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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Schießet, Herr, so schießet doch!“ schrie der Knecht. Herr Heiurich aber warf die Armbrust auf den Rücken, zog den blitzenden Fänger aus der Scheide und ging auf das Raubthier zu, bis ihn von der Felswand nur noch eine Strecke von zehn Schritten trennte. Sein Kommen machte die Hunde noch ungestümer, sie heulten mit heiseren Stimmen und versuchten an der Felswand emporzuspringen. Um sie aber kümmerte sich der Luchs nicht mehr; er saß geduckt, die spitz behaarten Lauscher vorgestellt, die großen, feurig funkelnden Augen auf den Jäger gerichtet, regungslos ... nur die langen, weißen Barthaare zitterten über dem gefletschten Rachen.

„Nun?“ lächelte Herr Heinrich. „So spring’ doch! Du siehst ... ich warte.“

Die rothe Katze drehte den Kopf, als könnte sie den scharfen, ruhigen Blick dieser klaren Menschenaugen nicht länger ertragen. Sie glotzte auf die kläffenden Hunde nieder, dann rings umher wie nach einem Ausweg, und wieder richteten sich ihre funkelnden Augen auf den Jäger; ein leises Zittern rann über ihr gesträubtes Fell, sie duckte sich noch tiefer, die Tatzen streckten und spannten sich ... nun sprang sie ... aber blitzschnell hatte Herr Heinrich den Fänger gehoben, mit der ganzen wilden Kraft des Sprunges rannte sich der Luchs in den vorgestreckten Stahl und plumpste verendet zu Boden.

„Gelt, jetzt haben meine Gemskitzen und Hirschkälber Ruh’ vor dir!“ lachte Herr Heinrich, wischte am Moos den blutigen Fänger rein und verwahrte ihn in der Scheide. Der Knecht kam herbeigerannt, um das Raubthier zu betrachten. Aber die Hunde ließen ihn nicht zu; sie würgten und zerrten an dem erlegten Thier, bis Herr Heinrich sie abrief, um nachzuschauen, ob sie auch glimpflich aus der Balgerei mit dem Luchs entkommen wären. Weckauf war unversehrt, die arme Hel aber hatte einen tiefen Riß über die Schulter, und eine solche Wunde vom Luchs war gar bösartig.

„Hast Du Feuerstein und Schwefelfaden?“ fragte Herr Heinrich den Knecht.

„Ja, Herr!“

„So mach’ Feuer an und brich den Stachel von Deinem Griesbeil. Die Hel ist zerrissen, wir müssen die Wunde brennen.“

Bald flammte ein kleines Feuer, an welchem das Eisen zum Glühen gebracht wurde. Herr Heinrich kniete auf die Erde, nahm den Hund in den Schoß und drückte dessen Kopf an seine Brust.

„Gieb her den Dorn!“

Es zischte ... heulend vor Schmerz riß der Hund sich los, rannte mit tollen Sätzen umher und schüttelte immer wieder das Fell.

„Komm’, Hel, komm’, da komm’ her!“ lockte Herr Heinrich, mit den Fingern schnalzend. Der Hund warf scheue Blicke, zog den Schweif ein und kroch, immer wieder zögernd, vor seines Herrn Füße. Da er zu merken schien, daß ihm ein neuer Schmerz nicht drohe, sprang er mit freudigem Winseln an seinem Herrn hinauf.

„Hat’s weh gethan, Hel?“ schmeichelte Herr Heinrich, den Kopf des Hundes streichelnd. „Weißt, es hat halt sein müssen. Und gelt, Du fragst nicht, warum, und bellst nicht gegen die Hand, die Dich brennt? Ja – Du bist halt kein Mensch ... Du bist ein kluges Thier!“ Nun rief er den Knecht. „Trag’ den Luchs hinunter ins Kloster. Ich laß meine Chorherren grüßen, sie sollen sich den Braten schmecken lassen. Den Weckauf nimm mit Dir! Die Hel darf bei mir bleiben. Komm’, Hel, komm’!“

Gemächlichen Ganges stieg Herr Heinrich durch den Bergwald empor.




17.

Zu später Nachmittagsstunde erreichte Herr Heinrich die Hütten. Unter der Thür des Herrenhauses trat ihm der Vogt entgegen, brennend vor Erregung.

„Reverendissime! Könnt Ihr Euch denken, was wir gefunden haben?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte Herr Schluttemann in die Hütte und kam zurück, in der Hand den schon etwas übel duftenden Kopf eines Steinbocks mit mächtigem Gehörn.

Ueber die Lippen des Propstes flog ein zorniges Wort. Sie traten in die Stube, und Herr Schluttemann begann zu erzählen. Bis gegen Mittag hatten sie vergebens gesucht; alle Fährten und Schweißspuren wareu im Regen erloschen. Schon wollten sie sich auf den Heimweg machen, als Walti in einer tiefen dunklen Felsspalte etwas Verdächtiges erblickte. Es war der gesuchte Steinbock. Er wurde in die Höhe gehoben und genau untersucht; da zeigte sich, daß nichts an dem Thiere fehlte ... nur das Herz. Der Vogt ließ dem Bocke das Haupt abnehmen, um Herrn Heinrich das Gehörn zu bringen. Als sie auf dem Rückweg am Kreuz vorüberkamen, machte Walti abermals eine Entdeckung. „Der Bub’,“ meinte Herr Schluttemann, „hat Luchsaugen und eine Hundsnase.“ Walti bemerkte an dem Christusbild die Blutflecken . . . „schier noch so roth, als wären sie auch gemalt wie die anderen!“ Das Dach über dem Kreuze hatte den Regen verhindert, die bösen Spuren auszulöschen.

