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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Anderen bannte in ihr die Furcht vor diesem Einen. Schluchzend fiel sie vor ihm nieder und schrie: „Helfet ihm! Helfet ihm!“

Er hob sie auf. „Wem soll ich helfen? Rede, Mädchen, rede doch!“

Da klang Herrn Heinrichs Stimme: „Was ist geschehen?“

Gittli entwand sich den Händen des Paters, eilte dem Propst entgegen, umklammerte seine Hand, und während sie ihn schon mit sich fortzog, der Jagdhütte zu, schluchzte sie: „Ach, guter, lieber Herr, schauet, ich bitt’ Euch, helfet ihm, helfet ihm, er muß versterben!“

„Wer, Mädchen, wer!“

„Der Haymo, der Haymo!“

„Mein Jäger! Was ist mit ihm? Ist er gestürzt?“

„Nein, nein, viel ärger noch! Es hat ihn ...“ Ihre Stimme erlosch – sie durfte ja nicht reden, sie hatte geschworen! „Ich weiß nicht, weiß nicht ...“ schrie sie auf, „ich hab’ ihn gefunden ... und hab’ ihn heimgebracht ... gestern ... und er hat so gut geschlafen die ganze Nacht, und heut’ in der Früh’, da hat er noch gern genommen, was ich ihm gekocht hab’ ... zu Mittag aber, da hat er angefangen, hat schiech geredet, hat um sich geschlagen, und allweil hat er aufspringen und fort wollen ... ach, ich hab’ gebittet und gebettelt, daß er s[till?] halten soll und den Arm nicht rühren ... und schauet, mit zwei Händ’ hab’ ich ihn heben und zwingen müssen ... und nachher auf einmal ist er weggefallen, daß ich schon gemeint hab’, er verlischt wie ein Lichtl ... und so liegt er noch allweil ... und einmal war ich bei ihm und das andermal wieder bin ich hinausgelaufen und hab geschrien und geschrien, weil ich gemeint hab’, es müßt’ und müßt’ einer kommen! Ach, was hab’ ich ausgestanden!“

Sie hatten die Hütte erreicht; Gittli eilte voran, Herr Heinrich und Pater Desertus folgten. Auf dem Herde brannte ein flackerndes Feuer.

„Schauet doch her,“ weinte Gittli, „da liegt er und thut kein Rührerl nimmer!“

Herr Heinrich trat an das Lager. „Licht, Dietwald, Licht!“ Pater Desertus riß ein zur Hälfte brennendes Scheit aus dem Feuer und hob es über das Heubett. Während Herr Heinrich sich über den Kranken beugte und ihn zu untersuchen begann, zog sich Gittli scheu in einen Winkel zurück, dort stand sie mit angstvoll blickenden Augen, die zitternden Hände an den Lippen.

„Was ist das? Ein Wundverband?“ Herr Heinrich richtete sich auf. „Hast Du ihn angelegt?“

„Ja, Herr ... er hat doch geblutet!“

Jetzt stolperte Herr Schluttemann keuchend über die Schwelle. „Was giebt’s? Alle Wetter! Was giebt’s? Was giebt’s?“

„Seht nach, Herr Vogt, ob unsere Leute noch nicht kommen,“ sagte Herr Heinrich. „Ich brauche das Kästlein mit Verband und Balsam.“

„Was fehlt dem Bursch?“

„Das werdet Ihr erfahren, wenn ich selbst es weiß. Geht!“

Herr Schluttemann machte ein schiefes Gesicht und verschwand. Herr Heinrich beugte sich wieder über Haymo. „Er schläft,“ sagte er nach einer Weile zu Pater Desertus, „sein Herzschlag ist matt, aber ruhig, sein Athem gleichmäßig. Er mag einen schweren Anfall von Wundfieber überstanden haben und liegt nun in der Betäubung der Schwäche. Ich sehe keine Gefahr.“

Gittli faltete die Hände und rührte stumm die Lippen.

„Du dort, komm’ her!“ rief Herr Heinrich ihr zu. „Wie heißt Du?“

„Gittli!“

„Komm’ her, Gittli! Umd sag’ mir, was Du alles gethan hast zu seiner Hilfe.“

Zögernd kam sie näher, und nun erkannte er sie. „Warst Du nicht vor einigen Tagen beim Vogt? Du bist die Schwester Wolfrats, des Sudmanns?“

Gittli zuckte zusammen.

„So komm’ doch näher und rede! Was hast Du für meinen Jäger gethan?“

Mit zitternden Händen an ihrem Röcklein nestelnd, die Augen zu Boden gesenkt, so gab sie mit stockenden Worten Bericht. Aufmerksam hörte Herr Heinrich zu, und Pater Desertus hing mit den Augen wie gebannt an Gittlis Zügen.

