Stehrähmchen mit einer etwas verblaßten Photographie. Hedwig wurde glühend roth und mit verdoppelter Anstrengung bemühte sie sich, ihre Hand aus der seinigen zu befreien.

„Das ist – Sie müssen es Mama nicht übelnehmen – als Sie ihr das neue Bild schenkten, da haben wir – da hat sie uns das alte gegeben – wir hatten ja keins von Ihnen – sind Sie Mama böse?“

„Nein!“ Er sah sie an, sie wandte hastig das Gesicht ab.

„Hören Sie nur, wie laut der Kanarienvogel singt,“ stammelte sie in steigender Verwirrung. „Er merkt, daß ein Fremder da ist – da vermuthet der eitle kleine Künstler ein besonders dankbares Publikum –“

Er hielt unverwandt den Blick auf sie gerichtet. Sie vermuthete, daß er sich innerlich über sie lustig mache, und fügte heftig hinzu: „Warum sehen Sie mich denn so an, wie – wie ein Hofmeister?“

Da wurde plötzlich die Thür aufgerissen, und laut weinend stürzte Resi ins Zimmer. Sie warf sich in die Sofaecke, verbarg das Gesicht im Polster und schluchzte herzbrechend.

Im selben Augenblick hatte Hedwig sich freigemacht und stand an der Schwester Seite, sich voll Schrecken über sie beugend.

„Um Gotteswillen – Resi – Resi –“

Die Kleine fuhr eine Weile fort, ununterbrochen zu schluchzen. Mit einem Male richtete sie sich empor und enthüllte ein vom Weinen verschwollenes rothfleckiges Gesicht von erschütternder Komik. Unter zusammengezogenen Brauen hervor trotzte ein Paar gerötheter Augen bitterböse auf die Schwester, und ein Querfältchen über der kleinen Nase machte die drolligste Wirkung.

„Du bist schuld!“ rief sie, noch halb weinend, „Du ganz allein mit Deinem – Deinem abscheulichen Hochmuth! Aber ich thu’ es nicht – ich will nicht – und wenn Mama Hi – Hi – Himmel und Erde in Bewegung setzt!“

Bestürzt blickte Hedwig abwechselnd auf die Weinende und auf den belustigt dreinschauenden Helmuth.

„So gut hab’ ich’s gemeint – ich wollte all Deine Unfreundlichkeit wieder gut machen,“ fuhr Resi fort, „und nun – nun meint er, ich hätte ihn Dir wegfischen wollen – ich hätte es drauf angelegt – oder gar will er mich aus Mi – Mitleid heirathen, weil er glaubt, ich – ich hätte mich in ihn ver –“

Ein wildes Schluchzen schnitt das Wort mitten entzwei. Hedwig, noch von eigener Herzensnoth erregt, war nicht imstande, die heitere Auffassung Helmuths zu theilen, der lächelnd ans Sofa herantrat.

„Sie unvernünftiges kleines Mädchen!“ sagte er. „Alles, was Sie da vorbringen, ist reine Einbildung. Herr Marboth hat mir sein ganzes Herz ausgeschüttet, es war sehr inhaltsreich; er betet Sie an, er denkt von Ihnen so gut, wie man von seinem Ideal

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