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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

das Kloster,“ befahl der Propst, „und schweiget von allem, damit nicht ein Unberufener dem armen Weib des Sudmanns die schlimme Botschaft zutrage!“ Und auf Wolfrat deutend, sagte er zu Pater Eusebius. „Diesen da vertrau’ ich Deiner Pflege; bessere weiß ich nicht. Nimm ihn mit in die Klause, thue, was Du vermagst, opfere Deine Tage und Nächte, vielleicht läßt sich sein Leben doch noch erhalten ...“

Eusebius zuckte die Schultern, während die Knechte den Bewußtlosen achtsam in das Schiff hoben. „Er muß eine Natur haben, wie ein Baum ... doch die Säge ist zu tief gegangen! Er kann noch Stunden, noch Tage ringen, aber ...“ Eusebius schwieg.

„Sollte er noch einmal sprechen können, so frag’ ihn um alles, was er weiß von seiner Schwester.“

„Er wird nicht sprechen. Eh’ ich ihn noch in die Klause bringe, wird das Wundfieber kommen ... oder das Ende!“

„Herr!“ stammelte Pater Desertus. „Darf ich nicht mit ihm ziehen? Ich will wachen bei ihm, und wär’ es durch tausend Nächte ... und harren auf ein Wort ...“

„Nein, Desertus, Du bleibst!“ sagte Herr Heinrich, den Namen betonend, den er sonst nicht zu gebrauchen pflegte.

Der Kahn mit Haymo schwamm bereits der Seeklause zu, um Walti abzuholen. Nun stieß auch der andere Nachen in den dunkelnden See, dessen Spiegel sich im sanft anhauchenden Abendwind zu kräuseln begann.

Pater Desertus war auf einen Stein gesunken, erfüllt von wirbelnden Gedanken und stürmischem Empfinden.

Herr Heinrich trat an das Ufer und blickte den ziehenden Schiffen nach. Da sah er auf dem Wasser einen dunklen Körper treiben. Es war die Leiche der armen Hel.

„Jetzt hab’ ich sie umsonst gebrannt!“ murmelte Herr Heinrich ... und sein Blick suchte den Nachen, der den todwunden Sudmann nach der Klause trug.


21.

Pater Desertus und Herr Heinrich waren allein. Sie mußten warten, bis das Schiff von Bartholomä zurück kam, um sie abzuholen. „Komm’, Dietwald, mir graut vor diesem Fleck Erde!“ sagte Herr Heinrich und schritt dem Pater voran der Klause zu. Schweigend folgte Desertus; doch immer wieder blieb er stehen und preßte die Fäuste auf seine wogende Brust.

Nun saßen sie auf der Bank. Herr Heinrich seufzte: „Ein böser, böser Tag! Ich glaubte, ein Menschenleben gerettet zu haben, und nun ist es verloren!“

„Und ein Mund geschlossen, der nur halb geredet!“ brach es mit fiebernden Worten von den Lippen des Paters. „Doch nein, nein, nein! Muß ich denn noch warten auf dieses Mannes Rede – es redet ja doch mein Herz. Wie blind waren meine Augen, wie taub und irrend meine Sinne, daß ich die Wahrheit nicht ahnte, nicht gleich erkannte! Es ist mein Kind! Und dennoch . . . was hätt’ ich nicht gegeben für ein klares, unumstößliches Wort. Ach Herr! Weshalb habt Ihr mich nicht gehen lassen mit diesem Manne ...“

„Weil Du noch reisen wirst in dieser Nacht!“

Pater Desertus sprang auf. „Das könntet Ihr begehren von mir? Jetzt? In dieser Stunde? Da die Brust mir springen will vor Bangen und Hoffen? Da ich in zitternder Sehnsucht die Arme strecke nach meinem Kind!“

„Pater Desertus? Ein Mönch?“ fiel Herr Heinrich mit ernsten Worten ein. „Ich verstehe Deine Rede nicht! Ein Irrwahn ist aus Deinem Herzen gerissen, und schon droht ein neuer all Dein Sinnen und Fühlen zu verschlingen und Dich vergessen zu machen, daß mit der Stunde, da Du in Gottes Haus getreten, ein eisern Thor sich geschlossen hat zwischen Dir und allem, was hinter Dir in der Welt liegt. Ich trage selbst die Schuld daran, denn ich hätte schweigen sollen von dieser Ahnung, die auch jetzt noch keine Gewißheit ist! ... unterbrich mich nicht ... und so seh’ ich für mich auch doppelte Pflicht, Dich einem neuen Kampf und Zwiespalt zu entreißen. Du wirst reisen noch in dieser Nacht. Dein Propst befiehlt es Dir!“

Pater Desertus schlug die Hände vor das Antlitz.

Herr Heinrich aber zog sie ihm nieder. „Nun komm’ und setze Dich zu mir. Jetzt will Heinrich von Inzing reden mit seinem Freunde Dietwald!“

Desertus fiel auf die Bank und drückte das Antlitz schluchzend an Herrn Heinrichs Schulter.

