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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

schönsten leuchten und Erfahrene und Unerfahrene immer wieder in die Gefahr locken. Für die beiden Edelweißsucher auf unserem Bilde freilich ist wohl nichts zu fürchten – so schwindelerregend jäh auch der Berghang abfällt, sie drücken sich mit ihren Steigeisen fest in den Grund ein, und das Seil schützt den Pflückenden vor dem Absturz, wenn er ausgleiten sollte. Nur darf sein Kamerad den Halt nicht auch verlieren und deshalb seine Aufmerksamkeit keinen Augenblick von dem Knienden verwenden – sonst könnten sie beide die Blumen mit ihrem Leben bezahlen müssen.

Die sechshundertjährige Jubelfeier der Stadt Celle. (Zu dem Bilde S. 385.) Es war an Pfingsten des Jahres 1292, am 25. Mai, als Herzog Otto der Strenge von Braunschweig und Lüneburg eine Urkunde ausstellte, in welcher er verschiedene Freiheiten bestimmte für die, so in seine „Neue Stadt Celle“ einziehen wollten, und in welcher er dieser das Recht von Lüneburg ertheilte. Mit dieser Urkunde beginnt die Stadtgeschichte von Celle, und seine Bürger schicken sich an, die sechshundertjährige Wiederkehr jenes Tages feierlich zu begehen mit Festspiel, Festzug und fröhlichem Kommers. Derselbe Herzog Otto hatte auch den Anstoß zur Entstehung der Stadt gegeben. Am Ende des 13. Jahrhunderts nämlich bestand bereits ein nicht unbedeutendes Gemeinwesen auf der Stelle des einen Kilometer entfernten Altencelle. Die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg hatten dort ein Schloß, auch befand sich daselbst eine große Kirche, die St. Petrikirche. Nun geschah es, daß im Jahre 1290 jenes herzogliche Schloß abbrannte, und Herzog Otto wollte es nicht wieder auf dem alten Platze aufbauen, sondern wählte dazu die Stelle, wo auch das heutige, in seinen Anfängen auf das Jahr 1485 zurückgehende Schloß steht. Zugleich gestattete er durch einen öffentlichen Erlaß, daß in der Nähe des gewählten Bauplatzes sich jedermann anbauen dürfe, gab den Ansiedlern gleiche Rechte mit den Bürgern von Altencelle und wies Bauholz und Bauplätze an. Die neu entstehende Stadt hieß erst Nyenzell, Neuencelle – heute hat sie, eine übermächtig gewordene Tochter, die Mutter ganz in den Hintergrund gedrängt und führt allein den ursprünglichen einfachen Namen Celle.

Bis zum Jahre 1705 blieb Celle die Residenz der Herzöge von Braunschweig- Lüneburg Cellescher Linie. Der letzte in ihrer Reihe war jener Herzog Georg Wilhelm, welcher um der schönen Eleonore d’Esmiers willen für seine Nachkommen auf alle Thronerbrechte verzichtete und diese sammt der ihm zugedachten hochfürstlichen Braut an seinen Bruder Ernst August abtrat. Seine Tochter ist die unglückliche Sophia Dorothea, deren trauriges Schicksal in dem Namen begriffen liegt, unter dem sie in der Geschichte berühmt geworden ist – die „Prinzessin von Ahlden“. Von ihrem Gemahl Georg Ludwig, dem späteren Georg I. von England, mit eisiger Kälte behandelt, vertraut sie sich dem Grafen Königsmark, damit er ihr zur Flucht nach dem verwandten Hofe Anton Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel behilflich sei. Das Komplott wird entdeckt, und die schwer verdächtigte, aber unschuldige Prinzessin muß in einsamer Haft auf Schloß Ahlden den Rest ihres Lebens – fast dreiunddreißig Jahre – vertrauern. Am 26. November 1726 starb sie, zweiundsechzig Jahre alt.

Das Schicksal dieser unglücklichen Prinzessin wird auch in dem Festspiel bei der Jubelfeier seine Rolle spielen. Unser Zeichner führt uns rechts unten auf seinem Bilde den Herzog Georg Wilhelm mit seiner schönen Gemahlin und seiner ebenso schönen Tochter in den historisch getreuen Kostümen, wie sie bei der Aufführung zur Verwendung kommen, vor.

Celle ist heute eine betriebsame Stadt von gegen 19000 Einwohnern, Sitz eines Oberlandesgerichts, in dessen Eigenthum sich eine namhafte Bibliothek mit werthvollen alten Handschriften des „Sachsenspiegels“ befindet. Sie weist zwei Gymnasien, ein Waisenhaus und eine Reihe weiterer gemeinnütziger Anstalten auf, endlich eine nicht unbeträchtliche Garnison. Möge das alte Gemeinwesen, das nunmehr auf eine Geschichte von sechs Jahrhunderten zurückblickt, auch fernerhin blühen und gedeihen!

Heinzelmännchen.
Nach einem Gemälde von C. Bellanger.

Friedrich der Große und der schlafende Zieten. (Zu dem Bilde S. 376 und 377.) Es ist ein edler Zug im Charakter des preußischen Heldenkönigs, jene unwandelbare Dankbarkeit, die er den Mitarbeitern an seinem Lebenswerk bewahrte. Zu denjenigen, welche sich der treuen Anhänglichkeit Friedrichs des Großen bis ins hohe Alter erfreuten, gehörte auch der General Zieten, der geniale Reorganisator der preußischen Reiterei und ihr schneidiger Führer in zahllosen Schlachten und Gefechten. Wer sollte sie nicht kennen, die hübsche Anekdote, in der sich die rührende Sorgfalt des Königs für seinen greisen Waffengefährten so schön aussprach: wie einst der alte Zieten an der königlichen Tafel sanft einschlummerte und der König seine Umgebung, die ihn wecken wollte, mit den Worten zurückhielt: „Man lasse ihn ruhen, er hat in den Tagen der Gefahr oft genug für uns alle gewacht!“ Diese Erzählung hat auch unserem Künstler die Anregung zu seinem Bilde gegeben.

