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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Geh?“

„Ja! Und weil Du mir keinen Buschen hast bringen können ... schau ... jetzt hab’ halt ich Dir einen gebracht!“ Sie löste den Veilchenstrauß von ihrem Mieder, doch als sie ihn dem Jäger reichen wollte, kam Gittli herbei, zögernd, mit finsteren Augen. Hastig legte Zenza die Veilchen neben Haymo auf die Bank, ging auf Gittli zu und streckte ihr beide Hände hin.

„Grüß’ Dich Gott, Kleine! Brav hast Dein Sacherl gemacht!“

Gittli legte die Hände auf den Rücken.

Zenza lachte. „Geh’, Du Dummerl, was hast denn? Ich mein’ doch, Du hättst Dir ein Vergeltsgott verdient! Da schau! ...“ Sie löste das dünne Silberkettlein von ihrem Mieder, haschte Gittlis Arm und zwang ihr das Kettlein in die Hand. „Nimm’s nur, nimm’s ... ich schenk’ Dir’s!“

Haymo sprang auf. Eine dunkle Röthe flog über seine Stirn und zornig klang seine Stimme: „Gittli! Gieb ihr das Kettl wieder ... Du brauchst Dir noch allweil nichts schenken zu lassen ... von der!“

„Ich hätt’s auch so nicht genommen!“ sagte Gittli mit ruhigen Worten und streckte die Hand mit dem Kettlein aus. „Da hast es wieder, ich brauch’s nicht, für mich thut’s auch ein Bändl!“

Bis in die Lippen war Zenza erbleicht. Einen funkelnden Blick warf sie auf Haymo, einen auf Gittli, dann lachte sie hell auf. Mit zornigem Griff packte sie das Kettlein, zerriß es, warf Gittli die Stücke ins Gesicht und ging mit heiserem Lachen davon, das Mädchen noch einmal streifend mit einem Blick des glühendsten Hasses.

Zitternd stand Gittli, die Wangen von heißer Röthe überzogen, Thränen in den Augen. „Was hab’ ich ihr denn gethan? Ich hab’ ihr doch nie kein ungutes Wörtl gegeben! Und jetzt thut sie mich so verschimpfen!“ Sie brach in bitterliches Weinen aus.

„Gittli!“ stammelte Haymo und wollte sie umschlingen. Aber da kam Frater Severin aus der Herrenhütte, Teller und Becher in Händen. Er machte große Augen und wollte fragen, wohin die Zenza gerathen und was denn geschehen wäre. Aber nach dem ersten Wort verstummte er wieder und verschwand hurtig in der Thür. Er hatte Herrn Heinrich gewahrt, der von der Höhe niedergestiegen kam, den erlegten Auerhahn am Bergstock über der Schulter tragend.

Haymo stand wortlos und nagte an seinen Lippen. Gittli, als sie Herrn Heinrich erblickte, wischte sich die Thränen aus den Augen, bückte sich und las die Stücke des zerrissenen Kettleins von der Erde. Was sie gefunden hatte, brachte sie dem Frater Severin und sagte: „Ich bitt’ Euch, Frater, wenn Ihr wieder hinunterkommt ins Kloster, so leget das der Jesumutter in den Schrein ... es ist gefunden Gut und will keinem gehören!“

Herr Heinrich war näher gekommen. Er nahm den stattlichen Auerhahn vom Bergstock und hielt ihn mit der Hand empor. „Haymo, sieh her, ich habe Weidmanns Heil gefunden!“

In Haymo kochte alles; aber er vergaß nicht seiner Jägerpflicht. Von der nächsten Fichte brach er das grüne Ende eines Zweiges, er trat vor Herrn Heinrich hin tauchte den Zweig in den rothen Schweiß des Vogels und sagte:

„Vor meinen Herren hin ich tritt,
Mit Weidmannsgruß und mit der Bitt’.
Er hat ein’ gerechten Schuß gethan
Drum soll er den Bruch auch nehmen an
Und tragen wohl in Freude
Dem edlen Vogel zu Leide!
Jo! Hoch, o ho!
Brauchet eure gute Wehr
Allezeit zu Gottes Ehr’!“

Herr Heinrich nahm den Bruch, steckte ihn auf die Kappe und gab mit Handschlag den Weidmannsspruch zurück:

„Hab’ Dank, mein lieber Jäger frei!
Trag alle Weil der Dinge drei:
Wehr ohne Schart’ und Fehl,
Graden Sinn ohne Hehl,
Treues Herz ohne Wank!
Habe Dank überall, habe Dank!“

Lächelnd legte Herr Heinrich die Hand auf seines Jägers Schulter und sagte: „Ich habe mein Sprüchlein geredet nach Herrenpflicht. Auf Dich aber, Haymo, paßt es nicht, denn ich habe Dir wünschen müssen, was Du hast. Zu Dir hätt’ ich sagen sollen:

„Bleib’, wie Du bist,
Zu aller Frist!
Und gesunde bald,
Daß der liebe Gott es walt’!“

Die Freude über diese herzlichen Worte färbte Haymos Wangen. Nun gingen sie zur Bank, und es begann das Erzählen. Rechte Jagd muß immer zweimal gehalten werden: erst mit der Waffe in der Hand, dann mit dem Herz auf der Zunge. Frater Severin hatte sich lauschend herbeigeschlichen; Gittli arbeitete mit stiller Geduld in der Herrenhütte.

