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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Rechte hinweggehen, da der tödliche Haß des Prinzen gegen den Vater doch keine greifbare Gestalt angenommen hatte und bis zu einem eigentlichen Attentat nicht gediehen war. Vorläufig wurde eine aus dem Kardinal Spinosa, dem Fürsten Ruy Gomez und einem Licentiaten bestehende Kommission gebildet, um die Sache des Prinzen zu untersuchen und abzuurtheilen. Die Inquisition ist, wie jetzt feststeht, an seinem Prozesse in keiner Weise betheiligt gewesen.

Die Wendung, welche die Schicksale des Prinzen nahmen, überhob die Kommission eines Spruches. Harte Behandlung, Mangel an Luft und Bewegung und ein starkes, periodisch wiederkehrendes Fieber raubten ihm den Rest von Lebensmuth und Lebenshoffnung. Er unternahm einige vergebliche Versuche, sich selbst zu töten, auch durch Hunger. Der Kamin war vergittert worden, und beim Decken des Tisches wurde kein Messer aufgelegt. Im Mai wurde er gefaßter und ruhiger. Er beichtete und ließ seinen Vater um Verzeihung bitten. Einige Abgeordnete, Mitglieder der Stände von Aragonien, Valencia und Katalonien, kamen, um ihn zu sprechen und sich für seine Freilassung zu verwenden. Der König bemerkte mit großem Mißfallen diesen neuen Beweis des Zusammengehens der Stände mit dem Prinzen und ließ sie abweisen. Unmittelbar darauf trat bei dem Kranken Erbrechen ein. Im Juli trank er, wie später den Gesandten in einem amtlichen Bericht bekannt gegeben wurde, zur Bekämpfung seines Fiebers nach früherer Gewohnheit nüchtern eine große Menge von Eiswasser, nahm Eis selbst in sein Bett, ließ Eiswasser in sein Zimmer gießen, daß es hoch darin stand, und watete darin mit nackten Füßen umher; dann verzehrte er eine stark gewürzte Pastete und trank wieder Eiswasser dazu. Sein Zustand wurde darauf, wie der Arzt ihm erklärte, hoffnungslos. Er sah dem Tode mit Ruhe entgegen und verfügte letztwillig über sein geringes Besitzthum. Den König bat er in seinem Testament, die Gläubiger zu befriedigen, die er nicht befriedigen konnte, und für seine Diener zu sorgen. Nach Erfüllung seiner letzten kirchlichen Pflichten ließ er seinen Vater bitten, ihm persönlich seinen Segen zu geben. Des Prinzen Beichtvater aber fürchtete, daß der Anblick des Mannes, den der Prinz so glühend gehaßt hatte, störende Erinnerungen bei dem Sterbenden wachrufen könnte. Philipp hatte seinen Sohn, obwohl er mit ihm im Schlosse zu Madrid unter einem Dache wohnte, seit der Verhaftung nicht wiedergesehen und kam auch jetzt nicht.

Friedlich verschied Don Carlos am 24. Juli des Jahres 1568.

Unter den Zeitgenossen, auch unter gut unterrichteten Personen, welche am spanischen Königshof Zutritt hatten – wir nennen z. B. den französischen Gesandten Baron von Fourquevaulxs – ist nach Ausweis ihrer Aufzeichnungen der Glaube verbreitet gewesen, daß der König seinen Sohn eines gewaltsamen Todes habe sterben lassen. Daß dies geglaubt wurde, ist begreiflich genug. Als Prinz Karl gefangen saß, hatte Philipp außer ihm an Kindern nur zwei kleine Mädchen, die beiden Töchter Elisabeths, nämlich die Infantinnen Clara Eugenia und Catalina, von denen jene im Angust 1566, diese im Oktober 1567 geboren war. Starb Philipp um diese Zeit, so würde er nicht haben verhindern können, daß, trotzdem er den Prinzen für regierungsunfähig hatte erklären lassen, sich viele seiner Unterthanen für die Thronfolge des Don Carlos und gegen die Thronfolge der von einer französischen Prinzessin bevormundeten ältesten Infantin ausgesprochen hätten; dann war der Bürgerkrieg unvermeidlich. Und ob bei Lebzeiten des Königs die Stände die dauernde Gefangenschaft des Kronprinzen still ertragen hätten, ist fraglich. Der gefangene Thronfolger war dem König gefährlich, der tote war es nicht. Wessen aber Philipp fähig war, wenn ihm jemand im Wege stand, das ist durch die erst im Jahre 1844 erfolgte Auffindung einer Reihe eigenhändig von ihm ausgestellter oder unterzeichneter Befehle an einem furchtbaren Beispiel von neuem festgestellt worden.

