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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Und hast Dich übermüdet dabei, jetzt, vor dem Abstieg! Und wie bleich Du bist. Gieb Deine Hand her – sie zittert! Und Deine Augen brennen! Haymo, ich muß Dich in der Hütte lassen.“

Der Jäger erschrak. „Ich bitt’, Herr Heinrich, nur das nicht! Ich mein’, ich thät’s nimmer aushalten in der Hütte . . . vor ich nicht wieder gesund bat . . . ganz gesund!“ Er betonte die beiden letzten Worte so seltsam.

Der Propst betrachtete ihn mit forschendem Blick. „So geh’ in die Hütte und richte Dich zur Heimfahrt.“

Haymo trat in die Stube. Herr Heinrich blickte ihm nach. „Seine Wunde heilt ... und sein Herz ist siech geworden. Armer Bursch, ich fürchte, diese Blume ist nicht für Dich gewachsen.“

Er hörte Hufschlag; der Knecht mit dem Saumpferd kam. „Ist das Thier müde?“ fragte der Propst.

„Nein, Herr, ich hab’s allweil rasten und grasen lassen.“

„So können wir gleich aufbrechen. Sperr’ die Thür’ der Herrenhütte und bring’ mir mein Griesbeil!“

Haymo kam, wie zum Hegergang gerüstet, das Weidgehenk um die Hüfte, die Armbrust auf dem Rücken.

„Nein, Du!“ lächelte Herr Heinrich. „So wirst Du mir nicht reiten . . . gewaffnet und den Arm in der Schlinge! Die Waffen hindern Dich. Gieb her, der Knecht soll sie Dir tragen.“ Er nahm ihm die Armbrust und den Fänger ab. „Das Griesbeil laß heroben in der Hütte, das Pferd hat viere für eins. So, und nun steig’ auf!“

„Herr Heinrich!“ stotterte der Jäger. „Ich soll reiten, derweil Ihr zu Fuß gehet?“

„Steig auf, sag’ ich!“

Haymo fügte sich schweigend und hob sich in den Sattel. Der Knecht nahm die Armbrust und schnallte sich das Gehenk um. „So, jetzt bin ich auch ein Jäger!“ lachte er, stieß das Griesbeil in den Grund und faßte den Zügel des Pferdes. Haymo warf noch einen heißen Blick auf die geschlossene Thür seiner Hütte, dann ließ er den Kopf sinken ... und die Heimfahrt begann.

Herr Heinrich schritt hinter dem Pferde her; doch immer wieder blieb er stehen und blickte über das Steinthal aus. Wenn er dann weiter ging, schüttelte er den Kopf. Es schien als hätte er etwas erwartet, und das wäre nicht eingetroffen.

Ruhig und sicher ging das berggewohnte Pferd den rauhen Pfad; kamen schiefe Platten, dann legte es den Leib zurück und rutschte auf den vorgeschobenen Hufen. Vorerst hatte der Knecht, der es führte, leichte Arbeit. Unermüdlich plauderte er drauf los, und es störte ihn nicht, daß Haymo mit keiner Silbe Antwort gab.

Sie hatten den Wald erreicht. Die niederstehenden Aeste, denen Haymo mit dem Kopfe ausweichen mußte, rissen ihn aus seiner Versunkenheit und als seine Augen nur einmal lebendig wurden, gingen sie auch fleißig in die Runde. Da merkte er, daß die Hel, welche vorausgesprungen war, regungslos auf dem Pfade stand, mit gesträubtem Haar und funkelnden Augen. Haymo bohrte die Blicke in das Dunkel des Waldes und leise rief er über die Schulter zurück. „Herr, leget flink einen Bolz auf!“

Herr Heinrich griff zur Armbrust.

„Seht Ihr ihn ... dort ...“ flüsterte Haymo.

Aber mit aller Eile war Herr Heinrich zu spät gekommen. Wie ein grauer Schatten huschte der Wolf zwischen den Bäumen dahin.

„So ist also Meister Isegrimm schon wieder daheim in den Bergen[1]?“ lachte der Propst, die Sehne der Armbrust lösend.

„Das ist der erste, den ich seit dem Herbst gesehen hab’,“ sagte Haymo.

„Wir haben ihm sein Mittagsschläfchen gestört.“

Die Hel machte einen Versuch, dem Ausreißer nachzujagen; aber ein Pfiff des Jägers rief sie zurück.

Der Pfad wurde steiler, und der Knecht mußte nun das Saumpferd fest an die Hand nehmen. Nur langsam ging der Abstieg von statten. Einmal blieb Herr Heinrich lauschend stehen. Er schüttelte den Kopf und ging wieder weiter. Doch nein, er hatte sich nicht getäuscht. Nun klang es deutlich wie eilende Schritte weit hinter ihnen. Ein zufriedenes Lächeln umspielte die Lippen des Propstes. Er setzte sich auf einen gestürzten Baum und wartete.

