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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Wenn Frau Cäcilia das Zanken nicht einstellen will, so laßt Ihr doch einmal den Pagstein[1] um den Hals hängen und laßt sie vom Frohnknecht durch die Gassen führen. Ihr seid ja der Vogt!“

Herr Schluttemann kraute sich hinter den Ohren. Freilich, er war der Vogt ... aber Frau Cäcilia war der Obervogt!

Herr Heinrich verwand das Lächeln. „Sagt mir ... weiß das Mädchen schon von Eurem Fund und allem anderen?“

„Nein, nein, Reverendissime!“ gab Herr Schluttemann eilfertig zur Antwort. „Die Dirn’ war weggegangen, als wir kamen.“

„Weggegangen? Wohin?“

„Ich weiß es nicht.“

„Sie soll kein Wort von allem erfahren. Und Haymo?“

„Er ruhet wieder.“

„Schweiget auch gegen ihn! Mit Eurem Gewissen aber, Vogt, mit dem dürft Ihr reden ... so laut Ihr könnt.“

Mit zerknirschter Miene machte der Vogt einen tiefen Bückling, als Herr Heinrich die Stube verließ. Draußen rief der Propst den Knecht herbei, der am Morgen mit den Hunden gekommen war: er solle die Boten einzuholen suchen, die der Vogt hinuntergeschickt habe; sie möchten den Sudmann in Ruhe lassen und von der Sache schweigen, bis Herr Heinrich selbst hinunterkomme; könne er aber die beiden nicht mehr einholen und hätten sie den Mann schon gefaßt, dann solle er sie thun lassen, wie es ihr Auftrag heische. „Und im Salzhaus laß Dir ein Saumpferd geben, leg’ ihm einen Sattel auf und führ’ es hierher; ich will morgen zu Thal und kann den Haymo nicht in der Einöd’ lassen.“

Der Knecht machte sich auf den Weg. Herr Heinrich ging in die Jägerhütte, setzte sich zu Haymo an das Lager und ließ sich noch einmal erzählen, wie alles geschehen wäre. Mit stockenden Worten berichtete Haymo.

„So hat er den Stoß an der Stelle geführt, an welcher das Mädchen Dich gefunden hat?“

„Ja, Herr!“ sagte Haymo leise.

„Es ist also nicht beim Kreuz geschehen?“

Haymo schaute auf und sah den forschenden Blick des Propstes auf sich gerichtet. Zugleich aber war es ihm auch, als stünde Gittli neben ihm, mit angstvollen Augen, mit bittend erhobenen Händen. Er senkte die Blicke. „Nein, Herr!“ Kaum war das Wort gesprochen, da hätte er es gern wieder zurückgenommen. Nur wenige Stunden waren vergangen, seit er von seines Herrn Lippen den Spruch vernommen hatte:

„Wehr ohne Schart und Fehl,
Graden Sinn ohne Hehl ...“

und jetzt hatte er schon dawider gesündigt. Und doch fühlte er, wenn er ein zweites Mal gefragt würde, er könnte wieder nur sagen. „Nein, Herr!“

Man hörte draußen den Frater mit Walti reden; er suchte Herrn Heinrich, auf den die Mahlzeit warte. Der Propst erhob sich und ging in die Herrenhütte. Verwundert fragte er: „Wo ist Pater Desertus?“

„Ich weiß nicht, Herr!“ sagte der Frater. „Er ist fortgegangen.“

„Auch fortgegangen? ... Und weißt Du nicht, wohin das Mädchen ging?“

„Nein, Herr! Ich weiß nicht, was über die Dirn’ gekommen ist. Der Haymo hat sie doch nicht vertrieben!“ Frater Severin lachte. „Ich bin mit ihr hinübergegangen, um dem Jäger das Essen zu bringen und ... da war zuvor eine Dirn’ da, die hat dem Haymo einen Veigleinbuschen gebracht ... und aus den Blumen hatte er ein Kränzlein gewunden. Wie wir nun zu ihm hineinkommen und die Gittli geht vor sein Lager hin da drückt er ihr lachend das Kränzlein auf den Scheitel. Roth ist sie geworden wie ein gesottner Krebs und ist davongeschossen, ohne ein Wörtlein zu reden ... und seit der Zeit hab’ ich sie mit keinem Aug’ mehr gesehen.“

