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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Hingegen werden für den Tisch solcher Kranken vorwiegend folgende Speisen in verschiedenster Zubereitung verwerthet: frische Gemüse, namentlich Spinat, Kohl, gelbe Wurzeln, ferner Kartoffeln, Reis, Mais, Sago, Buchweizen, Obst, Zucker, Butter, Fett. Bei einigem Kochverständniß läßt sich aus diesen Dingen ein gar nicht übler Küchenzettel zusammenstellen, umsomehr, als zum Getränk Thee, Milch, Chokolade, leichter Rhein- und Moselwein, Limonade und Champagner gestattet sind.

Ein Forscher auf diesem Gebiet, Professor Beneke, hat für Krebskranke die Eiweißentziehungsdiät durch folgende Speiseordnung empfohlen: als Frühstück ein kräftiger Aufguß schwarzen Thees mit Zucker und Milchrahm oder auch eine Tasse Kakao oder Chokolade, wenig Brot mit sehr viel Butter, dazu einige Kartoffeln in der Schale gequellt mit Butter; als zweites Frühstück frisches oder gekochtes Obst, einige englische Biskuits oder wenig Brot mit Butter, ein Glas Wein. Zur Mittagsmahlzeit Fruchtsuppe, Weinsuppe mit Sago, Kartoffelsuppe, nicht mehr als 50 Gramm Fleisch (in frischem Zustand gewogen), Kartoffeln, einfach abgekocht oder in Form von Brei oder Klößen, alle Arten von Wurzelgemüsen, gekochtes Obst, Aepfel oder Pflaumen mit Reis, Reis mit Rum. Salate, Fruchteis, leichte Mosel- und Rheinweine. Nachmittags schwarzen Theeaufguß mit Zucker und Milchrahm, wenig Brot mit Butter, oder frische Früchte und einige Biskuits. Abends eine Suppe wie mittags, Reis mit Obst, Quellkartoffeln mit Butter, Kartoffelsalat. Geringe Menge Sardinen, Anchovis, frische Häringe, Buchweizengrütze mit Wein und Zucker. Leichter Wein.

Gar mannigfaltig gestaltet sich demnach, wie wir eben erörterten, die Entziehungsdiät. Sie muß, dem Einzelfalle entsprechend, mit sorgfältiger Erwägung der Lebensweise und Ernährungsverhältnisse geregelt werden und bietet dann, wenn wissenschaftliche Erkenntniß des Arztes mit vernünftiger Selbstbeherrschung des Kranken Hand in Hand geht. ein machtvolles Mittel zur Verhütung und Bekämpfung krankhafter Zustände, einen Triumph der Küche über die Apotheke.



BLÄTTER UND BLÜTHEN.



Rheinische Passionsspiele. (Mit Abbildung S. 384.) Auch außerhalb Oberammergaus giebt es Stätten in Deutschland, wo die Leidensgeschichte Christi in der Form des Volksschauspiels zur Darstellung gelangt. So werden in diesem Jahre wieder die Passionsspiele zu Stieldorf im Rheinland aufgeführt.

Diese Spiele sind neueren Ursprungs, und die Anregung zu ihnen ist nicht etwa von geistlicher Seite ausgegangen. Ein einfacher Landmann, Michael Weyler vom Scheurer Hof bei Stieldorf, hat sie, angeregt durch das Oberammergauer Vorbild, ins Leben gerufen. Von ihm rührt die Bearbeitung des Textes und die Einrichtung des Schauspiels her, auch die Komposition der Musikstücke – soweit letztere nicht dem kirchlichen Melodienschatz entnommen sind – und er leitet auch jetzt noch das Ganze. Die Mitwirkenden sind gleichfalls Landleute, Männer, Frauen und Kinder, sämmtlich aus der Gemeinde Stieldorf, im ganzen jetzt etwa 170. Erwähnt sei dabei, daß sie persönlich keinen Gewinn aus ihrer Thätigkeit ziehen; was nach Abzug der Unkosten übrig bleibt – recht beträchtliche Summen dürften es sein – wird zu wohlthätigen und frommen Zwecken gespendet.