In langen Sprüngen kam Wolfrat über den Pfad heruntergestürmt. Der Schweiß troff ihm von der heißen Stirn, und keuchend blieb er vor dem Propste stehen. Fast eh’ er noch Athem fand, begann er schon zu reden.

„Herr ... Herr ... jetzt sind sie alle weg ... auch der letzt’, der schier gar nicht hat weichen wollen!“

„Wirklich?“

„Ja, ich hab’ nicht ausgelassen. Und .. und jetzt hätt’ ich eine Bitt’, Herr!“

„Sprich, Wolfrat!“

„Lasset mich mit Euch gehen, Herr! Schauet, auf mir liegt die Noth wie ein Trumm Stein, aber ich mein’, es wär’ mir nirgends so wohl als wie bei Euch.“

„So komm’!“ Herr Heinrich erhob sich.

„Und ... wenn ich heimkomm’, so red’ ich mit meiner armen, guten Seph,’ und wenn sie meint, daß sie’s tragen kann ... in Gottesnam’, so geh’ ich halt hin zum Vogt und thu’ mich angeben.“

Herr Heinrich sprach kein Wort. er legte nur die Hand auf Wolfrats Schultern. Dann gingen sie. Als sie zu den anderen kamen, eilte Wolfrat auf das Saumpferd zu. „Gieb her, ich mach’ das besser!“ sagte er und nahm dem Knechte den Zaum aus der Hand.

Haymos Züge wurden finster, seine Augen funkelten; doch schweigend ließ er alles geschehen. Mit scheuem Blick schaute Wolfrat zu ihm empor. „Jäger ... jetzt kannst auch schlafen!“

Das Pferd merkte die feste, sichere Hand, an der es ging, und setzte sich in rascheren Schritt.


20.

Es war später Nachmittag geworden, als Herr Heinrich mit seinem Geleit den See erreichte. In den weiten Felsenkessel fiel keine Sonne mehr, aber hoch oben die Almen und Kuppen funkelten noch in goldenem Glanz. Hier unten im Schatten waren alle Farben tief und satt. An den bleigrauen Felswänden hingen die steilen Nadelwälder wie dunkler Sammet, in welchen das frische, nun schon kräftig sproßende Grün der Buchen und Ahornbäume mit lichter Zeichnung sich einstickte. Glanzlos, durchsichtig und glatt dehnte sich der See. Weit draußen schwammen einzelne Wildenten langsam umher. Drüben auf der flachen Landzunge, welche die Bartholomäer Klause trug, dampfte ein feiner Nebel aus den feuchten Wiesen. Ueberall lautloses Schweigen; denn die an Wasser schon verarmenden Gießbäche rauschten so eintönig zusammen, daß ihre gleichmäßig andauernde Stimme das Ohr wie Stille berührte ...

Haymo stieg vom Saumpferd. Der lange Ritt hatte ihn schwer ermüdet. Während er das Gebüsch suchte, in welchem der Einbaum verborgen lag, gab Herr Heinrich dem Knechte den Auftrag, das Saumpferd um das Ende des Sees herum über die Salletalpe nach der Bartholomäer Klause zu führen, von wo es die Fischknechte in einem größeren Kahn nach dem Seedorf schaffen könnten.

Wolfrat schob den Einbaum ins Wasser, und unruhig winselnd sprang die Hel in den Nachen; sie war keine Freundin von solchen Fahrten; da sie aber merkte, es mußte sein, so war sie auch die erste im Kahn.

„Wo ist der Knecht hin?“ fragte Haymo. „Er hat ja mein Schießzeug.“

„Laß es ihm nur, es geht Dir nicht verloren,“ lächelte Herr Heinrich, „und heute brauchst Du ja Deine Waffen nimmer.“

„Aber mir fehlt halt was, ich hab’ keine Ruh’!“

„Geh’ nur, steig ein!“

Die Hel hatte sich auf dem Schnabel des Einbaums ein möglichst unbeguemes Plätzchen ausgesucht. Auf dem Brett in der Mitte saß Haymo neben Herrn Heinrich, der das Wehrgehenk abnahm und mit dem Griesbeil auf den Boden legte. Wolfrat führte, im Spiegel des Schiffes stehend, das Ruder; er trieb den Nachen mit so kräftigen Stößen, daß die Hel bei jedem Ruck ins Wasser zu plumpsen drohte. Herr Heinrich rief sie vor seine Füße; sie kam auch, aber gleich wieder schlich sie zum Schnabel des Fahrzengs zurück, winselnd nach dem Lande spähend. Leise plätschernd glitt der Einbaum durch das Wasser. Niemand sprach. Immer näher rückte das flache Ufer des Felsenthals, in welchem die Seeklause stand. Plötzlich richtete die Hel sich auf, zitternd, die Nase windend vorgestreckt.

  1. Die Bergwölfe pflegten mit Einbruch des schweren Winters in das flache Land auszuwandern, um erst mit dem Frühling wieder in das Hochgebirg zurückzukehren.
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