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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Wohlauf, lieb’ Bruder, allzumal,
Quem sitis vexat plurima[1]
Ich weiß ein Wirth im kühlen Thal,
Qui vina habet aurea![2]

Er zapfet fleißig uns den Wein
De dolio in cantharum.[3]
Drum wollen wir auch fröhlich sein
Ad noctis usque terminum!“[4]

Die zweite Strophe hatte Frater Severin mit wiegendem Kopfe mitgesummt ... und jetzt ergriff er die Flasche und zog und schluckte ... aber schon gehörig! Dann freilich, als er absetzte, machte er ein gar kummervolles Gesicht.

„Jetzt hab’ ich halt doch getrunken! O Mensch, Mensch! Was bist du für ein Gefäß voll teuflischer Suppe! Pfui!“

Mißbilligend schüttelte er den Kopf, setzte die Flasche an und trank. „Jetzt geht’s schon in einem hin!“

Ein paar feuchte Stunden verrannen den beiden, bis sie es zuwege brachten, daß die Flaschen einen trockenen Boden bekamen. Als Herr Schluttemann sich erhob, merkte er, daß er nicht mehr völlig Meister seiner Beine war ... er merkte es, als er mit der Nase schon auf der Erde lag. Mühsam krabbelte er sich an des Fraters Kutte in die Höhe. „Glaubet mir, Frater, das ist seiner Lebtag kein guter Fuhrmann, der nicht auch einmal umwerfen kann!“ Die Zunge wurde ihm schwer. „Und Ihr wisset ja doch, wie der gelahrte Philofophns sagt:

„Wirft uns der Wein schon nieder,
Gehn wir morgen doch zu ihm wieder.“

Frater Severin hielt die Leiter, und Herr Schluttemann tappte sich über die Sprossen hinauf ins Heu.




16.

Dem trüben Regentage folgte ein frischer, frühlingsduftiger Morgen. Jedes Rasenflecklein auf den steilen Gehängen und alle Almen hatten über Nacht einen lichtgrünen Schimmer bekommen. Es war Lenz geworden in den Bergen; er hauchte aus den lauen Lüften, blickte nieder aus dem tiefen Blau des Himmels, stieg aus der Erde mit würzigem Odem und wehte in den Düften, die der bergwärts ziehende Wind emportrug aus den Thälern, wo sich schon die ersten Blumen erschlossen hatten.

Als die warme Sonne auf allem Grund rings um die Jägerhütte lag, durfte Haymo das Lager verlassen. Frater Severin und Gittli führten ihn zur Bank vor der Thür, doch hätte er kaum einer Stütze bedurft, so kräftig war sein Schritt; er wäre am liebsten vor Tag schon aufgestanden, um mit Herrn Heinrich auszuziehen zum Hahnfalz.

Da saßen sie nun zu dreien. Frater Severin erzählte Schnaken und Schnurren, Haymo schaute mit nimmermüden Augen über Berge und Wälder aus, Gittlis Hand in der seinigen haltend; schweigend saß sie an seiner Seite, die Augen gesenkt, mit der freien Hand an einem Zipfel ihrer Jacke nestelnd. Ihr war zu Muth, sie wußte nicht wie. Ueberall, meinte sie, wäre ihr wohler als hier auf dieser Bank. Nun that sie einen stockenden Athemzug, stand auf und löste ihre Hand.

„Gittli? Was hast denn?“ fragte Haymo.

„Schaffen muß ich!“ sagte sie und schlich davon. Als sie die Küche der Herrenhütte erreichte, drückte sie die beiden Hände auf die Brust. Da lag es ihr wie ein schwerer, schwerer Stein. „Was hab’ ich denn, ja was hab’ ich denn nur?“ stammelte sie. Aber wie konnte sie nur so fragen! Was ihr das Herz bedrückte und beängstigend umklammerte, so daß ihr fast der Athem versagen wollte ... was sonst denn konnte es sein als die Sorge um den Bruder und die Schwäherin? War doch Herr Schluttermann beim Morgengrau mit Walti und zwei Knechten wieder auf die Suche gezogen. Auch Pater Desertus hatte sich ihnen angeschlossen, als wäre ihm das Bleiben bei den Hütten unerträglich. Und der mit seinen unheimlichen Messeraugen, meinte Gittli, würde gewiß etwas finden.

„O du lieb’s, gut’s Engerl droben, jetzt halt’ aber fest!“ Mit diesem Stoßseufzer machte sich Gittli an die Arbeit. Immer wieder mußte sie sich die Zähren aus den Augen wischen, und ein um das andere Mal schlich sie zum Fenster, um verstohlen hinüber zu blicken, ob auch Haymo noch auf der Bank sitze ... nein doch: um auszuschauen, ob nicht der Vogt mit den Knechten schon zurückkomme.

Da hallte aus dem Steinthal herauf der langgezogene Jauchzer einer Mädchenstimme. Gittli sprang zur Thür und legte die Hand über die Augen, um in der grellen Sonne besser sehen zu können. Von weitem erkannte sie die Tochter des Eggebauern.

„Was will denn die daheroben?“ stammelte sie.