Da war es in Herrn Schluttemanns Gehirn wie eine Fackel aufgegangen, bis sein Verdacht das eine zum anderen fügte wie Glied um Glied zu einer Kette.

„Und jetzt, Reverendissime, das ist meine Meinung!“ Er legte die Arme über den Tisch und begann an den Fingern herzuzählen. „Primo! Beim Kreuz muß der Lump den Steinbock angeschweißt haben, oder der angeschweißte Bock kam auf der Flucht am Kreuz vorüber und hat gespritzt. So muß es einer gethan haben, der am Ostermorgen vor Tag beim Kreuz war! Einer, den ich kenneeeeh!“ Herr Schlnttemann dehnte die letzte Silbe wie einen Teigfaden. „So ein Gauner! Hat es mir noch selber erzählt! Warte nur, Dir zünd’ ich auf mit Deiner Schlauheit! Secundo – es fehlt nur der Schweißsack.[1] So hat es einer gethan, oder vielmehr ...“ Herr Schluttemann machte verschmitzte Augen, „einer hat es angestiftet, dem es um ein Herzkreuzl zu thun war! Einer, den ich kenneeeeh! Ist ja zu mir gekommen und hat eins haben wollen, ich hab’ ihm aber einen Tritt gegeben. Und wenn es einer gethan hat für den anderen, so hat er’s gethan um silbernen Dank! Weil er Geld gebraucht hat, wie der Bäck die Hefen ... sagen wir exempli causa: einer, der am Charsamstag das Lehent nicht hat zahlen können ... und am Ostermontag bringt er das Geld! Bringt es! Bringt es ... und haut mir’s auf den Tisch! Und sagt, der ander’ hätt’s ihm geliehen. Haha! Geliehen! Warte nur, Bürschlein, Dir will ich was borgen .. das hat der Freimann im Kasten!“

Herr Heinrich war betroffen aufgesprungen. „Herr Vogt! Ihr meinet den Sudmann, den Wolfrat?“

„Stimmt, Reverendissime! Und der andere, das ist dieser Schmerwanst, der Eggebauer. Der bleibt uns schon, wenn wir nur erst den Sudmann haben. Heut’ in der Nacht laß ich ihn ausheben ... ich habe die Knechte schon hinuntergeschickt; sie bringen ihn morgen, damit der Haymo gegen ihn zeugen kann.“

„Da habt Ihr übereilt gehandelt!“ zürnte Herr Heinrich. „Ihr hättet zuvor meine Stimme hören sollen. Wollt Ihr den Mann gefangen hierherbringen lassen, vor die Augen seiner Schwester?“

Herr Schluttemann machte ein verblüfftes Gesicht; er hatte Lob erwartet und wurde gescholten! Und bei all seiner Weisheit hatte er mit keinem Gedanken an Gittli gedacht. Aber holla ... das war ja ein neuer Beweis!

„Herr Heinrich,“ stotterte er, „scheinet es Euch nicht seltsam, duß gerade diese Dirn’ den Jäger gefunden hat? Gleich hängen laß’ ich mich, wenn sie nicht um die That gewußt hat!“

„Gewußt? Nein! Aber sie mag davon erfahren haben, da es geschehen war. Und da wollte sie helfen, wenn noch zu helfen wäre. Sprechen durfte sie nicht, wenn sie nicht den Bruder verderben wollte. In Gottvertrauen hat sie es gewagt mit eigener Kraft, und Gott ist ihr beigestanden. Ihr aber, Vogt, Ihr meint, alle Schuldigen gefunden zu haben? Denket nach ... denn es fehlt noch einer!“

„Einer? Noch einer?“ stotterte Herr Schluttemann.

„Ja, und Ihr selbst seid dieser eine!“

Das Gesicht des Vogtes färbte sich dunkelroth, und seine Nase wurde zur Fackel.

„Ja, Ihr!“ wiederholte Herr Heinrich. „Mit Eurem rauhen Wesen, mit Eurem Schreien und Schelten. Besinnt Euch nur, wie das arme Kind vor Euch stand, bleich und zitternd. Die Leute mußten ja glauben, sie würden über Nacht schon von Haus und Hof gejagt. Wenn der Mann die That wirklich begangen hat, dann habt Ihr ihn dazu getrieben, nicht der Eggebauer!“

Herr Schluttemann stand da wie ein hilfloses Kind. Er wagte kaum aufzublicken. „Ach, Herr Heinrich,“ stöhnte er, „wenn Ihr mir doch ins Herz schauen könntet! Meiner Treu ... ich bin ein seelenguter Kerl! Aber in der Früh halt, in der Früh! Da steckt mir das Weib in allen Knochen und regt mir die Fäust’ und blast mir die Backen auf.“

  1. Alter Weidmannsausdruck für das Herz des Wildes.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_394.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2021)