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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

sein leibliches Gedeihen überwachte von seinem neunten Jahre an seine Tante Juana oder Johanna, die Schwester Philipps, die nach dem Tode ihres Gemahls, des Kronprinzen von Portugal, an den heimischen Hof zurückgekehrt war. Der Knabe zeigte sich oft ungeberdig, heftig und anspruchsvoll, und man erzählte sich Züge von seiner Grausamkeit gegen Thiere. Aber er verrieth auch Ehrgeiz und Muth und träumte von künftigen kriegerische Großthaten. Sein Großvater, Kaiser Karl V., sah ihn auch nach seiner Abdankung einige Male bei sich. In seiner Ruhebedürftigkeit mochte der müde Herrscher den lebhaften Knaben nicht dauernd um sich haben, aber er fand Gefallen an ihm, und der Prinz hörte gern dem Kaiser zu, wenn er von seinen Erlebnissen erzählte. Eine Weltstellung, wie der Kaiser sie gehabt hatte, schien dem Knaben ein würdiges Ziel seiner Wünsche. Er war freigebig, und mehreren seiner Lehrer bewahrte er sein ganzes Leben hindnrch Dankbarkeit und Vertrauen. Freilich lernte er nur wenig. Wie sein Vater sprach er nur spanisch. Zu planmäßiger und selbstverleugnender Arbeit hatte er keine Ausdauer, und sein schwächlicher Körper wurde häufig von Fieberanfällen heimgesucht. Die Wirkungen der ungesunden Lage von Madrid wurden noch durch eine kaum glaubliche Unreinlichkeit in den Straßen verschlimmert. Als König Philipp im Jahre 1559 aus den Niederlanden nach Spanien zurückkehrte, da fand er einen kränklichen und nach seinem ganzen Bezeigen nicht eben vielversprechenden Sohn vor. Auch das Aeußere des Prinzen hatte wenig Gewinnendes, sein Kopf war verhältnißmäßig groß, er hatte eine hohe Schulter, und das eine Bein war etwas zu kurz.

Verkauf von Fleischabfällen in einem Berliner Fleischerladen.
Nach einer Zeichnung von W. Zehme.

Philipp ließ es seine erste Sorge sein, seinem Sohne die Thronfolge zunächst in den Reichen der Halbinsel, welche zur spanischen Monarchie vereinigt waren, durch die Cortes oder Stände bestätigen zu lassen. Zwar beruhte das Recht zur Thronfolge jetzt auf dem Erbrecht, aber die Erinnerung an die Zeiten, wo der König sein volles Herrscherrecht erst durch einen bei der Thronbesteigung zu schließenden Vertrag mit den Ständen erlangt hatte, war noch lebendig. Der ständisch-aristokratische Einfluß war durch die monarchische Gewalt zurückgedrängt, doch noch keineswegs machtlos. Die Könige glaubten, die Zukunft ihres Erben besser zu sichern, wenn sie bei ihren Lebzeiten auch schon für ihn den Eid der Treue und Unterthänigkeit von den Ständen schwören ließen und damit deren alte Gerechtsame wenigstens in den äußeren Formen anerkannten.

So versammelten sich denn im Febrnar 1560 die Stände von Kastilien in Toledo. Don Carlos nahm, in reicher Kleidung zur Linken seines Vaters sitzend, zuerst den Eid der Donna Juana entgegen, der bisherigen Regentin. Dann schwuren die Prälaten mit dem Erzbischof-Primas des Landes an der Spitze, die Granden und die Vertreter der Städte, ihm als dem rechtmäßigen Erben des Reiches zu gehorchen und zu dienen, ihn mit Gut und Blut, mit ihren Verwandten und Untergebenen zu vertheidigen.

Durch diesen feierlichen Akt war der Infant als die erste Person nach dem König anerkannt, ja er galt sogar als das Oberhaupt der Stände und als der Vermittler zwischen ihnen und dem König; Dekrete, welche dieser an die Stände gelangen lassen wollte, wurden fortan in der Regel an den Infanten gerichtet. Für den Verlauf, welchen die Geschicke des Prinzen Karl genommen haben, ist diese Eidesleistung bedeutungsvoll: sah der König in ihr eine für die Dynastie nützliche und zweckmäßige Förmlichkeit, so betrachtete sie der ehrgeizige Prinz trotz seines jugendlichen Alters als einen Akt, der ihm persönlich Rechte und Pflichten gab und ihn mit selbständiger Machtvollkommenheit bekleidete.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_401.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2020)