Freilich – denn ehe Frater Severin in die Herrenhütte zurückkam, hatte Gittli ihr Bündel aus dem Wiakel gezogen und war davongesprungen, um irgendwo im Gebüsch ein Versteck zu suchen, in dem sie die rußigen Kleider gegen ihr gutes Gewand vertauschen könnte. Mit Suchen und Suchen ... auf jedes Flecklein blickten ja die Hütten her ... war sie tief hinunter in das Steinthal gerathen. Endlich fand sie eine sonnige Mulde mit dichtem Föhrengestrüpp, so versteckt zwischen Felsgewirr, daß von den Pfaden und Hütten kein Blick hierher zu dringen vermochte. Gittli schlüpfte durch das Gezweig und fand inmitten des Gebüsches einen kleinen Teich, zu welchem sich das Regenwasser über dunklem Moos und weißem Sande gesammelt hatte; wie ein Spiegel blickte ihr das klare Wasser entgegen, von keinem Lüftchen gewellt, von keinem Staub getrübt, goldig schimmernd in der sinkenden Sonne. Gittli klatschte vor Freude die Hände ineinander. Keine Fürstentochter hatte in ihrer stolzen Burg ein Kämmerlein wie sie es hier gefunden: mit weichem Teppich, mit immergrünen Wänden, umgeben von himmelhohen Mauern, darüber die blaue Decke, an der die Sonne als Lampe hing ... und mitten drinnen im Kämmerlein ein lockendes Bad, das der Wettermacher des Himmels, der heilige Petrus, als Marschalk ihr bereitet hatte. Hastig tauchte sie die Hand in das Wasser ... es war nicht allzu kühl, denn der Regen war lau gefallen und die Sonne hatte gut geheizt. Im Gebüsch legte Gittli das Gewand zurecht, das sie mitgebracht, dann schlüpfte sie aus den Kleidern und huschte ins Wasser, flink und schlank, zart und geschmeidig wie ein Elflein, bis zu den Knien fast umhüllt vom schwarzen Mantel der gelösten Haare. Da plätscherte sie nun in der Sonne und schauerte und kicherte und wusch und rieb sich das Gesicht, daß ihr die Wangen zu brennen begannen. Und jetzt plötzlich erschrak sie und lauschte ... es raschelte im Gebüsch ... und mit einem leisen Aufschrei tauchte sie in das Wasser, daß nur ihr Köpfchen noch hervorlugte, vom schwimmenden Haar umgeben wie von einem dunklen Schattenkreis. Es war still in den Büschen ... doch nein, jetzt wieder begann das Rascheln, ganz leise, und immer näher kam es ... Gittli zitterte vor Angst und Kälte und wagte sich nicht zu regen ... sie sah im Dickicht die Spitzen der Aeste sich bewegen, etwas Graues schlich da drinnen hin und her ... nun theilten sich die Zweige, und zögernd trat aus den Büschen eia Hirschkalb hervor, das der nahende Abend aus dem Lager getrieben hatte.

Beim Anblick des Wassers „verhoffte“ das Thier, denn vor zwei Nächten war an der Stelle, wo der Teich sich gebildet hatte, noch Weide gewesen. Scheu, mit vorgestrecktem Halse, kam es näher, stieg mit tastenden Schritten in das Wasser, drehte den Grind hin und her und schaute bald mit dem einen, bald mit dem anderen Licht[2] in höchlicher Verwunderung auf sein Spiegelbild. Das war so drollig anzusehen, daß Gittli, die sich mäuschenstill gehalten hatte, kichern mußte. Das Wild hob mit jähem Ruck den Hals und gewahrte nun das weiße Gesichtchen mit den großen leuchtenden Augen; ungeduldig stampfte es mit den Läufen, denn die seltsame Wasserblume mit den tausend schwarzen, schimmernden Blüthenfäden und dem silberweiß aus dem Teich hervorschimmernden Stengel mochte ihm nicht ganz geheuer erscheinen. Da tauchte Gittli hurtig in die Höhe. „Brrrrr!“ machte sie, mit beiden Händen Wasser spritzend ... und mit einer hohen Flucht stob das erschrockene Thier in das Dickicht zurück, daß die Aeste rauschten und die Zweige knackten.

„Hast Du mich erschreckt, hab’ ich Dich erschreckt!“ lachte Gittli, aber sie brachte die Worte kaum hervor – so fröstelte sie. Eilig schüttelte sie das Haar, rang das Waffer aus dea Strähnen und huschte ins Gebüsch zurück.

Eine Weile, und sie erschien im blauen Röcklein und schwarzen Mieder, in jenem ganzen Staat, in welchem sie am Gründonnerstag das nörgelnde Staunen des Herrn Schluttemann geweckt hatte; die Haare aber ließ sie offen hängen damit sie auf dem Heimweg trocknen möchten ... und über ihrem Scheitel saß, als ein lieblicher Schmuck, das duftende Veilchenkränzlein. Sie trat an das Ufer, zog das Röcklein glatt an die Kniee und neigte sich vor; mit ernsten Augen betrachtete sie ihr Spiegelbild, dann lächelte sie ein klein wenig ... sie schien sich zu gefallen; doch gleich wieder schüttelte sie den Kopf und seufzte: „So schön wie die Zenza bin ich halt allweil nicht!“

Langsam stieg sie durch das Steinthal empor und suchte den Pfad nach den Hütten zu gewinnen. In der scheidenden Sonne trocknete ihr Haar und begann sich zu locken. Als sie den Steig erreichte und über das Thal hinwegschaute, blieb sie zögernd stehen. Saß dort drüben einem Fels zu Füßen, nicht Pater Desertus? Doch es gab keinen anderen Weg zu den Hütten – sie mußte an ihm vorüber. Aber weshalb nur war ihr bange vor diesem Mönch? Sie hatte

  1. Das Mühldorfer Stadtrecht im 14. Jahrhundert bestimmte: „Welleich leicht weib pagent (zanken) mit den Worten, di si vermeiden sollen, der soll man den pagstein an an Hals hengen und soll si von gazzen ze gazzen traiben.“
  2. Auge.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_395.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2021)