Als in Herrn Heinrichs Erzählung die Sehne der Armbrust schnurrte und der stolze Vogel niederrauschte durch das Gezweig, da kamen die Knechte mit den Hunden über das Steinthal her. Mit hellem Laut begrüßten die schonen, geschmeidigen Thiere den Anblick der Hütte; wie der Wind kamen sie herbeigesaust und sprangen mit so ungestümer Freude an Haymo empor, daß Herr Heinrich ihm helfen mußte, sie abzuwehren. Nun sollte in aller Eile ein Imbiß genommen werden, und dann sollte es mit den Hunden hinausgehen auf die Luchsfährte, auf welcher Herr Heinrich am Morgen reichlichen Schweiß gespürt hatte. Haymo wurde in die Hütte geschickt, um wieder ein paar Stunden zu ruhen. Als er sich von der Bank erhob, sah er die Veilchen liegen; er faßte sie und hob die Hand zum Wurfe; lächelnd aber schüttelte er den Kopf, brach unter den Fichten einen Büschel der langen Schmielen, welche vom vergangnen Sommer noch standen, und nahm ihn mit den Veilchen in die Hütte.

Einer der Knechte hatte Gittli in der Küche des Herrenhauses aufgesucht und reichte ihr ein kleines Bündel. „Das hat mir Dein Bruder mitgegeben ... und grüßen soll ich Dich auch von ihm.“

Gittli hielt die Augen gesenkt und lispelte: „Weißt nicht, wie’s meiner Schwäh’rin geht?“

„Wie soll’s ihr gehen? Gut halt!“ sagte der Knecht aufs Gerathewohl; er hatte Sepha gar nicht gesehen.

„Gott sei Dank!“ seufzte Gittli erleichtert auf; dann öffnete sie das Bündel; die Röthe der Freude schlug ihr in die Wangen, als sie frisches Linnen und ihr gutes Gewand in dem Bündel fand. Jetzt konnte sie sich doch auch ein bißchen sauber machen ... freilich, um so schmuck auszusehen wie die Zenza, dazu hätte sie die Tochter des Eggebauern sein müssen und nicht die Schwester des armen Sudmanns. Hastig versteckte sie das Bündel und ging wieder flink an die Arbeit.

Eine Weile später machte sich Herr Heinrich auf den Weg. Einer der Knechte mußte ihn begleiten und die ungeduldig ziehenden Hunde an der Leine führen. Ueber eine Stunde galt es zu steigen, bis die Stelle erreicht war, an welcher Herr Heinrich den Schuß auf das Raubthier gethan hatte. „Gieb mir den Weckauf und halte Dich mit der Hel auf hundert Schritte hinter mir!“ sagte er zu dem Knechte, übernahm den Hund und setzte ihn auf die Fährte, welche mit reichlichem Schweiß gezeichnet war. Der Hund fiel in den Riemen, nahm die Fährte gierig an und zog Herrn Heinrich hinter sich her. Das war nun ein mühsamer Weg – durch Wald und über grobes Geröll, durch schier endloses Dickicht der Krummföhre, über Bergrippen auf und nieder, empor bis unter die kahlen Steinwände, wieder herab durch ein felsiges Thal bis zu den Almen und quer über das Almfeld in den dunklen Wald. Wohl eine halbe Stunde zog hier der Hund noch auf der Fährte, bis er in einem wirren Gestrüpp den Luchs aus seinem Lager stieß. Als wär’s eine große, langgestreckte Flamme, so fuhr die rothe Bergkatze aus ihrem Versteck hervor.

„Los die Hel!“ schrie Herr Heinrich, während er den im Riemen würgenden Weckauf befreite. Die Hunde schossen wie Pfeile dahin und begannen mit läutenden Stimmen die Hatz. Der Luchs versuchte aufzubäumen, aber die Krallen der wundgeschossenen Tatze versagten den Dienst – er fiel zurück; im gleichen Augenblick waren die Hunde über ihm: alle drei Thiere zu einem wirren Knäuel geballt, der Luchs fauchend und mit den „Waffen“ schlagend ... doch eh’ es Herrn Heinrich gelang, herbeizuspringen, wurde der Luchs wieder hoch, floh in weiten Sprüngen dahin, und hinter ihm her ging die kläffende Jagd der Hunde.

Herr Heinrich stand und lauschte den läutenden Stimmen. Eine Weile, dann verwandelte sich der Laut der Hunde in zorniges Gebell, welches immer aus der gleichen Richtung kam. „Sie haben ihn gestellt, sie geben Standlaut!“ rief Herr Heinrich dem Knechte zu und eilte zwischen den Bäumen dahin, dem Ruf der Hunde nach.

Nun erreichte er sie; zu Füßen einer aus dem Waldgrund aufragenden Felswand standen sie und bellten zu einer vorspringenden Platte empor, auf welche sich der Luchs mit einem mächtigen Sprung geflüchtet hatte. Er war in eine Falle gerathen: rings um ihn der kahle platte Fels, unter ihm die Hunde, vor ihm der Jäger.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_391.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2021)