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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

denke, die hingeschiedenen Menschen verlieren nicht die Kenntniß irdischer Dinge und ihr patriotisches Herz nimmt an allem theil.“

Die letzten Briefe, die wir von seiner Hand haben, beschäftigen sich immer weniger mit dem wechselnden Treiben des Tages, mit menschlichem Schicksal und Kampf. Fremde Personen hereinzuziehen, war nie seine Sache. Selten findet sich über Dritte ein Urtheil und nie ein mißgünstiges. Mit vornehmem Schweigen geht er über das weg, was er nicht sagen könnte, ohne anzuklagen. Die Erscheinungen der Natur sind es, die nun immer gesteigerter seine Aufmerksamkeit fesseln. Wer Schlachten lenken will, der muß stets die großen Linien wie die Kleinigkeiten einer Landschaft festhalten können und wird so von Anfang an die Natur gewiesen. Und ist er kein leidenschaftlicher Geist, sondern von jener machtvollen Ruhe, die hervorgeht aus der unbegrenzten Stetigkeit des eigenen Wirkens, so muß ihn je länger je mehr statt der Eintagsdauer menschlicher Dinge die Natur anziehen in ihrer Gesetzmäßigkeit, ihren ewig waltenden Kräften. So sehen wir den Feldmarschall in seinem geliebten Creisau „das Naturleben belauschen in der Stille der herabsinkenden Dunkelheit“. Und so oft der Frühling ins Land kommt, ist’s ihm „eine besondere Gnade“, noch einmal das Erwachen der Erde beobachten zu dürfen, und gerne hält er dann still auf dem Kapellenberg. „Der Rothdorn steht in voller Pracht und tausend Knospen des Rosenstocks an der Kapelle sind im Aufblühen“. Sinnend schaut er in die Ebene hinaus – seine Aufgabe ist gethan; zwar ist auch ihm nicht „der Tod ein ganz willkommener Gast“, aber doch drängt sich ihm schon geraume Zeit vor seinem Scheiden der Wunsch auf die Lippen: „Däs nächste Jahr möchte ich nicht mehr erleben.“

So klingen die Briefe leise aus wie Glockenton, der nach dem Kampf den Frieden kündet. Es ist verwunderlich, wie tief der Eindruck ist, den sie im Lesen hinterlassen, denn sie sind weder besonders geistreich noch tragisch bewegt, und Kleinigkeiten, wie sie der Tag bringt, sind genug darin. Aber „aus vielen kleinen Tagesgeschichten setzt sich am Ende eine Lebensgeschichte zusammen“, und hier eine, die durch ihre ungesuchte Schmucklosigkeit und Wahrhaftigkeit alles menschlich Echte, alle innere Größe um so reiner zum Ausdruck bringt. Frei von der nervösen Unruhe und dem blendenden Schein einer modernen Entwicklung, geht dieses Leben hin in tiefer Achtung vor dem Segen der Arbeit, im Dienst für die Majestät der Pflicht, im hoffenden Ausblick auf eine überirdische neue Welt des Geistes. Den Charakter, der hier vor uns steht, hat man „antik“ genannt. Aber warum zum Vergleich nach Fremdem greifen? Soll es doch für unser Gefühl das Höchste sein, wenn wir sagen dürfen: er war ein deutscher Mann, groß durch seine Thaten, größer durch die Selbstlosigkeit, aus der sie flossen, am größten durch den stillen und doch jedes ewige Interesse des Menschengeistes in sich befassenden Sinn, mit dem er beispiellose Erfolge trug. Die Geschichte kann ihm keinen schöneren Lorbeer reichen, als den er selbst sich gab im Sieg über alles Kleinliche und Häßliche.




Ueber Entziehungsdiät.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.


Wie das Ueberfüttern der Kinder in wohlhabenden Familien eine der häufigsten diätetischen Sünden ist, so nimmt auch ein sehr großer Theil der Erwachsenen weitaus mehr Nahrungsmittel zu sich, als die Verdauungsorgane bewältigen können und als zur Erhaltung des Körperbestandes nothwendig ist. Diese Ueberfüllung mit Nährstoffen, diese Ueberlastung des Magens und Darmes dauert so lange fort, bis endlich der Organismus sich den zu hoch gespannten Anforderungen nicht mehr gewachsen erweist. Es entstehen Störungen der Verdauung, der Magen empört sich, die Darmthätigkeit wird träge, das Blut stockt in seinem Kreislaufe, die Leber schwillt, die Nerven werden verstimmt, der Stoffwandel zeigt sich mannigfach verändert – kurz, man muß den Arzt holen lassen, und dieser verordnet in richtiger Erkenntniß, daß hier die Nahrungsaufnahme den Stoffverbrauch übertraf, eine Entziehungsdiät. Er entlastet die Verdauungsmaschine, er behebt die Blutüberfüllung, welche wichtige innere Organe gefährden kann, indem er dafür sorgt, daß die Menge aller zur Erhaltung des Stoffgleichgewichtes nothwendigen Nahrungsstoffe herabgemindert, also weniger Eiweiß, Fett, Zucker und Stärkemehl zugeführt wird, als bisher die Lebensgewohnheiten des Kranken mit sich brachten, ja, sogar weniger, als die Erhaltung des Stoffgleichgewichtes fordert.

