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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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Erfinder-Lose.

Friedrich Gottlob Keller und das Holzschliffpapier.
Von Eduard Grosse.


Wir wandern durch einen Nadelwald und blicken mit Wohlgefallen empor zu den hohen Fichten und schlanken Tannen, die jetzt noch stolz in die blauen Lüfte streben, deren Todesurtheil jedoch schon gesprochen und mit Axthieben in die kräftigen Stämme gezeichnet ist. Dort kreischt die Säge, klingt die Axt, wir sehen einen Tannenbaum schwanken und prasselnd niedersinken. Andere Bäume hat das gleiche Schicksal schon länger getroffen, sie liegen kahl, ihrer Aeste beraubt, ihrer Rinde entkleidet auf der moosüberzogenen Erde. Die Holzfäller berichten uns, daß die gefällten Bäume hinunter nach der Holzschleiferei und Papierfabrik gebracht, daß dort aus ihnen Holzschliff und verschiedenartige Papiere erzeugt werden.

Ein wunderbarer Wandel, vom kräftigen Baumstamm zum dünnen Papierbogen, fast unbegreiflich für den ahnungslosen Laien. und doch hält jeder Leser einer Tageszeitung in dem grauen, billigen Druckpapier ein Stückchen Holz in der Hand, welches jenen Wandel durchgemacht hat.

Die Verarbeitung des Holzes zu Papier ist eine Errungenschaft unseres Jahrhunderts. Früher fertigte man das Papier ausschließlich aus Hadern, die in wassergefüllten Mahlwerken zu Fasern zerkleinert, gebleicht, gefärbt und dann als Brei zu dünnen Bogen geschöpft wurden. Bis zum ersten Viertel unseres Jahrhunderts genügte dieses Verfahren, die vorhandenen Hadern reichten zur Deckung des Bedarfes vollständig aus. Da gewann die neuerfundene Papiermaschine allmählich Verbreitung, die Papiererzeugung nahm eine andere Gestalt an, und die mühsame Handarbeit ward mehr und mehr durch die vielleistende Maschinenarbeit verdrängt. Das Papier konnte mit der Maschine billiger hergestellt werden, was allgemeinere Verwendung desselben zu gewerblichen Zwecken und dadurch Steigerung des Bedarfes zur Folge hatte. Dazu kam die Einführung der von König erfundenen Buchdruckschnellpresse, welche eine Vermehrung der Druckerzeugnisse, besonders der Zeitungslitteratur nach sich zog. Der Papierbedarf steigerte sich infolgedessen von Jahr zu Jahr, und bald sah man der Zeit entgegen, in welcher die vorhandenen Hadern nicht annähernd mehr zur Erzeugung des nothigen Papieres ausreichen würden. Sollten die Papiermaschine und die Schnellpresse ihre volle Macht entfalten, so war es nothig, einen Rohstoff ausfindig zu machen, welcher geeignet war, die Hadern teilweise zu ersetzen.

Nun hatte zwar bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der gelehrte Superintendent Jakob Christian Schäffer in Regensburg Versuche mit pflanzenfasern gemacht und gezeigt, daß es möglich sei, aus Bäumen und Pflanzen Papier herzustellen. Diese Versuche waren aber theilweise in Vergessenheit gerathen, auch kannte man kein geeignetes Verfahren, um sie im großen bei der Massenerzeugung mit Vortheil verwerthen zu können. Und immer gebieterischer machte sich die Forderung nach einem Ersatzstoff geltend. Die Papiertechniker wendeten allen Scharfsinn auf, die Chemiker experimentierten und gingen alle Fächer ihres theoretischen Wissens durch, um dem bedrängten Papiergewerbe zu helfen, doch vergebens!

Was Technik und Wissenschaft nicht vermochten, das gelang einem schlichten sächsischen Weber, dessen Kenntnisse nicht größer waren, als sie nach dem damaligen Stande der Volksschule sein konnten, dessen Erfahrung im Papierfach gleich Null war. Dieser sächsische Weber hatte niemals Papier fertigen sehen, er hatte nie in ein chemisches Laboratorium geblickt, seine technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse hatte er sich durch mühsames Selbstlernen in den Sonntags- und Feierabendstunden angeeignet. Wie so oft bei großen Erfindungen war ihm der Zufall günstig gewesen, und die Natur war seine große Lehrmeisterin.