Im Jahre 1566 schickte nämlich der niederländische Adel zwei seiner angesehensten Mitglieder, den Markgrafen von Berghen und den Freiherrn von Montigny, nach Spanien, um den König zu einiger Nachgiebigkeit gegen die niederländischen Stände zu bewegen. Philipp empfing die Abgesandten gütig und hielt sie hin, ohne sie aus den Augen zu lassen. Als im September des folgenden Jahres die Nachricht von der Gefangennahme der Grafen Egmont und Hoorn, welch letzterer ein Bruder Montignys war, nach Madrid kam, beschloß der König, die beiden in seiner Hand befindlichen, einflußreichen Mitglieder des ihm verhaßten Adels zu beseitigen, in Uebereinstimmung mit den Befehlen, welche er dem Herzog Alba nach den Niederlanden mitgegeben hatte und welche zur Hinrichtung der Grafen Egmont und Hoorn führten. Der Markgraf von Berghen starb um diese Zeit, und so hatte Philipp sich nur noch mit dem Freiherrn von Montigny zu befassen. Montigny wurde unter der hinfälligen Anklage, das Verhalten eines aufständischen Adels vor den königlichen Staatssekretären vertheidigt zu haben., erst in Segovia und dann in Simancas gefangen gesetzt. Der Gouverneur mußte einen Arzt holen und bekannt werden lassen, daß der Gefangene an Fieber leide. Dann ließ man erst mehrere Wochen verfließen. Am 14. Oktober des Jahres 1570 trat ein Geistlicher zu ihm ein, bereitete ihn zum Tode vor und brachte ihm die letzten Tröstungen der Kirche. Am 16. erdrosselte ihn der Henker in aller Heimlichkeit. Der Gouverneur erklärte, der Gefangene sei am Fieber gestorben. Montignys Leiche wurde im Gewand eines Franziskaners und mit übergezogener Kapuze, welche die Spuren des gewaltsamen Endes verhüllte, öffentlich ausgestellt und mit großer Feierlichkeit im Dome von Simancas begraben. Jede Einzelheit in diesem Vorgehen gegen Montigny ist, wie wir wiederholen, durch eigenhändige, noch heute erhaltene Anweisungen Philipps vorgeschrieben worden. Allerdings würde die Tötung des eigenen Sohnes eine noch viel ungeheuerlichere That sein, und so hat sich Ranke auf die Seite des venetianischen Gesandten Cavalli gestellt, welcher, obwohl er das Verfahren Philipps gegen Don Carlos ausdrücklich für grausam erklärte, doch – im September 1568 – an seine heimische Regierung schrieb:

„Weil man aus verschiedenen Orten von Italien von dem Verdacht Meldung thut, der Prinz von Spanien möge an Gift gestorben sein, so will ich nicht versäumen, hinzuzufügen, und sozusagen unbedenklich, daß dieser Prinz an keinem anderen Gifte gestorben ist als an den starken Unordnungen, die er beging, und an der großen Unruhe seines Gemüthes.“

Ranke, der die Menschen immer so milde wie möglich beurtheilt, meint eben, daß die erwähnten Anordnungen und Maßlosigkeiten den Tod eines leiblich und seelisch so tief erschütterten Kranken wohl erklären; hindern habe man, so fügt er in Uebereinstimmung mit dem amtlichen Bericht hinzu, diese Unordnungen nicht mögen, weil dann noch schlimmere Ausschreitungen zu befürchten gewesen seien. Aber der französische Geschichtschreiber Forneron erhebt dagegen einen Einwand, den man schwerlich abweisen kann. Forneron weist zunächst darauf hin, daß schon in einem der gleichzeitigen Berichte ein Zusammenhang zwischen dem Versuch der Abgeordneten, sich dem Prinzen während der Haft zu nähern, und den unmittelbar darauf eingetretenen, vielleicht auf Vergiftung deutenden Erscheinungen in seinem Befinden vermuthet wurde; und zu den offiziellen, etwas sonderbaren Angaben über Ausschreitungen im Gebrauch von Eiswasser und im Essen und Trinken bemerkt er: seien sie unwahr, so habe man eben Anlaß gehabt, die wahre Todesart zu verschweigen und zu verschleiern; seien sie aber wahr, so treffe den König, der im Gefängniß des Prinzen alles regelte, die Schuld, diese Unordnungen, die das Leben offenbar verkürzen mußten, nicht gehindert zu haben, da er sie, trotz der im amtlichen Bericht vorgeschützten Furcht vor größeren Ausschreitungen, unzweifelhaft habe verhindern können. Philipp ist hiernach von dem Verdacht nicht freizusprechen, den Tod seines Sohnes entweder veranlaßt oder doch mittelbar beschleunigt zu haben.

Die Spanier beklagten den Tod des Thronfolgers. In der Befürchtung, daß das Reich, dessen Zukunft jetzt nur auf den Schicksalen zweier kleinen Prinzessinnen beruhte, an eine andere Herrscherfamilie übergehen könnte, sagte einer der vornehmsten Granden, der Herzog von Infantado, bei der Leichenfeier zu dem venetianischen Gesandten. „Bei Gott, Herr Ambassador, müssen wir immer auswärtige Könige bekommen? Glücklich Ihr Herren Venetianer, die Ihr stets einen natürlichen Fürsten habt und von Edelleuten regiert werdet. Da darf doch einer, der eine Beschwerde hat, sich freimüthig beklagen, und man gewährt ihm Gerechtigkeit.“


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