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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

gezogen. Es ist ihm davon nichts geblieben als die Erinnerung an viele sorgenvolle Stunden, viele durchwachte Nächte und das Bewußtsein, allen Kulturvölkern einen hochbedeutsamen Dienst geleistet zu haben. Einige Geschenke, die ihm der Verein deutscher Holzschleifer sowie deutsche Papierfabrikanten als Anerkennung seiner Verdienste um das Papiergewerbe zuwendeten, ferner eine Summe von 4000 Thalern, welche ihm durch die Bemühung geschäftskundiger Freunde bei Gelegenheit der Verlängerung der amerikanischen Patente ausgewirkt wurde, dürften ungefähr die Geldopfer ersetzen, welche Keller im Verlaufe seiner Erfinderarbeit brachte. Für seine geistige Anstrengung und seine Arbeitsleistung blieb die finanzielle Belohnung aus.

Mittellosigkeit, Schäden durch Hochwasser und andere Unglücksfälle zwangen Keller, seine Mühle in Kühnhaide zu verkaufen und das Unternehmen, welches er mit großen Hoffnungen begonnen hatte, unter Einbuße seines Vermögens wieder aufzugeben. Er lebt jetzt im sächsischen Dorfe Krippen bei Schandau, wo er ein freundliches Häuschen bewohnt, in dessen unterem Stockwerk er eine mechanische Werkstatt eingerichtet hat. Dort betreibt er mit einigen Gehilfen ein kleines Geschäft und verdient mit der Anfertigung eiserner Meßkluppen seinen Lebensunterhalt. Die schlimmen Erfahrungen, die er mit seiner großen Entdeckung machte, haben ihn nicht niedergedrückt. Er beschäftigt sich noch jetzt mit neuen Erfindungen, auf welche er bereits Patente erhalten hat oder nachzusuchen gedenkt. In stiller Zurückgezogenheit und in bescheidenen Verhältnissen lebt er dahin, während draußen auf dem großen Weltmarkte mit dem Holzstoff täglich beträchtliche Summen umgesetzt werden, während viele tausend Maschinen rasselnd und klirrend thätig sind, den von Keller unter Entbehrungen erfundenen Holzschliff zu erzeugen, während ein mächtiger Industriezweig sein Dasein von den Erfolgen seiner Entdeckung fristet. Das ist einer jener Gegensätze, in welchen sich das Los der Erfinder so häufig bewegt.


Lolas Töchter.

Novelle von Leo Hildeck.
 (Schluß.)


Kommen Sie, lieber Freund – der neugewonnenen Naiven zu Ehren ist ein Dutzend mir bekannter Journalisten hier, ich möchte Sie vorstellen.“

Damit zog Lola Helmuth in den Gang hinaus, wo sich bereits wandelnde und stehende Gruppen gebildet hatten und der Name des neuen Bühnenmitgliedes alle zwei Minuten an sein Ohr schlug.

Helmuth lachte und sah ihr frei ins Gesicht.

„Sie sind reizend, Lola – ich bewundere Ihre geduldige Bemühung, mich von Hedwig zu trennen. Glauben Sie etwa, ich reize die Tochter gegen die Mutter auf? Sie werden doch inzwischen eingesehen haben, daß Hedwig schwerlich in die Lage kommen wird, den bereit gehaltenen Korb an den Mann zu bringen.“

Lola warf einen raschen Blick umher und entdeckte ihre Töchter in einiger Entfernung mit dem Sandblonden gegen das Büffett vordringend.

„Sie meinen wegen der Komödie mit Resi?“ raunte sie dann, überlegen lächelnd.

„Komödie?“ wiederholte er betroffen.

„Was sonst? Ich selbst hätte ihm ein so kluges Manöver gar nicht zugetraut. Wie er nur darauf verfallen ist, Hedwigs Eitelkeit auf solche Weise zu reizen –“

„Herr Marboth ein Diplomat! Sie reden, als sei er in Ihre Schule gegangen.“

Das bitter betonte Wort war ihm fast wider Willen entfahren; er hätte es gern zurückgenommen, denn ihm selbst erschien es unedel, die neue Herzensfreiheit so schroff zu bekennen. Und doch konnte er dem Gelüste, ihr die zerrissenen Fesseln zu zeigen – ob aus Rache, ob aus Aufrichtigkeit? – nicht widerstehen.

Sie blickte groß und durchdringend zu ihm auf.

„Nun – Sie jedenfalls sind nicht ohne Nutzen in meiner Schule gewesen, das ist mir heute klar geworden!“ versetzte sie langsam und gedämpft.