Die erste Aufführung – nach vieljährigen Vorbereitungen – fand im Jahre 1889 während der Fastenzeit statt; die zweite im folgenden Jahre, zur selben Zeit. Inzwischen haben sich die Leute ein eigenes Haus für die Spiele gebaut, welches 1200 Zuschauersitze faßt und wiederum nur von Einheimischen entworfen und trefflich eingerichtet ist. In diesem Jahre findet dort die dritte Wiederholung statt, und zwar wird an allen Sonn- und Festtagen der Monate Mai und Juni gespielt; also in der schönsten Jahreszeit dort zu Lande, in der „Blüthenzeit“. Dies soll sich von nun alle fünf Jahre wiederholen.

In Westdeutschland, bis nach Holland hinüber, haben die Stieldorfer Spiele bereits einen gewissen Ruf erlangt; ohne Zweifel wird die heurige Wiederholung auch die Augen weiterer Kreise auf sie lenken. Erfreulich ist es, daß neuerdings auch die Musik eine reichere Vertretung in ihnen gefunden hat. Der Komponist Wiltberger hat für die diesjährigen Spiele einige schöne Beiträge geliefert.

Fast hätten wir vergessen zu sagen, wo denn Stieldorf liegt. Es ist ein kleines, ungemein anmuthiges Dorf, mit einem Kranze von anderen, dorthin eingepfarrten Dörfchen, Weilern und Höfen umgeben, unweit des Siebengebirges, von der Station Obercassel am Rhein erreicht man es auf genußreicher Bergwanderung in stark dreiviertel Stunden. Die Gegend zeigt einen überaus lieblichen Wechsel von kleinen Thalsenkungen und Hügeln, und von einem dieser grünen, sanftgerundeten Hügel blickt die Spielhalle dem Kommenden entgegen. Ernst Lenbach.     

Die Schloßfreiheit in Berlin. (Zu dem Bilde S. 357.) Wenn man vom Denkmal des Großen Friedrich her den weiten glatten Platz überschreitet, an dem rechts und links die geschichtlich bedeutsamsten Gebäude Berlins sich aufreihen, das Palais Kaiser Wilhelms I., die königliche Bibliothek, das Opernhaus, das Prinzessinnenpalais, das Palais Kaiser Friedrichs III., die Kommandantur, das Zeughaus, die neue Wache, die Universität, so gelangt man auf die Schloßbrücke, die architektonisch bedeutsamste Brücke Berlins – ein Werk Schinkels – die hier den Hauptarm der Spree überspannt und mit acht wunderschönen Darstellungen einer Heldenlaufbahn geschmückt ist. Auf diesem Punkte genießt man den eindrucksvollsten Rundblick, welchen das in dieser Hinsicht nicht eben reiche Berlin darzubieten hat. Hinter sich die eben beschriebene gewaltige Flucht von Gebäuden mit den Denkmälern von Kriegs- und Geisteshelden, schaut man vor sich den Lustgarten, den schönsten Laubplatz Berlins, mit A. Wolffs bronzenem Friedrich Wilhelm III. als Mittelpfeiler und dem alten, Schlüters mächtiger Phantasie entsprossenen Königsschloß, der alten Börse, dem Dome, dem Campo Santo, dem Museum und der Nationalgalerie als Seitencoulissen. Wahrlich, ein gewaltiges Bild! In engem Umkreis eine Stadt steinerner Symbole, eine Sammlung von Denkmälern gleich denen auf der Schloßbrücke, für die Laufbahn auch eines Helden, genannt der preußische Staat! Alles Größe – zwar Größe ohne reiche Phantasie und berückende Farben, Größe in starren, flachen Linien, aber darum den Anschein um so größerer Festigkeit erweckend, das Gefühl einflößend einer sicher auf breiten Riesenfüßen ruhenden Macht!

Wenn man aber den Blick von diesem strengen heroischen Bilde fortwendet und rechts den Lauf der Spree hinauf schweifen läßt, gewahrt man ein Häusergewimmel, mit bunt wechselnden Wasserfronten auf moosgrünen Pfahlrosten, die ins Wasser getrieben sind, Pflöcke davor, die den schiffbaren Lauf des Flusses bezeichnen und Kähnen und Holztriften zu Haltepfeilern dienen. Das ist die „Schloßfreiheit“ von Berlin.