Fischotterjagd. (Zu dem Bilde S. 373.) Das Jagen der Biber und Otter mit Hunden war eine uralte deutsche Jagdart, und in der Jägerei vieler Fürsten wurden Jäger gehalten, welche mit ihren Hunden im Lande umherzogen, um die Gewässer von dem der Fischerei so schädlichen Otter zu säubern. Aber das Jagen des Fischotters mit eigens hierzu abgerichteten Hunden war in Deutschland nach und nach in Vergessenheit gerathen; der wieselartige Fischräuber wurde fast ausschließlich auf Eisen gefangen und nur gelegentlich vor einem scharfen Hühnerhund oder auf dem Anstand erlegt, bis in den siebziger Jahren die Gebrüder Schmidt zu Schalksmühle im Westfälischen die alte Jagdart wieder zu Ehren brachten. Ihre aus wenigen Köpfen bestehende Meute nicht reinrassiger, aber sehr scharfer Wasserhunde stöberte den Otter aus seinem unterirdischen Versteck oder im Weidendickicht am Rande der Flüsse und Bäche auf, jagte, laut „Hals gebend“, ihren mit fischartiger Behendigkeit unter dem Wasserspiegel hingleitenden Feind, bis an einer geeigneten Stelle einer der Jäger demselben eine dreizinkige, mit Widerhaken versehene Wurfgabel oder aus kurzer Büchse eine Kugel zusandte. Die Berufsjäger Gebrüder Schmidt haben wohl in allen Gauen Deutschlands mit ihren ausgezeichneten, nie fehljagenden Hunden die Flußläufe nach Fischottern abgesucht, und ihr Ruf ging so weit, daß selbst Kronprinz Rudolf von Oesterreich sie kommen ließ, um ihre Jagdart kennenzulernen.

Als aber in Deutschland die auf Hebung der Hundezucht abzielende Bewegung, welche Ende der siebziger Jahre sich zu regen begann, feste Wurzeln geschlagen hatte, kamen über den Kanal auf unsere Ausstellungen auch englische „Otterhounds“, reinrassige, harschhaarige, rauhbärtige, mittelgroße, schneidige Gesellen mit langen gedrehten Behängen, mit denen in vielköpfiger Meute drüben der Otter oft stundenlang gehetzt wird, bis er erliegt. Mit diesen Otterhounds und einer Griffonhündin (rauhhaarigen Hühnerhündin) züchtete einer der bekanntesten Sportfischer Deutschlands, dem selbst die Engländer die Ueberlegenheit im Fischen mit der Fliegenangel einräumten, der verstorbene Gutsbesitzer Sperber-Weimar, eine Meute, mit der er seine ausgedehnten Forellengewässer und die seiner Freunde von dem gefährlichen Räuber befreite. Clemens Freiherr von Fürstenberg-Niedermarsberg in Westfalen, der eifrigste und bekannteste Jäger seines Heimathlandes, züchtete sich ebenfalls aus verschiedenen Hunderassen – aus welchen, ist sein Geheimniß geblieben – eine Meute rauhhaariger, vorzüglicher Otterhunde in zwei verschiedenen Größen, von denen die kleinen, etwas über dachshundgroßen Hunde dazu bestimmt sind, den Otter aus dem Baue zu hetzen, und die größeren ihn jagen, bis er zu Schuß kommt. Bis heute ist aber in Deutschland die Meutenjagd auf den Fischotter, wohl der großen Unkosten wegen, in den Händen einzelner weniger geblieben, so aufregend sie auch sein mag.

Der bekannte Jagdmaler und bedeutendste deutsche Hundekenner Ludwig Beckmann in Düsseldorf, ein Freund des Freiherrn von Fürstenberg, versetzt uns auf seinem Bilde an ein Flüßchen Westfalens mitten in ein solch stürmisch wildes Jagdgewoge. Die Hunde haben den Otter gefunden, und mit hellem Halse jauchzend, verbellend, „hourlierend“,[1] leutet die Meute ihm schwimmend und plantschend nach – kein Wasser ist ihr zu tief, kein „Klang“ (Stromschnelle in kiesigem Bach) zu schnell, kein Gestrüpp zu dicht – da hilft kein Tauchen, kein Verkriechen, kein Versteck – immer sind ihm die Hunde auf der Jacke – allen voran der deutsch Langhaarige edelster Baron Kalksteinscher Zucht, der sogar in tiefem klaren Wasser den Otter tauchend verfolgt, bis dieser endlich, von der langen Flucht ermüdet, vergeblich unter einem Felsvorsprung Deckung suchend, sich seinen Feinden stellt. Karl Brandt.     



  1. Bei jagenden Hunden finden sich hin und wieder solche, die mitten in der Hatz plötzlich stehen bleiben, den Kopf hoch heben und ein eigenthümlich langgezogenes Heulen ausstoßen, was „Hourlieren“ genannt wird. Es giebt sogar eine Rasse, bei der das Hourlieren stehend ist, die „Hourleur-Bracke“.




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