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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ständischen Rechte der Niederländer mehr zu achten und in kirchlichen Fragen weniger streng zu sein als sein Vater. Aber König Philipp verschob die Reise von Monat zu Monat, und endlich zeigte es sich, daß er sie nur vorgeschützt hatte, damit man in den Niederlanden an seine Versöhnlichkeit glaube, bis Herzog Alba, dessen Entsendung den Prinzen, seinen Gegner, tief verstimmt hatte, in den Niederlanden angekommen war. Nun begann das Schreckensregiment Albas. zugleich wurde die Vermählung des Prinzen in eine ungewisse Zukunft hinausgerückt. Don Carlos hatte sich an der Seite einer Kaisertochter eine glänzende und machtvolle Stellung erträumen dürfen; die völlige Enttäuschung, die er nun erlitt, erfüllte ihn mit tödlichem Hasse gegen seinen Vater.

Der Folgezeit vorgreifend, wollen wir an dieser Stelle erwähnen, daß König Philipp die Erzherzogin Anna, die Braut seines Sohnes, von der hier die Rede ist, später selbst geheirathet hat, aber erst zwei Jahre näch dem Tode des Prinzen. Die Erzählung, daß zwischen Karl und seiner Stiefmutter vor der Heirath der letzteren ein Verlöbniß und nachher noch eine Neigung bestanden habe, ist eine Erfindung, welche überdies nur durch ein Zusammenwerfen der Schicksale Elisabeths und Annas zustande kommen konnte. Elisabeth, die Stiefmutter des Prinzen, war niemals seine Braut gewesen, und er war schon längst tot, als seine frühere Braut Anna die Gemahlin seines Vaters wurde.

Die Vorbereitungen, welche der Prinz zur Reise getroffen hatte, konnte er, ohne Aufsehen und Verdacht zu erregen, noch fortsetzen, da die Reise nach Deutschland angeblich nicht aufgegeben, sondern nur bis zum Frühjahr 1568 aufgeschoben war. Thatsächlich traf er Maßregeln, um sich heimlich aus Spanien zu entfernen. Um geringere Geldsummen, die er sich für jene Reise borgte, wußte sein Vater; viel größere verschaffte er sich heimlich. Sein Kämmerer wies mehreren reichen Leuten Briefe von ihm vor, worin er sie unter Hinweis auf ihre Vasallenpflicht aufforderte, ihm Geld vorzuschießen. Wirklich kam auf diese Weise bis zum Jannar 1568 eine Summe von 150000 Dukaten zusammen; weitere Beträge sollten folgen, wenn Don Carlos das Land erst verlassen habe. Eine Anzahl von Granden erinnerte er brieflich an den Eid, den sie ihm geschworen; sie möchten sich für eine wichtige Unternehmung bereit halten. Sie antworteten, sie ständen ihm jederzeit zu Diensten, vorausgesetzt, daß sein Unternehmen nicht widergöttlich sei noch auch gegen den König gehe.

Wohin er sich wenden wollte, stand noch nicht fest, die Umstände sollten entscheiden; in jedem Falle wollte er sich die unabhängige und gebietende Stellung, welche der Vater ihm daheim versagte, aus eigener Machtvollkommenheit außerhalb Spaniens erwerben.

Man würde irren, wenn man einen solchen Plan für die Ausgeburt eines kranken Hirnes halten wollte. Mochte Don Carlos immerhin ein mit allerlei Sonderbarkeiten behafteter Schwächling sein – den Gegensatz, der die Welt bewegte, den Gegensatz zwischen monarchischer und hierarchischer Gewalt auf der einen und ständischer Selbständigkeit in politischen und kirchlichen Dingen auf der anderen Seite, hatte er hinreichend begriffen; er sah, daß diese beiden Richtungen im Kampfe lagen, und er hatte das richtige Vorgefühl, daß er an dem zweiten dieser Gegensätze einen mächtigen Rückhalt haben würde, wenn er für den Kampf mit dem Vater nur eine erste feste Stellung gefunden, d. h. im Ausland die unzufriedenen Elemente um sich gesammelt hätte.

Die Briefe, welche später in den Zimmern des Don Carlos gefunden wurden und an die Fürsten der Nachbarländer, an die vornehmsten Granden und an die ersten Stadtgemeinden in Spanien gerichtet waren, bewiesen, daß der Prinz die schwachen Seiten der spanischen Monarchie wohl kannte. Philipps Herrschaft war noch keine Despotie, aber Philipp war bemüht, sie in eine Despotie umzuwandeln, und während die Arbeit dieser Umwandlung in Spanien und Italien ganz erst seinen Nachfolgern gelang, scheiterte er damit schon in den Niederlanden. Große Unzufriedenheit mit seinem selbstherrlichen Regiment herrschte selbst in Kastilien, geschweige in Neapel und Mailand, und schwer bedrückte geheime Bekenner des Islams, des Judenthums und des Protestantismus lebten in Spanien überall zerstreut. Der arme Don Carlos war gewiß nicht der Mann, um einen Aufstand als Staatsmann oder als Feldherr zu leiten, aber unter der Mitwirkung überlegener Männer konnte seine Person und sein Name sehr wohl der Mittelpunkt für eine Erhebung werden. Wenn zunächst außerhalb Spaniens entweder Don Carlos selbst oder kluge Rathgeber, die in seiner Umgebung und in seinem Namen handelten, für die Erhaltung ständischer und sonstiger überkommener Rechte das Banner des Thronfolgers entrollten, dann erhob sich nach menschlichem Ermessen ein Aufstand, der die Monarchie Philipps schwer erschüttern, wenn nicht ganz umstürzen konnte.