Als sie geendet hatte, blickte sie mit scheuer, stummer Frage zu Herrn Heinrich auf, als wollte sie sagen: „Hab’ ich auch nichts schlecht gemacht?“

Da kam Herr Schluttemann zurück. „Die Leute sind da, Reverendissime, hier ist das Kästlein!“

Herr Heinrich nahm es. „Erwartet mich draüßen und laßt mir niemand in die Hütte. Frater Severin ...“

„Er ist noch immer nicht da.“

„Wenn er kommt, soll er rasten und Athem schöpfen, dann soll er die Herrenhütte in stand setzen. Der Walti mag hier bleiben, die vier Knechte sollen in den Almhütten nächtigen und morgen beizeiten wieder hier sein!“

Herr Schluttemann ging, und man hörte, wie er draußen die Knechte anschrie, als hätten sie Wunder was verbrochen. „Und morgen vor Tag seid Ihr wieder da!“ schloß er sein donnerndes Kapitel. „Oder ich reiß’ Euch die Ohren vom Kopf weg ... wurzweg!“

Herr Heinrich entnahm dem Kästlein, was er brauchte, um einen neuen Verband zu legen. Als er die mit Harz verklebte Leinwand von der Wunde löste, streckte sich Haymo stöhnend, schlug die Augen auf und schloß sie wieder.

„Dietwald, sieh her,“ rief Herr Heiurich erregt, „das ist keine Wunde, wie ein fallender Stein sie schlägt oder wie man sie bei einem Sturz erhalten kann. Das ist ein Stich, ein Messerstich! Der Mann ist überfallen worden, man wollte ihn morden! Das hat ein Raubschütz gethan, den der Jäger fassen wollte! Mädchen, komm’ her zu mir!“

Gittli zitterte an allen Gliedern.

„Aber so komm’ doch! Sag’ mir, wo hast Du ihn gefunden?“

„Draußen,“ stotterte sie mit versagender Stimme, „vor der Hütte.“

„Weit von hier?“

Sie schüttelte das Köpfchen.

„Und wie kam es, daß Du ihn fandest?“

Rathlos und angstvoll schaute sie zu Herrn Heinrich auf.

„Aber so rede doch! Ich will wissen, was Dich zu der Stelle führte, an der Du ihn fandest. Was hattest Du hier oben zu schaffen?“

Sie rührte lautlos die Lippen; dann plötzlich schlug sie die Hände vor das Gesicht und brach in Weinen aus.

„Ich bitt’ Euch, Herr Heinrich, quälet das Kind nicht!“ sagte Pater Desertus mit schwankender Stimme. „Ich glaube den Grund zu kennen, der sie hierher geführt hat. Gestern in der Nacht starb im Hause ihres Bruders ein Kind ...“

„Ein Kind des Wolfrat?“ Herr Heinrich ging auf das Mädchen zu. „Du wolltest Schneerosen holen ... zum Engelkränzlein? Und da hast Du den wunden Mann gefunden und bist bei ihm geblieben Tag und Nacht und hast alles für ihn gethan, was nur zu thun war?“ Er strich die Hand über Gittlis Haar. „Du bist ein braves, tapferes Mädchen! Ich will es Dir und Deinem Bruder danken!“

Gittli schluchzte laut auf, wandte sich hastig ab und wankte zur Thür hinaus. Draußen sank sie auf die Bank und weinte in heißem Kummer vor sich hin.

Walti kam herbei, zog ihr die Hände herab und schaute ihr ins Gesicht. „Je, Du bist es? Warum weinst denn?“

Sie riß sich los und schluchzte noch lauter.

„Weinst wegen dem da drin? Geh’, Du bist dumm! Der hat einen Gesund’ wie ein Trumm Eisen. Und wenn’s ihm auch ein bißl weh thut, ... Du spürst es ja nicht!“ Er lehnte sich an die Hüttenwand und gähnte. Da sah er dicken Rauch aus dem Dach der Herrenhütte qualmen. „Schau’, schau’! Der Frater feuert schon! Du! Da werden gute Sachen gekocht!“ Er schnalzte mit der Zunge. „Meinst? Kriegen wir auch was?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schlich er zur Herrenhütte und spähte durch die Thür.

Der Eingang führte in eine geräumige Küche mit offenem Herd; daneben lag ein kleines Herrenstübchen, dessen einfaches Geräth aus dem röthlichen Holz der Zirbelkiefer gefertigt war, und die Schlafkammer mit zwei Heubetten. Von der Küche stieg man über eine Leiter zum Bodenraum, auf welchem Bergheu in genügender Menge aufgeschüttet war, um im Nothfall für ein halbes Dutzend müder Schläfer weiche Lagerstatt zu bieten.

Neben dem Herd, auf dem ein helles Feuer brannte, stand Frater Severin; er hatte die Aermel der Kutte aufgestülpt, eine weiße Schürze vorgebunden und war damit beschäftigt, ein „Spießchen Schwarzreiter“[1] zu putzen, welche, mit Eiern übergossen


  1. Die im Bartholomäersee gefangenen Saiblinge wurden im Kloster zu Berchtesgaden auf folgende Art geräuchert: An langen hölzernen Stäben wurden 10–20 Querstäbchen befestigt und an die Enden dieser Stäbchen die Fische durch den Rachen aufgespießt; der geöffnete Leib der Fische wurde durch kleine Hölzchen auseinandergespreizt. So kam die ganze Spindel (spiez) in den Kamin.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_359.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)