Ein veralteter Name für eine veraltete Sache. Der Platz zwischen Schloß und Fluß war von den ersten Königen Preußens für abgabenfreie Wohnhäuser der Schloßbeamten bestimmt worden. Die alten Privilegien sind längst vermodert wie die alten niedrigen Barockhäuser, an deren Stelle heute moderne, charakterlose Miethshäuser stehen, der Quai selbst aber behielt den alten Namen der „Schloßfreiheit“. Diese Häuser, nun gleichfalls dem Untergang geweiht, zeigt unser Bild. Links in der Ecke sehen wir noch den äußersten Abschnitt der Schloßbrücke: auf drei mächtigen Granitblöcken das zweite, dritte und vierte Bild der Marmorgruppen „Siegeslaufbahn eines Helden“. Das lange Rechteck im Hintergrund mit den lichten Fensterflecken und den Figuren auf durchbrochener Attika ist das königliche Schloß mit seiner Lustgartenfront. Die rechts davon scheinbar über dem breiten Massiv des Hauses Schloßfreiheit Nr. 3 gelagerte Kuppel gehört gleichfalls dem Königsschloß an. Unter ihrer mit goldenem Kreuze gezierten kupfernen Wölbung befindet sich die Kapelle der Hohenzollern und darunter das gewaltige Hauptportal des Schlosses, der Schloßfreiheit zugekehrt. Am rechten Rande des Bildes gewahren wir einen niedrigen Bau im Wasser, es ist eine Badeanstalt, darüber einen gleichfalls niedrigen, lang sich hinziehenden, mit flacher Dachwölbung versehenen Bau, aussehend fast wie eine gedeckte Wandelbahn oder eine kleine Eisenbahnhalle. Dieser tritt auf unserem Bilde etwas in den Schatten; in Wirklichkeit ist er ein hübscher, in orientalischer Buntheit blitzender Pavillon mit einer reizenden Wasserveranda versehen; darin befindet sich das Restaurant Helms.

Die Häuserflucht der Schloßfreiheit wird niedergerissen in erster Linie, weil dieser Platz für das Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. in Aussicht genommen ist. Daß die Mittel dazu durch eine Lotterie aufgebracht wurden, hat seinerzeit und auch neuerdings wieder viel Staub aufgewirbelt, und von Männern aller Parteien wurde es bedauert, daß man das Andenken an den unvergeßlichen Kaiser mit einem auf die Spielsucht weiter Volkskreise berechneten Unternehmen verquickte. Am 15. Juni dieses Jahres soll mit der Niederlegung der Häuser Nr. 1 und 2 zunächst der Schloßbrücke begonnen werden, von denen das erste bis daher noch die Geschäftsräume der Photographischen Gesellschaft barg. Im Oktober dieses Jahres folgen die Grundstücke Nr. 7, 8 und 9. Der Mitteltheil mit dem riesigen Neubau, der auf dem Bilde unter der Schloßkuppel zu stehen scheint, folgt erst im Herbst 1893, während Nr. 10 und 11, das Helmssche Restaurant umfassend, dessen Grund und Boden fiskalisches Eigenthum ist, von dem Projekt überhaupt nicht betroffen werden.

Mit der Schloßfreiheit sinkt ein weiteres Stück Alt-Berlin dahin. Kaum steht noch hier und da ein Rest davon, und man sieht einen nach dem anderen ohne allzuviel Bedauern fallen; indem man die schwindenden Zeugen alter Tage photographiert und so in höchst moderner Nachbildung dem märkischen Museum einverleibt, glaubt man genug gethan zu haben. Auch der Schloßfreiheit wird keine Thräne nachgeweint werden – sah man doch selbst ohne Gemüthsbewegung, wie der ehrwürdige Mühlendamm starb, „und war mehr als sie!“ O. N. H.     

Edelweißsucher. (Zu dem Bilde S. 361.) Schon manchem sind jene weißschimmernden Blumensterne verderblich geworden, die im Hochgebirge aus der Einsamkeit schwer zugänglicher Abhänge und schmaler Grasbänder am

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_386.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2024)