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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Anastasius Mertens, noch einen Zusatz erhalten und sodann „Samuel Stevenhagen Söhne Nachfolger Erben“ lauten soll.

„Das ist großartig “ sagte Frau Mathilde.

„Etwas lang,“ meinte Nehring. „Einen kleinen Wechsel kann Anastasius damit gar nicht acceptieren.“

Konstantin zuckte die Achseln. „Dir ist nichts heilig!“ murmelte er.

Den „Königlichen Kommissionsrath“ hat Stevenhagen allem Anschein nach vergessen, wenigstens spricht er nie mehr davon. Die schönen Visitenkarten, die Nehring ihm vor Jahren geschenkt hat und von denen nur wenige benutzt worden sind, liegen vernachlässigt in einer nur selten geöffneten Schublade des großen Schreibtisches, an dem Stevenhagen seit einem Menscheualter Rechnungen schreibt, Bücher fuhrt, auf „ergebenste Letzte“ Bezug nimmt und „geschätzte Jüngste“ beantwortet. Auch seine Freunde und Mitbürger scheinen gar nicht mehr daran zu denken, welch hoher Auszeichnung Herr Konstantin Stevenhagen vor Jahren theilhaftig geworden ist. Sie behandeln ihn wie einen Gleichgestellten, und der „Kommissionsrath“, der vor acht Jahren in so vieler Leute Mund war, ist ohne Sang und Klang wieder aus dem Wortschatz der Einwohner von N. verschwunden. So vergeht der Glanz der Welt!


Moltke in seinen Briefen.

Von Dr. Adolf Marquardt.


Mehr als ein Jahr ist vergangen, seit der Feldherr, der Deutschlands Macht und Einheit in glänzenden Siegen mitgeschaffen hat, für immer die Ruhe fand, nach der er sich oft gesehnt. Aber was so äußerlich von uns genommen wurde, ist in anderer Weise schöner wiedererstanden. Eine Reihe von Veröffentlichungen, in denen uns die „Gesammelten Schriften und Denkwürdigkeiten“ des wunderbaren Mannes geboten werden, hat uns sein geistiges Bild näher gebracht als je. Vor allem die Briefe an seine Angehörigen sind es, die sein tiefstes Wesen erschließen – diese einfache edle Größe des Denkens und Handelns, diese innere Freiheit von allem Kleinlichen, diese in sich selbst gegründete Stille mit dem weiten Blick ins Wesentliche und Ewige, dabei diese unbesiegliche Thatkraft. Wie vor etwas Vollendetem stehen wir vor solchem Leben, das, für die Geschichte lange schon unsterblich geworden, ungeschwächt bis an die Grenze menschlicher Tage reichte, um dann mitten aus dem Schaffen heraus mit einmal ein schmerzloses Ende zu finden, als sollte der Welt von diesem Manne nur die Erinnerung bleiben, daß er gehandelt, nicht daß er gelitten habe.

Und doch ist ihm nicht ein fertiges Glück in den Schoß gefallen; durch eine harte Jugend, durch eine Schule der Entbehrung und der eisernen Arbeit hindurch ist er zu der Höhe emporgestiegen, auf der wir ihn zu sehen gewohnt sind. Moltkes Jugend – in eine fernliegende Zeit müssen wir zurückgehen, um sie uns zu vergegenwärtigen: der gewaltige Hintergrund die Thaten des korsischen Eroberers, der wie ein unwiderstehliches Schicksal über die Völker Europas hereinbrach, dann die Jahre der Befreiungskriege mit ihrem Begeisterungssturm, ihrem opferfreudigen siegreichen Ringen, endlich jene große Stille, in welche die „Heilige Allianz“ das wachgewordene Europa einzuwiegen suchte – und auf diesem Hintergrund voller Kämpfe um die höchsten Güter fast überall ein Familienleben in schlichtestem Rahmen, eine bescheidene Häuslichkeit, in ihrem äußeren Zuschnitt bürgerlich einfach als eine kleine und gelegentlich kleinliche Welt für sich, in der die Autorität der Eltern das unumstößliche Gesetz, Gehorsam das Glück der Kinder bildete, in der wenig Raum blieb für anspruchsvolle Wünsche und desto mehr für ernste Arbeit.

Diese Welt war die des jungen Moltke; aus ihr ging der Charakter hervor, dessen Spiegelbild wir in den Briefen bewundern. Den Grund dazu legte die Erziehung der Mutter. Moltkes Eltern lebten früh getrennt. Der Vater, preußischer und später dänischer Offizier, war offenbar eine jener unruhigen Naturen, die in einer Häuslichkeit weder glücklich sind noch beglücken; Vermögensverluste kamen hinzu, so trennte er sich von seiner Gattin. In selbstverleugnender Liebe übernahm diese die Erziehung der Kinder und führte mit der entschlossenen stolzen Kraft ihres Wesens die Aufgabe durch, die bei den knappen Mitteln doppelt schwer fiel. Nach außen hin verschlossen, ernst, fast streng, und doch eine leidenschaftliche Natur mit liebeglühendem, treuem Herzen – so wird sie geschildert.