Gittli war der heiteren Nachbardirn’ immer gut gewesen. Aber jetzt mit einmal empfand sie etwas gegen das Mädchen wie grollenden Unmuth. Freilich ... Zenza war ja doch die Tochter des Bauern, der das Kreuz auf den Wolfrat gelegt hatte!

„Was die nur will? ... Und aufgeputzt hat sie sich ... uuh!“ Unwillkürlich blickte Gittli an sich hinunter. Ihrem Linnen und ihrem abgeschabten Röcklein merkte man die Nächte an, die sie auf dem Herd verbracht hatte. Eine Zähre schoß ihr in die Augen, und zögernd trat sie in die Küche zurück, aber nur so weit, daß sie Zenza nicht aus den Blicken verlor.

Jetzt erschien das Mädchen auf der Höhe. „Da schau,“ schmunzelte Frater Severin, „ich glaub’ ja gar, wir kriegen Besuch! Und was für einen! Ui jei!“

Haymo machte große Augen. „Was will denn die daheroben?“ murmelte er, als hätte er Gittlis Worte gehört und nachgesprochen.

Zenza kam näher; sie trug einen dicken Veilchenstrauß im Mieder und hatte sich aufgeputzt, als ging’ es zum Hochamt in die Kirche. Ihr Gesicht brannte, und ihre heißen Augen hingen an Haymo.

„Grüß Dich Gott, Dirnlein!“ rief ihr Frater Severin entgegen. „Was für ein Heiliger hat denn Dich daherauf geschneit?“

„Der heilige Hubertus!“ lachte Zenza. „Grüß’ Gott auch, Herr Frater! Und der heilige Leonhardus hat auch mitgeholfen. Ja! Nachschauen hab’ ich wollen auf meiner Almen ... auf Sennzeit ist ja nimmer gar so lang. Und weil ich schon auf meiner Almen war, hab’ ich mir gedacht, ich mach’ das Katzensprünglein noch herauf, daß ich doch selber schauen kann, wie’s Eurem Letzerl[5] geht.“ Ihre Augen blitzten Haymo an, der in Unmuth über den kindischen Kosenamen den das Mädchen ihm gab, die Brauen furchte.

Frater Severin hatte Zenzas Hand erfaßt und tätschelte ihre Finger. „Macht sich ja, macht sich schon wieder. Schau ihn nur an: acht Tag’ noch, und er springt wieder über alle Berg’ aus. Aber sag’, woher weißt Du denn, daß ihm was geschehen ist?“

„Hat es ja der Polzer, der gestern nacht seine Schwester gesucht hat, überall ausgeschrien!“

Gittli, die am offenen Fenster lauschte, erschrak bis ins Herz. Hatte Wolfrat den Verstand verloren, daß er selbst erzählte, was in der Röth’ geschehen war?

„Der bildet sich jetzt was ein auf seine Schwester!“ sprach Zenza weiter. „Aber das muß ich selber sagen, brav hat sie sich gehalten. Ein halbes Kindl noch! Ich weiß nicht, aber ich glaub’, ich hätt’ den Kopf verloren!“ Sie lächelte. „Was meinst, Jäger?“ und wieder blitzten ihre Augen.

Gittli griff sich in ihrem Versteck mit beiden Händen an den Kopf; alles in ihr begann zu wirbeln.

„Du und den Kopf verlieren?“ lachte Frater Severin. „Ja! Andern die Köpf’ verdrehen – das wird das Richtige sein. Aber komm’, Dirnlein, setz’ Dich, wirst müd’ sein von dem weiten Weg, und hungrig auch ... wart’ ein’ Weil’, ich hol’ Dir eine Zehrung. Dann halten wir einen lustigen Haimgart.“ Und mit flinken Schritten ging er der Herrenhütte zu.

Gittli erblaßte. „So, schön ... jetzt laßt er sie gar allein mit ihm,“ stammelte sie. Aber weshalb nur sorgte sie sich, daß ihr „einwendig“ völlig kalt wurde? „Am End’ weiß sie was ... und sagt es ihm!“ Das mußte sie verhindern.

Kaum war der Frater gegangen, da trat Zenza auf den Jäger zu. „Hast viel ausstehen müssen?“ fragte sie mit leise bebender Stimme.

„Es hat grad ausgereicht!“ brummte er.

Den wenn ich wüßt’ der Dir das gethan hat!“ Sie ballte die Fäuste. „Da hast freilich nicht können zum Tanz kommen! Und ich wart’ allweil und wart’ und wart’ ... eine Wuth hab’ ich gehabt, daß ich Dich hätt’ zerreißen können!“

„So?“

„Und derweil liegt er daheroben, der arme Hascher, schiergar am Verscheinen! Aber schau, seit ich es gestern gehört hab’, da hat’s mich nimmer gelitten, ich hab’ herauf müssen!“

  1. Den der Durst am meisten plagt.
  2. Welcher goldklare Weine hat.
  3. Aus dem Faß in den Humpen.
  4. Bis die Nacht zu Ende geht.
  5. Ein krankes Kind, Pflegling.
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