Eine Weile schwieg der Propst; dann sagte er: „Höre mich ruhig an. Und wenn Dein Herz nicht verstummen will, so halte die Lippen fest. Ich gebe ja zu: diese seltsame Aehnlichkeit und auch schon das halbe Geständniß, das der nahende Tod diesem armen Menschen entpreßte ... das sind verführerische Zeugen. Aber wie zweifelhaft sie doch auch wieder sind, das magst Du daraus entnehmen, daß Du selbst ohne mein unvorsichtiges Wort mit keinem Gedanken auf solchen Zusammenhang gerathen hättest. Siehst Du? Nun läßt Du den Kopf wieder hängen! Noch darfst Du keine Gewißheit hegen, kaum eine zitternde Hoffnung! Die laß’ ich Dir ... denn ich kann sie Dir nimmer nehmen. Aber sie zittert, Dietwald! Wenn dieses Mädchen schon nicht die Schwester des Sudmanns ist, muß es deshalb die Tochter jenes Grafen Dietwald von Falkenberg sein, der, wenn ich mich recht entsinne, gestorben ist ... für die Welt! Kann das Mädchen nicht auch eines anderen Vaters ... Sprich nicht, Dietwald, denn ich muß Dir weh thun, wenn die mögliche Enttäuschung Dich nicht mit doppeltem Schmerz beladen soll. Muß Deine Burg die Heimath dieses Kindes gewesen sein? In dieser mörderischen Zeit, in der man Burgen wirft wie Maulwurfshügel und Schlösser niederbrennt wie Flachs in den Kunkelstuben . . . ist es in solcher Zeit denn ein so seltener Fall, daß sich ein Herrenkind in die Bauernhütte verirrt? Doch wer nun auch der Vater dieses Kindes sein mag, eines wissen wir gewiß ... es ist ein Herrenkind, und ich will es seinem Stande zurückgeben, will ihm zu seinem Recht verhelfen. Und auch hier, Dietwald, kann ich nicht wissen, nur hoffen, daß sein Recht auch sein Glück sein wird. Schon morgen send’ ich das Mädchen in das Heim der Domfrauen nach Salzburg ...“

„Fort von hier?“ stammelte Desertus.

„Ja, Dietwald, fort . . . fort vor allem! Und aus einem zwingenden Grunde.“

„Herr ...?“

„Das Mädchen liebt den Jäger.“

Desertus erschrak. „Ein Kind!“

„Ein Kind, das ein Augenblick herzbrechender Angst zum Weibe machte. Noch aber weiß sie selbst nicht, daß sie aus Liebe that, was sie gethan. Ich hoffe nur von ihrer Jugend, daß dieses Gefühl noch nicht so fest verwurzelt ist, um sich nicht wieder zu lösen in langer Entfernung, unter neuen überraschenden Eindrücken. Um meinen guten treuen Haymo ist mir freilich leid und bang, er wird das Mädchen nie vergessen; er hat um ihretwillen gethan, was er nicht gethan hätte um sein Leben . . . er hat seiner Pflicht zuwider den Raubschützen und Mörder verleugnet. Er wird schwer gestraft, der arme Bursch’.“

„Daß doch keine Freude blühen kann, ohne Schmerzen zu reifen!“ flüsterte Pater Desertus mit bebender Stimme.

„Wir wollen sehen! Ich thue, was ich muß – alles andere liegt nicht in meiner Hand.“

„Was meint Ihr, Herr?“

„Nichts!“ sagte Herr Heinrich, wie aus Gedanken erwachend. „Morgen schicke ich das Mädchen fort. Noch aber darf niemand erfahren, weshalb. Alles soll erscheinen wie eine Laune von mir, die das Glück dieses Kindes will. Wir dürfen sie in das neue Leben nur langsam einführen, vorsichtig ... oder aus diesem scheuen Häslein wird eine junge Löwin, die sich wehrt! Es steckt Blut in diesem Kind. Weißt Du, was sie gesagt hat, als sie dem Haymo von ihrer Begegnung mit einem Bären erzählte und der Jäger erschrocken fragte, was sie wohl gethan haben würde, wenn der Bär sie angenommen hätte. Sie sagte: ‚Ich weiß es selber nicht, aber wenn er gekommen wär’, ich glaub’ wohl, daß ich zugeschlagen hätt’!‘“

Pater Desertus drückte die Hände auf seine Brust, und es blitzte in seinen feuchten Augen. Das sollte sein Kind nicht sein?

„Und ich glaube, Dietwald, wenn Du jetzt vor sie hintreten und ihr sagen wolltest, ein König wär’ ihr Vater, eine Königin ihre Mutter ... sie würde das Köpfchen schütteln, minder in Unglauben als in Unwillen. Denn selten noch hing ein Kind an seinen leiblichen Eltern mit solcher Liebe und Verehrung wie dieses Mädchen an den Bettelleuten, die seine Pfleger wurden ...“

„Und all seine Liebe genossen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_430.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)