Es muß trotz aller Schatten eine frohe, kerngesunde Welt gewesen sein, die sich da aufbaute. Mochte vieles darin beengend sein, für eines hatte sie reichlich Platz und in dem Wirken der Mutter das eindrucksvollste Vorbild: für die schlichte Größe der Pflichttreue, die doch in allem, was sie thut, nur etwas Selbstverständliches erblickt. Mit behaglicher Anschaulichkeit führen uns einige Stellen der Moltkeschen Briefe in den Kreis der Seinen. Wir sehen früh morgens „die Kaffeemaschine auf dem Tische sprudeln, die Schwestern mit Stickerei, den Vips – Moltkes Bruder Victor – mit einer Rechentafel und einigen Chininpulvern“, sehen die Mutter, „mit ein paar entsetzlich zerrissenen Strümpfen (nämlich in der Hand) ein wenig kopfschüttelnd die Brille zurechtschieben, um dies Faß der Danaiden dicht zu machen“, und „in dem Eulensalon poltert und ruft etwas, wahrscheinlich einer der Herren Brüder, welcher sein verspätetes lever bemerkbar macht“. Wenn die Arbeit ruhen kann, dann sitzt man wohl „in bequemer Gemüthlichkeit“ auf dem Sofa der „gelben Stube“ und erzählt oder musiciert sich etwas vor. Und besonders anheimelnd ist’s an Weihnachten; da geben sich in den bescheidenen Räumen Zufriedenheit und harmlose Lust ein Fest, kein glänzendes freilich, aber ein wohlthuendes. Die Geschenke sind nahe beieinander: „saubere Handarbeiten“ von den Schwestern, von der Mutter „gute tüchtige Hemden und Strümpfe mit doppelten Fersen, als wären sie für Achill bestimmt“, und nebenbei „eine Bowle Punsch in der Perspektive“ – das genügt, um die Versammlung in muntere Stimmung zu versetzen.

Was solch stille Geborgenheit für das ganze Leben bedeutet, vergißt nur ein Undankbarer. Moltke giebt seinem Defühl für das Glück dieser Jahre noch als Mann einen rührenden Ausdruck in dem Worte, das er an seine Mutter schreibt: „Wie oft ist es mir vor die Seele getreten, daß von allen Wohlthaten der erste mütterliche Unterricht die größte und die bleibendste ist. Auf diese Grundlage baut sich der ganze Charakter und alles Gute in demselben, und wenn Du acht Kinder zu redlichen Leuten herangezogen, so muß ihr Dank und Gottes Segen auf Dir ruhen.“

Noch ein anderes war bestimmend für das Werden dessen, den wir in den Briefen finden – die Zeit in der Kadettenakademie zu Kopenhagen, in welche der elfjährige Knabe eintrat. Das war jene Zeit, über die Moltke noch ein Jahr vor seinem Tode wie eine Ueberschrift die Worte setzt: „Freudlose Jugend, spärliche Ernährung, fern vom Elternhause,“ die dem neunundzwanzigjährigen Lieutenant die bittere Aeußerung entlockt, die einzige derart in den Briefen: „Da ich keine Erziehung, sondern nur Prügel erhalten, so habe ich bei mir keinen Charakter ausbilden können. Das fühle ich oft schmerzlich. Dieser Mangel an Halt in sich selbst, dies beständige Rücksichtnehmen auf die Meinung anderer, selbst die Präponderanz der Vernunft über Neigung verursachen mir oft einen moralischen Katzenjammer, der bei anderen gerade aus dem Gegentheil einzutreten pflegt. – Man hat sich ja beeilt, jeden hervorstechenden Charakterzug zu verwischen, jede Eigenthümlichkeit wie die Schößlinge einer Taxuswand fein bei Zeiten abzukappen – so entstand die unglücklichste Eigenschaft des Charakters, die Charakterschwäche.“ Wohl hat an dieser Aeußerung eine augenblickliche Verstimmung theil, in der Moltke ungerecht wird gegen sich selbst, denn „Mangel an Halt“ und „Charakterschwäche“ waren ebensowenig die Fehler des Lieutenants Moltke, wie sie später die des Heerführers waren, aber das zeigt die Stelle doch wahrheitsgetreu, daß in jenen Jahren „fern vom Elternhause“ seine innere Welt nur aus sich selber werden konnte.

Was die Natur an kraftvollem Willen und überlegener Einsicht in diesen Geist gelegt hatte, das mußte sich unter solchen Verhältnissen doppelt mächtig und rasch entfalten, und so entsteht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_380.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)