„Aber zu lange,“ gab er zurück. „Es taugt nicht für den Schüler, die Kunst seines Meisters schließlich zu durchschauen. Es thut zu weh, wenn die Illusionen schwinden –“

In diesem Augenblick kam eine Gruppe von Herren und Damen heran und umringte Lola unter lebhaften Begrüßungen. Helmuth schloß und erneuerte einige Bekanntschaften und bewunderte aufs neue Lolas Kunst, trotz starker innerer Erregung ganz und gar liebenswürdige Weltdame zu sein. Von der anderen Seite nahten die beiden Mädchen mit ihrem Begleiter, den die schöne Frau ebenfalls ihren Freunden vorstellte. Mit unerschütterlichem Ernste ließ Marboth die zehnfache Vorstellung über sich ergehen, versicherte auf die üblichen Fragen, daß Berlin, das Theater und die neue Schauspielerin ihm ausgezeichnet gefielen, und wandte sich, sobald die Höflichkeit es erlaubte, wieder Resi zu, der er, wie Helmuth zu verstehen glaubte, halblaut und geheimnißvoll die Einrichtung seiner Fabrik schilderte. Helmuths belustigte Blicke begegneten denen Hedwigs, welche ebenfalls mit augenscheinlichem Vergnügen das Pärchen beobachtet hatte.

„Das Lustspiel scheint Ihren Beifall zu haben,“ sagte er, zu ihr tretend.

Ihr schalkhafter Aufblick zeigte ihm sofort, daß sie ihn verstand.

„Kein Wunder,“ erwiderte sie fröhlich; „der gute Ausgang i scheint mir nicht länger zweifelhaft.“

Sie lachte auf eine eigenthümliche Art, indem sie die Mundwinkel ein wenig herabzog; es war, als wage sie in ihrer natürlichen Zurückhaltung selbst ihre Heiterkeit nicht offen einzugestehen.

Langsam schritten sie nebeneinander den Gang hinunter.

„Haben Sie nicht Gelegenheit gefunden, mit Resi ein vertrauliches Wort zu wechseln?“ fragte er halblaut.

Sie zögerte einen Augenblick. „Ja,“ gab sie dann zu, „zwei Minuten lang.“

„Nun?“ forschte er weiter.

Hedwig blickte lächelnd vor sich nieder. „Das bescheidene gute Geschöpf!“ sagte sie erröthend. „Sie glaubt noch immer, er – er thue es mir zum Tort, und – und – sie opfere sich für mich auf –“

Sie brach ab und begann ziemlich unvermittelt über die heutige Vorstellung zu sprechen. Jetzt, da ihre Angst und Erregung sich gelegt hatten, schien ihre Scheu vor vertraulicheren Gesprächen zurückzukehren. Helmuth verstand und achtete diesen Zug. Lebhaft ging er auf das neue Thema ein und freute sich ihrer behenden, feinsinnigen Auffassung. Sie uberraschte nicht durch blendende Einfälle; dafür schmiegte ihr Geist sich willig und mit verständnißvoller Anmuth den Absichten des Verfassers an. Ein überblickendes Urtheil gab sie nur zögernd und anspruchslos ab und horchte aufmerksam auf die reifere Kritik ihres Begleiters.

Sehr befriedigt kehrten beide auf den Ruf der Glocke in den Theatersaal zurück. Hedwig war es wie die meisten jungen Mädchen ihres Kreises wenig gewohnt, daß ein gereifter Mann sich zu einem ernsthaften, eingehenden Gespräch mit ihr herabließ; sie fühlte sich geehrt und gehoben.

Nach Schluß des Theaters stellte Lola den Bitten der beiden Herren noch gemeinsam ein Restaurant zu besuchen, trotz Resis flehenden Blicken ein entrüstetes „Nein“ entgegen. Sie erklärte, noch nicht genug Berlinerin zu sein, um eine solche Unsitte statthaft zu finden. So nahm man Abschied bis zum nächsten Vormittag; und während eine herbeigerufene Droschke die drei Damen nach Hause trug, fanden die Herren Platz auf dem Hinterperron eines Pferdebahnwagens, der sie nach der Friedrichstraße führte. Fast taghell zog sich die glänzende, bunt belebte Zeile der Straße hin; die Herren sprangen ab und wandten sich dem nächsten Restaurant zu, um Hunger und Durst zu stillen.

Die Unterhaltung drehte sich um öffentliche Tagesfragen und zeichnete sich keineswegs durch besondere Lebhaftigkeit aus. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt – Helmuth vielleicht auch ein wenig mit denen seines Gefährten. Die Zerstreutheit des jungen Mannes schien zuzunehmen; aus längerem Nachsinnen raffte er sich von Zeit zu Zeit wie zu einem Entschluß auf, zog den Athem kurz an und öffnete den Mund, ohne das, was ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_444.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)