Zur Ausführung sollten diese bedrohlichen Pläue nicht kommen. Einige der Granden, deren Beistand Don Carlos angerufen hatte, und auch Don Juan d’Austria, dem er sein besonderes Vertrauen schenkte, hinterbrachten dem König, was im Werke war. Philipp erfuhr zu Anfang des Jahres durch Don Juan, daß der Prinz sich noch im Januar zu den Galeeren begeben wollte, die in Carthagena lagen und die dem Oberbefehl Don Juans unterstellt werden sollten. Ebenfalls im Januar bekannte der Prinz, voll kirchlicher Ehrlichkeit und zugleich voll glühender, jedes Gefühl der Kindesliebe übertäubender Rachsucht, dem Prior von Atocha, daß er dem König nach dem Leben stehe, und der Prior machte dem König Anzeige. Die Geduld des längst mißtrauischen, aber bedächtig zuwartenden Königs war nun erschöpft.

In diesem Augenblick war die Frage müßig geworden, ob die wechselseitige und bis zu dieser Höhe gediehene Feindseligkeit mehr dem König oder dem Prinzen zur Last fiel. Wie jetzt die Dinge standen, vollzog Philipp einen Akt der Nothwehr, wenn er seinen Sohn gefangen setzte.

Am Abend des 18. Januar betrat der König, den Helm auf dem Haupte und den Degen in der Hand, von Ministern, Granden und Gardisten und von einem Diener begleitet, der eine Fackel trug, das Schlafzimmer des Prinzen. Die kunstvolle Vorrichtung zum Thürverschluß, welche dieser in dem Wahne hatte anbringen lassen, daß sie ihn vor einer Verhaftung schützen könne, hatte man vorher heimlich entfernt. Die Begleiter des Königs bemächtigten sich der Papiere des Prinzen; die Gardisten beseitigten die Waffen, welche ihm zur Hand lagen, und nagelten die Fensterflügel zu. Von dem Geräusch erwachte der Prinz und zog die Gardinen zurück, welche sein Bett umgaben. Beim Anblick seines Vaters und der Begleiter, der Waffen und Vorkehrungen versuchte er, sich in das Feuer zu stürzen, das im Kamin brannte; man hielt ihn zurück. „Nicht ein Verrückter,“ rief er aus, „aber ein Verzweifelter, das bin ich.“ Der König sagte, was geschehe, geschehe zu seinem eigenen Besten; er bleibe bis auf weiteres in Haft. Damit entfernte sich Philipp mit seinen Begleitern, nachdem er die Ueberwachung des Prinzen und der Zugänge zu seinem Zimmer durch Bewaffnete angeordnet hatte. Der Fürst Ruy Gomez mußte in die Wohnung des Prinzen ziehen und war für ihn verantwortlich. Ferner wurden sechs Granden angewiesen, den Gefangenen abwechselnd zu besuchen und zu unterhalten, doch durften sie keinerlei Waffen bei sich führen. Weder der Königin Elisabeth, noch der Donna Juana, noch den fremden Gesandten wurde gestattet, den Prinzen zu sprechen.

Die Verhaftung des Thronfolgers war eine so ungewöhnliche Maßregel, daß Philipp sich beeilte, den Verwandten seines Hauses, den angesehensten Adeligen und Stadtgemeinden und den fremden Gesandten Eröffnungen darüber zu machen. Er that das freilich nur in sehr zurückhaltender Form, indem er angab, die Verhaftung sei durch gerechte Gründe veranlaßt, welche den Dienst Gottes und das öffentliche Wohl des Reiches beträfen. Den Stadthäuptern verbot er, weitere Erkundigungen einzuziehen. Später wurde er offener gegen die nächsten Verwandten und die Botschafter, die Näheres zu wissen wünschten. Er erklärte ihnen gegenüber dasselbe, was er nach Ausweis eines erst in unseren Tagen wieder aufgefundenen Briefes an den Papst schrieb, nämlich, daß im Erkenntnißvermögen und im Charakter des Prinzen Fehler lägen, welche ihm die Fähigkeit nähmen, einen Staat zu regieren.

Daß Karl dem Vater nach dem Leben getrachtet habe, wurde bestritten; man konnte über die erwähnte Eröffnung des Priors, welche im Publikum Entsetzeu hätte erregen müssen, mit einigem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_403.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)