Sein Name ist Friedrich Gottlob Keller. Am 27. Juni 1816 wurde er in ^Hainichen geboren, dort besuchte er auch die Volksschule. Sein Wunsch, nach Verlassen derselben seine Kenntnisse in einer guten Gewerbeschule zu erweitern und sich der Mechanik zu widmen, scheiterte leider an der Mittellosigkeit seines Vaters, der sich als Weber und Blattbinder mit seiner Familie bescheiden nährte. So mußte sich der lernbegierige Jüngling den Verhältnissen fügen; statt eine höhere Schule zu besuchen, trat er bei seinem Vater in die Lehre und erlernte dessen Handwerk, die Weberei und das Blattbinden. Doch auch während dieser Lehrjahre und später nach seiner Heimkehr von der Wanderschaft ließ er sich seine weitere Ausbildung angelegen sein, kaufte für sein Taschengeld Bücher und beschäftigte sich nebenbei mit mechanischen Arbeiten, unter anderem auch mit dem verlockenden Unternehmen, ein Perpetuum mobile zu konstruieren, d. h. eine Maschine, welche sich ohne Kraftzuschuß von außen selbständig und dauernd bewegt. Zu seinem Heile gab er indessen den unausführbaren Gedanken nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen auf und benutzte seine freie Zeit fruchtbringender mit dem Lesen technischer Schriften. Dabei kam ihm im Jahre 1839 ein Aufsatz über Papierfabrikation in die Hand, in welchem klargelegt wurde, daß es bei dem steigenden Papierbedarf unumgänglich sei, einen Stoff herauszufinden, welcher mindestens theilweise an die Stelle der Hadern treten könnte.

Keller griff diesen Gedanken eifrig auf und nahm sich vor, seine ganze Geisteskraft zur Entdeckung eines derartigen Ersatzstoffes aufzubieten. Zufäliig erregte in jener Zeit der künstliche Bau eines Wespennestes wegen der dünnen, papierähnlichen Wände seine Aufmerksamkeit: er beobachtete die Wespen beim Nestbau und entdeckte, daß diese die dünnen Wände aus Holzfasern herstellten, die sie mit ihren Kiefern abrissen und aneinanderfügten. Infolge dieser Entdeckung stieg in Keller der Gedanke auf, daß die Arbeit, welche die Wespen mit ihren Kiefern verrichten, auf mechanische Weise ausgeführt, vielleicht einen geeigneten Holzfaserstoff zur Papiererzeugung ergeben könnte. Zunächst machte er eine Probe mit Sägespähnen, die er in starker Sodalauge kochte, um die Fasern von ihren inkrustierenden Theilen zu befreien und bloßzulegen. Indessen scheiterte sein Plan an seinen unzulänglichen Einrichtungen; denn die Fasern können nicht durch einfache Siedehitze freigelegt werden, sondern nur unter starkem Dampfdruck. So gab er das Kochen auf und wählte einen anderen Weg, indem er daran ging, die Fasern durch Schleifen mittels eines hartkörnigen Steines zu gewinnen.

An einem Nachmittage des Jahres 1843 machte er die ersten Versuche mit einem gewöhnlichen Schleifsteine, den er vom anhaftenden Schmutze gereinigt hatte. Diesen Stein ließ er in Wasser laufen, drehte ihn mit der einen Hand und preßte mit der andern ein Stück Holz dagegen. Nach länger fortgesetztem Schleifen nahm das im Schleiftrog befindliche Wasser das Aussehen von dicker Milch an, und allmählich sammelte sich das abgeschliffene Holz als weiße Fasermasse. Diese that Keller in ein Gefäß, ließ es einige Zeit stehen, goß dann das obere, helle Wasser ab und begab sich hierauf an seine Berufsarbeit, um die versäumte Zeit wieder einzubringen. Am Abend nahm er das Gefäß vor dem Essen wieder zur Hand, stellte es auf den gedeckten, mit einem Tischtuch belegten Tisch und quirlte die Fasermasse kräftig durcheinander. Dabei spritzte eine Kleinigkeit der Masse heraus, fiel auf das Tischtuch und breitete sich dort flach aus, wobei das Tuch den überschüssigen Wassergehalt an sich zog und die zurückbleibende Masse das Aussehen von feuchtem Papier annahm. Keller löste den Faserstoff behutsam mit einem Messer ab, preßte ihn zwischen den Blättern eines Buches kräftig aus und ließ ihn am Ofen trocknen. Als dies geschehen war, glättete er das dünne Blättchen, welches nun alle Eigenschaften eines groben Papieres zeigte. So hielt er noch am Abend desselben Tages das erste Stückchen Holzpapier in der Größe eines Zehnpfennigstückes in der Hand.

Welch freudige Aufregung sich des siebenundzwanzigjährigen Erfinders bemächtigte, kann man sich denken. Das kleine Blättchen gab ihm die Gewißheit, daß er auf dem richtigen Wege war, es gab ihm die Gewißheit, daß die Erfindung in ihrer Grundlage bereits gelungen war, und wenn er, wie er selbst erzählt, die darauffolgende Nacht vor Aufregung nicht schlafen konnte, so ist das nur zu natürlich. Dieses erste Stückchen Holzpapier sowie ein Theil des Wespennestes, welches die Erfindung veranlaßte, befindet sich noch jetzt im Besitze Kellers.

Der große Wurf war gelungen, der Stoff gefunden, welcher die Hadern zu ersetzen vermochte; allein jetzt stand der Erfinder vor der weiteren Aufgabe, seine Erfindung so auszubilden, daß wirklich große Papierbogen aus Holzschliff gefertigt werden konnten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_442.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)