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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Glase Wasser und etwas Zucker gemischt und heiß gemacht hat. In der dritten Woche trinkt man täglich nur ein Glas reinen Weines, dann geht es noch einen Schritt weiter: man versucht einen Tag gar nichts zu trinken, genießt am folgenden Tage ein Glas warmen Wein und macht am dritten Tage einen sogenannten Trinktag, d. h. man trinkt zwei Stunden nach dem Mittagstisch mehrmals. Und in dieser Weise wird einige Wochen fortgefahren, so daß nach jedem Trinktage sofort wieder die trockene Diät beginnt.

Die geschilderte Trockenkost hat einen günstigen Einfluß auf manche Stoffwechselerkrankungen, allein die Untersuchungen über die Wirkung einer so weit gehenden Wasserentziehung beim Menschen haben gezeigt, daß hierdurch wesentliche Veränderungen im Blute sowie in der Zusammensetzung der Gewebe zustandekommen, welche lebenbedrohende Erscheinungen zur Folge haben.

Eine häufige Form von entziehender Diät ist ferner jene, bei welcher die Fette aus den Nahrungsmitteln mehr oder minder vollständig verbannt werden. Durch die verläßlichsten physiologischen Versuche der Gegenwart ist nachgewiesen, daß die häufigste und wichtigste Quelle des im Körper abgelagerten Fettes das mit der Nahrung aufgenommene Fett thierischen oder pflanzlichen Ursprunges ist und daß darum jeder zur Korpulenz Veranlagte wohlweislich vom Küchenzettel jegliches Fett streichen, kein fettes Fleisch, keine Butter, kein Schmalz, keine fetten Saucen etc. genießen soll. Eine auf diesem Grundsatze aufgebaute Kur ist seit nahezu dreißig Jahren unter dem Namen „Bantingkur“ bekannt, seitdem sie der englische Arzt Harvey dem dicken Banting empfahl, welcher nicht verfehlte, die hierdurch an seinem Fettpolster erzielten glänzenden Erfolge in einem drastisch geschriebenen „offenen Briefe“ der gesammten abmagerungsbedürftigen Menschheit zu verkünden.

Gruppe aus dem Stieldorfer Passionsspiel: Die Kreuztragung.
Nach einer Photographie von Emil Koch in Bonn.

Bei der Fettentziehungsdiät sind Butter, Rahm, Schmalz gänzlich zu meiden, ferner alle fetten Fleischsorten, so Schweinefleisch (mit Ansnahme mageren Schinkens), Gans, Ente, von Fischen der Lachs, die Lachsforelle, der Steinbutt; endlich müssen vom Speisezettel alle Pasteten und alles fette Backwerk verschwinden, unter den Früchten sind Kastanien, Nüsse, Mandeln verboten, unter den Getränken Chokolade und Kakao. So wirksam eine solche Fettentziehungsdiät ist, so darf sie doch nur auf kurze Zeit angewendet werden, weil sonst wesentliche Ernährungsstorungen eintreten können; das Fett ist eben zum Aufbau des Organismus mit von nöthen. Gewöhnlich wird die Fettentziehungsdiät mit der Entziehung noch anderer Nährstoffe verbunden, nämlich der Kohlenhydrate, d. h. des Stärkemehles und Zuckers, weil diese Stoffe zwar nicht selbst in Fett übergehen, wie früher angenommeu wurde, aber doch die Eigenschaft besitzen, das im Körper gebildete und abgelagerte Fett vor Zerstörung zu schützen. Darum wird fetten Personen verboten, Mehlspeisen zu genießen und Süßigkeiten zu naschen; ja diese Maßregel erscheint zuweilen für Fettsüchtige noch wichtiger und dringender als die Fettentziehung.

Wenn man der Nahrung die Kohlenhydrate entzieht, so verfolgt man vorzugsweise auch die Absicht, den Zuckergehalt des Blutes herabzusetzen. Diese Diät wird deshalb auch bei der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) angewendet, in der Form jedoch, daß es gestattet ist, Fette in größeren Mengen zu genießen. Der Zuckerkranke wird darum, wie wir dies in dem Aufsatz in Nr. 18 des Jahrgangs 1889 dargelegt haben, vorzugsweise auf Fleischkost gesetzt, weil die Wurzeln, Früchte und Körner der Pflanzen die zu vermeidenden Stärkemehlarten enthalten und mehr oder minder zuckerreich sind. Solchen Kranken wird selbst das dem Aermsten nothwendige tägliche Brot ganz entzogen oder sehr knapp zugemessen. Aber auch hier ist eine vollständige Verbannung sämmtlicher Zuckerbildner aus den Nahrungsmitteln nicht gut durchführbar, weil eben der Organismus dies nicht verträgt und einer bloßen animalischen Ernährung widerstrebt.

Den geraden Gegensatz zu dieser Diätform bietet die Vegetarianerdiät, welche alle Speisen thierischen Ursprunges meidet und nur die pflanzlichen Nahrungsmittel gestattet. Es läßt sich nicht leugnen, daß der Mensch auch als Vegetarianer leben kann, besonders wenn er sich nicht streng orthodox an ausschließliche Pflanzenkost hält, sondern von den thierischen Nährmitteln die nicht so verpönten Eier, die Milch, die Butter und den Käse sich gestattet. Aber um Vegetarianer zu sein, muß man vor allem einen guten Magen und leistungsfähigen Darm haben, denn eine ausschließlich pflanzliche Kost stellt an die Verdauungsorgane weit höhere Anforderungen als eine gemischte. Der für den Körperbestand wichtigste Nährstoff, das Eiweiß, ist zwar auch in den pflanzlichen Speisen enthalten, allein nicht in so leicht verdaulicher, den Säften rasch zugänglicher Form wie in der Nahrung thierischen Ursprunges.

Der menschliche Körper kann sein Eiweiß von einer Erbsenkost wie von einer Fleischkost beziehen, aber bei der ersteren ist die Ausnutzung des Nahrungsmittels durch den Darm eine weitaus unvollständigere und schwierigere; es wird eine ungleich größere Menge zugeführt werden müssen, ein gewaltiger Ballast wird mit herbeigeschafft, der viel Unnützes enthält. Um die für den Stoffwechsel nöthigen Substanzen, namentlich die Eiweißstoffe, aus einer Pflanzenkost, einer Ernährung durch Brot, Kartoffeln, Reis, Mais etc. zu gewinnen, bedarf es einer sehr großen Masse dieser Speisen und einer langen Zeit zur Bearbeitung. Die Pflanzenfresser unter den Thieren haben einen viel komplizierteren und längeren Darm als der Mensch und haben Muße zu ihrer Eßarbeit.

Wenn die Vegetarianer behaupten, daß ihre Ernährungsart vollständig genüge, um ihr Körpergewicht auf einer beträchtlichen Höhe zu erhalten, ja daß sie dadei sogar recht kräftig und schwer werden, so muß dem gegenüber betont werden, daß die Gewichtszunahme, welche bei ausschließlich pflanzlicher Kost stattfindet, auf Vermehrung des Wassergehaltes des Körpers, nicht aber auf Ansatz von Fleisch oder Fett beruht.

Allerdings ist zuweilen auch diese Fleischentziehungsdiät für einige Zeit angezeigt, und es kann manchem von Nutzen sein, auf ein paar Wochen Vegetarianer zu werden. Namentlich Personen, welche einen üppigen Tisch lieben und dabei eine sitzende Lebensweise führen, welche gewohnt sind, sehr nahrhafte und dabei leicht

verdauliche Fleischspeisen zu genießen, können hierdurch ihre Verdauungsorgane

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_384.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2022)