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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ihm nichts zu Leide gethan und keine Ursach’, ihn zu fürchten. Wohl hatte ihr Haymo gerathen: geh’ dem „Schwarzen“ aus dem Weg – allein sie hatte ja keinen anderen Pfad.

Ruhig schritt sie weiter. Als sie in eine tiefe Senkung des Thales kam, entschwand ihr der Pater aus den Blicken.

Desertus hatte das Mädchen noch nicht gewahrt. Seine Augen schauten ... wie Gittli zu Herrn Heinrich gesagt hatte ... wieder „einwendig^. Er saß auf einem niedrigen Stein und hielt den das Haupt stützenden Arm über einen höheren Felsblock gelehnt. Warm lag die sinkende Sonne auf seinem bleichen Antlitz, und um seine schmalen Lippen spielte ein träumerisches Lächeln. Die holden Bilder der Vergangenheit webten vor seinem Geist: Frühling war’s und schüchtern begannen im Laubwald die Blätter zu sprossen. Zwischen den Bäumen läuteten die Stimmen der Bollbeißer, die Hörner klangen und jagender Hufschlag tönte. Nun geben die Hunde Standlaut. „Heia, sie haben ihn!“ Und allen anderen voran fliegt Dietwald dahin auf schäumendem Pferde und löst schon den Riemen, mit dem der kurze Speer, die „Feder“, lose an seinen Arm gekoppelt ist. Auf einer kleinen Bloße haben die Beißer den Bären gefaßt, wie die Kletten hängen sie an seinem Gehör. Dietwald schwingt sich vom Pferde, sicher führt er den Stoß ... der Bär hat seinen „Fang“ erhalten und liegt verendet unter den Hunden. Nun geht es heimwärts durch den Wald mit Lachen und Plaudern. Von den Zinnen seiner Burg weht eine weiße Fahne, frohe Botschaft kündend. Er spornt das Roß, jetzt hat er den Hof erreicht, mit langen Sprüngen nimmt er die Stufen ... und unter der Thür der Frauenstube treten ihm die Mägde entgegen und bringen ihm sein Dirnlein, das ihm Gott geschenkt, derweil er den Bären jagte. Ach Herr, solch ein Würmlein! Kein Gesichtchen ... nur Augen! Und mit denen schaut es umher in der Welt, in die es gerathen ist, so neugierig, so erstaunt! Er wagt das winzige Dinglein kaum anzurühren, denn er fürchtet, es möchte ihm zerbrechen unter den Händen. Da war sein Junge schon aus festerem Holz; der schrie wie ein kleiner Geier, zappelte mit den Füßchen, schlug mit den zarten Fäusten um sich, ließ sich drücken und küssen ...

„Dietwald!“ Ach, wie matt diese Stimme klang! Er reicht das Dirnlein den Mägden und tritt auf den Zehen in die dunkle Stube, aus deren Ecke die weißen Laken des Bettes schimmern. Er tritt hinzu, noch finden sich seine Augen nicht zurecht, doch eine kleine weiche Hand erfaßt die seine. „Judita!“ stammelt er in seliger Freude und bedeckt das zitternde Händchen mit heißen Küssen. Da er aufblickt, lächelt ihm die junge Frau entgegen; sie kann in ihrer Schwäche das Haupt nicht erheben, es ruht auf schwarzem Kissen ... nein doch, das sind ja nur die gelösten Haare, die um ihre Wangen gebreitet liegen wie schwarze Seide.

Sie soll nicht reden, und er darf nicht sprechen zu ihr; aber an ihrem Lager darf er sitzen und ihre Hand in der seinen halten und träumend alle Freude nachgenießen, die er mit diesem holden Weibe gewann. Er hatte sie zum ersten Mal gesehen, da er mit König Ludwig einritt in die Passauer Bischofsburg. Als das Tournier gehalten wurde, warf er seine Gegner spielend in den Sand; die schönen Augen, die aus allen Fenstern auf ihn gerichtet waren, störten ihn nicht; denn in seinem Herzen glühte nur die Freude am Kampfspiel. Doch als ihm Frau Irmgard, des Bischofs Schwester, den Tournierdank reichte, sah er neben der stolzen Frau ein Mägdlein sitzen, fast noch ein Kind, mit fein geschnittenem Gesichtchen und tiefen Räthselaugen, Stirn und Wangen dicht umringelt von schwarzem Gelock. Ihre Blicke trafen sich, und leis erröthend senkte das Mägdlein die Lider. „Nun, Herr Graf, was zögert Ihr?“ lächelte Frau Irmgard. „Ihr habt den Dank verdient!“ Dietwald beugte das Knie und ließ sich den Kranz um die Stirn legen. Doch als er zurücktrat, winkte er dem Seneschall des Bischofs. „Wer ist das holde Kind?“ ... „Frau Irmgards Töchterlein Judita, ihr Vater hauset auf der Ortenburg[1].“

Bei der Tafel fand sich Dietwald an Juditas Seite. Drei Maientage schwanden hin, im ganzen Sonnenglanz und Blüthenduft der ersten jungen Liebe, mit ihrem sehnenden Sichsuchen, ihrem zagenden Sichfinden, ihrem seligen Stammeln und Verstummen und mit der süßen, alles bekennenden Zwiesprach der kühneren Augen. Und als Frau Irmgard Abschied nahm und Dietwald und Judita mit stummen Lippen standen, da sagte die lächelnde Mutter: „Nach der Ortenburg habt Ihr ein kurzes Reiten, Graf, lasset Euch doch einmal blicken bei uns, ehe Herr Ludwig wieder heimzieht nach seiner Pfalz.“