Die einfachste allgemeine Entziehungsdiät besteht also darin, daß der Körper eine zur vollständigen Sättigung nicht genügende Menge leicht verdaulicher Nahrungsmittel erhält, und einer solchen Diät sollte sich jeder unterziehen, der in Speise und Trank zuviel des Guten geleistet hat und nun empfindet, daß Magen und Darm den Dienst versagen. In früherer Zeit hat man aus solcher Entziehungsdiät eine wahre Hungerkur gemacht, und die alten Aerzte ließen blutreiche, vollsaftige Lebemänner, Gichtbrüchige und Fettsüchtige ohne Erbarmen hungern. Die neueren physiologischen Untersuchungen haben aber das Schädliche solchen Vorgehens erwiesen und dargethan, daß bei der Entziehungsdiät alle Vorsicht geboten ist. Wenn die dem Körper zugeführten Nährstoffe längere Zeit hindurch auf das Nothwendigste beschränkt werden, so wird der Nachwuchs der rothen Blutkörperchen behindert und der Organismus in seinem Aufbaue gestört. Die Entziehungsdiät darf darum weder zu strenge genommen, noch zu lange ausgedehnt werden.

Weitaus häufiger, als der Arzt eine allgemeine Entziehungsdiät vorschreibt, sieht er sich veranlaßt, einen oder mehrere bestimmte, zur Ernährung nothwendige Stoffe in ihrer Zufuhr zu beschränken oder dem Organismus gänzlich zu versagen. Auf solche Weise können von den Nährstoffen das Wasser oder das Fett oder Zucker und Stärkemehl oder endlich die Eiweißstoffe entzogen werden.

Die Wasserentziehungsdiät besteht in der möglichsten Enthaltung vom Wassergenusse. Dadurch wird dem Organismus zunächst Wasser, mittelbar aber auch eine Reihe von festen Bestandtheilen genommen, so daß eine günstige Beeinflussung des Stoffwechsels bei Fettsucht, Gicht, Rheumatismus und anderen Erkrankungen erzielt werden kann. Schon aus sehr alter Zeit, bereits von Plinius dem Jüngeren, der um das Jahr 100 n. Chr. lebte, rührt die Verordnung her, daß fette Personen, welche mager werden wollen, während des Essens dürsten und nachher wenig trinken sollen. Und bekanntlich ist dieser Grundsatz, die Aufnahme von Flüssigkeiten, besonders von Wasser, auf ein möglichst geringes Maß herabzusetzen, in jüngster Zeit als modernstes Entfettungsmittel lebhaft verfochten, aber auch nicht minder lebhaft bekämpft worden.[1]

Als festgestellt kann man ansehen, daß eine möglichste Beschränkung des Wassergenusses in den Fällen nutzbringend ist, wo infolge der fettigen Veränderungen des Herzmuskels hochgradige Kreislaufsstörungen vorhanden sind und es für die Erhaltung des Lebens von Wichtigkeit erscheint, die in den Geweben aufgestauten Flüssigkeitsmegen zu vermindern. In der Regel wird hierbei die Menge der gestatteten Getränke in folgender Weise angesetzt: morgens und abends eine Tasse (150 Gramm) Kaffee, Thee, Milch oder dergl., mittags 3/8 Liter Wein und vielleicht noch, in kleinen Portionen über den ganzen Tag vertheilt, 1/4 bis 2/3 Liter Wasser.

Die strengste Form der Wasserentziehung bietet die sogenannte Schrothsche Diät. Diese Durstkur, welche sich einer großen Beliebtheit erfreut, wobei wir aber gleich bemerken wollen, daß oft genug die von ihr drohende Gefahr in keinem richtigen Verhältnisse zu dem zu erhoffenden Nutzen steht, hat folgenden Gang: der Patient genießt nach Bedürfniß und Appetit in den Morgenstunden wie im Laufe des Tages trockene, gut ausgebackene Semmel, mittags einen Brei aus Reis, Gries, Hirse. Zum Getränk dient in den ersten acht Tagen mit Zucker und etwas Citronensaft versetzter, nicht ganz dünner Haferschleim, nicht zuviel auf einmal und nur bei entschiedenem Durste. In der zweiten Woche trinkt man täglich nur einmal ein Weinglas voll Wein, den man mit einem halben

  1. Siehe darüber meinen Aufsatz „Die Fettleibigkeit und ihre Folgen“, „Gartenlaube“ 1885, Seite 262.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_383.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)