Einen Tag lang wehrte Dietwald seiner Sehnsucht, am zweiten Morgen aber saß er schon zu Pferd. Ueber blumige Wiesen ging der Weg, durch jung ergrünenden Wald. Auf einem Hügel erhob sich die stattliche Burg, und ihr zu Füßen lag das kleine Dorf. Dort tönten die Pfeifen, und jauchzende Stimmen klangen. „Sie halten den Maientanz,“ sagte ein Bauer, der des Weges kam, „und die Burgleute sind auch dabei, und das liebe Fräulein tanzet mit jedem braven Buben und ist geschläfet[2] wie ein Bauernkind!“

„So will ich mir auch einen Reigen holen!“ lachte Dietwald, sprang vom Pferde, warf die Zügel dem Knechte zu und eilte dem Dorf entgegen. –

Nun plötzlich rann es ihm heiß und kalt durch das Herz ... dort, zwischen den grünen Büschen, kam sie gegangen, zögernden Schrittes, leise lächelnd, gekleidet wie ein Kind des Dorfes, in blauem Rocklein und schwarzem Mieder, die Schultern umringelt von dunklem Gelock, über der Stirn ein Veilchenkränzlein, sie selbst eine liebliche Blume, die ein Wunder verwandelt in Fleisch und Blut.

„Judita!“ schrie er jubelnd auf, stürzte ihr entgegen und umschlang sie mit zitternden Armen ...

Das Mädchen aber erblaßte, riß sich mit angstvollem Aufschrei von seiner Brust ... und hinter ihm rief eine zornige Stimme. „Desertus!“

Taumelnd griff er mit den Händen nach seiner Stirn, mit erwachenden Augen starrte er um sich ... und da sah er in weitem Kreis die kahlen Felsen ragen – Herr Heinrich stand vor ihm, und auf dem Pfade floh Gittli erschreckt den Hütten zu.

„Welch ein Erwachen!“ stöhnte er, schlug die Hände vor das Gesicht und sank mit Schluchzen vor Herrn Heinrichs Füße. Zwischen den Brauen des Propstes glättete sich die zornige Furche. Er schüttelte das Haupt und legte die Hand auf des Paters Scheitel.

„Dietwald! Erhebe Dich!“

Pater Desertus drückte das Antlitz in Herrn Heinrichs Gewand und umklammerte ihn wie der Sinkende den rettenden Baum.

„Komm, Dietwald, steh’ auf!“ Herr Heinrich nahm ihn bei den Armen, hob ihn empor und führte den Wankenden zu einem Stein. „Rede! Wie kam es, daß Du Dich so vergessen konntest?“

Pater Desertus schaute zu ihm auf mit dem Blick der Verzweiflung; er drückte die eine Hand auf seine stürmisch bewegte Brust und führte die andere an den Lippen vorüber, wie um zu sagen: ich kann nicht sprechen! Herr Heinrich ließ sich auf einen Felsblock nieder und wartete. Es währte lange, lange, bis Pater Desertus zu sprechen begann, in heiseren Lauten mit abgerissenen Worten: „Ich saß ... und schlief mit wachenden Augen ... und träumte ... und mit einmal stand es wieder vor mir ... wie herausgetreten aus meinem Traum ...“

„Dein Gespenst?“ sagte Herr Heinrich betroffen. „So hätt’ ich Dich falsch verstanden bei der Klause? Nicht eine Ausgeburt Deiner irrenden Sinne? Ein Gespenst aus Fleisch und Blut! Dieses Kind hat die Versuchung über Dich gebracht?“

Pater Desertus starrte Herrn Heinrich an, als verstünde er ihn nicht. „Versuchung? ... Nein, Herr! ... Es war noch kein Lebender seinem athmenden Glück so treu, wie ich an meinem toten hänge. Eh’ ich Judita fand, hab’ ich kein Weib mit Mannesaugen angesehen, und seit ich sie verlor, ist mir, was Weib heißt, aus der Welt gestorbe. Versuchung? ... Nein! ... Ihr müßt es Wahnsinn nennen, den ein grausam spielender Zufall der Natur in mir entzündet!“ Wie im Fieber flogen seine Worte. „Ich hab’ es mit eigenen Ohren doch gehört von den bleichen Lippen all meiner Sassen, die den mörderischen Räubern noch entkamen, die es ansahen mit entsetzten Augen, wie mein Weib auf den Altan des brennenden Thurmes flüchtete, meinen Knaben an sich gedrückt, mein Töchterlein auf den Armen ... wie die Mauern barsten und die Balken stürzten, all mein Glück begrabend in Flammen, Rauch und Trümmern ... ich habe doch meines armen, süßen Weibes verkohlte Gebeine gefunden noch umwunden von dem goldenen Kettenschmuck, den Judita als mein Angebinde getragen hat, ich weiß doch, daß aus dem Reich des Todes keine Straße zurückführt in das Leben ... und dennoch! So oft mir dieses Kind vor Augen tritt, mein’ ich, ein Wunder hätte sich vollzogen, der Lauf der

  1. Zwei Stunden südwestlich von Passau.
  2. Gekleidet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_396.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2021)