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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ich aus Elend empor zu freundlichem Leben und meinem Fürsten, welcher Kaiser geworden ist, diene ich mit der ganzen Treue meines Herzens. Sage, Dietwald ... war es nicht eine Gotteslehre, die mir der Falter gab, da er emporflog in das Blau: ‚Willst Du den Himmel finden, dann geh’ in die Sonne!‘ Das thu’ ich, Dietwald ... ich suche am Leben die Sonne, und in den unvermeidlichen Schatten trag’ ich die Helle, so gut ich es vermag. Da fließt mir nun jeder Tag wie eine schöne Gabe Gottes. Ich freue mich jeder Blume, die auf meinem endenden Wege blüht ... wenn auch ein attderer sie pflücken mag! Und schickt mir Gott mit aller Freude zuweilen auch einen Schmerz, dann trag’ ich ihn und such’ ihn zu verwinden. Aber ich frage nicht, warum ich leide.“ Er legte die Hand auf des Paters Schulter und fügte lächelnd bei: „Daß ich leide, das genügt mir! Homo sum, Dietwald – ich bin ein Mensch!“

Pater Desertus hatte das Haupt an die Mauer seiner Klause gelehnt, hielt die Hände im Schoße gefaltet, und während er durch die leise schwankenden Zweige der Buchen, an denen die Blättchen schüchtern sproßten, emporblickte zum blauen Himmel, perlten die Thränen über seine bleichen Wangen – die ersten Thränen nach langen Jahren.

Herr Heinrich schwieg eine Weile. Dann sagte er: „Verzage nicht, Dietwald ... auch Dein Falter wird noch fliegen! Flog er in fünfzehn Jahren nicht, gieb acht, er fliegt im nächsten!“

„Fünfzehn Jahre!“ glitt es leise von des Paters Lippen. „Und mir ist, als war’ es gestern gewesen, als läge dazwischen nur eine einzige Nacht, eine lange, bange, grauenvolle Nacht, nach welcher kein Tag mehr kommen will!“ Und jählings die Hände des Propstes fassend, rief er in heißem Flehen. „Ach, Herr Heinrich, lasset mir Eure Hände, hebet mich empor zu Euch ... dorthin, wo Sonne ist! Seht mich an ... ich habe doch gekämpft und gerungen, bis alle Kräfte mir versiegten ... und ich fand ja auch Stunden ruhiger Ergebung. Und als Ihr erkanntet, daß die Enge der Zelle mich erdrückte, und als Ihr mich hierhergesandt in diese herrlichste Kirche Gottes, da ward es still in mir, während der Föhn mich umrauschte und draußen im See mein Einbaum gegen die Wellen kämpfte. Und nun alles wieder verloren!“ Seine Augen glühten und seine Stimme verlor sich in dumpfem Murmeln. „Verloren – seit vier Tagen! Und Pein ist, was ich fühle, Sehnsucht, was ich denke, Verlangen, was ich sinne! Ein Gespenst ist mir erschienen ...“

Herr Heinrich erschrak. „Dietwald!“

„Ein Gespenst, wie aus der Asche gestiegen ... und dennoch Fleisch und Blut, mit meines Weibes Haar, mit meines Weibes Augen, mit dem holden Kindermund, der mir gelächelt in Liebe ...“

„Dietwald!“ Herr Heinrich sprang auf und rüttelte den Arm des Paters. „Deine Sinne taumeln und Dein Geist ist krank. Was Dir das Herz erfüllt, tritt in die Lüfte. So fing es bei vielen an ... Einer wurde heilig und hundert wurden Sünder, eidvergessene Schelme! Greife nach einem Halt oder Du bist verloren! Ich muß Dir Arbeit geben. Die Angel zu ködern für Hecht und Ferch, das taugt Dir nicht!“

„Herr!“ stammelte Pater Desertus. „Ich soll fort von hier?“

„Höre mich an! Kaiser Ludwig will mit dem Papst verhandeln. Es zwingt ihn die Noth. Und er will einen Priester senden, doch einen, der ein deutsches, ritterliches Herz unter seiner Kutte trägt. Er fragte mich um Rath ... ich hatte an Dich gedacht. Nun will ich, daß Du gehst! Und ich hoffe, daß ich mich in Dir nicht täuschte!“ Herrn Heinrichs Worte klangen, als schlüge Stahl auf Stein.

Ueber das Antlitz des Paters rann eine dunkle Röthe; er richtete sich stolz empor. „Wann soll ich reisen, Herr?“

„Du wirst es erfahren! Und in andere Luft sollst Du mir noch heute – in kühlende Gletscherluft! Begleite mich! Was stehst Du noch? Rasch, Dietwald, rasch! Schürz’ Deine Kutte, nimm das Griesbeil und den Basthut!“

Pater Desertus trat in die Klause.

Herr Heinrich blickte ihm nach mit sorgenvollen Augen. „Gespenster sieht er? Warte nur, wir wollen sie jagen!“

Zur Bergfahrt gerüstet, kehrte Pater Desertus zurück.

Als sie den Wildbach entlang gingen, kamen sie zu einer Stelle, an welcher sich über moosigem Grunde eine Bucht mit spiegelndem Wasser gebildet hatte.

„Herr Heinrich!“ sagte Pater Desertus und deutete in das Wasser.

„Was soll ich sehen?“

„Diese beiden ... der eine trägt das Kleid der Kirche, der andere das Lederwams, die Armbrust und das Weidgehenk. Welcher von den beiden ist der Priester?“

Herr Heinrich lächelte. „Ich sehe nur zwei Menschenköpfe ... der eine grau, der andere noch schwarz!“

Und dem Pater voran überschritt er sicheren Ganges den schwankenden Steg.




14.

Bei Einbruch der Dämmerung erreichten die Bergfahrer das Steinthal in der Röth’. Sie hatten im Almenwald die Bärenfährte auf dem Steig gefunden und dieselbe, obwohl sie auf dem aaberen Waldgrund nur mühsam zu erkennen war, über eine Stunde weit verfolgt – Pater Desertus allen anderen voran. Ein übles Los hatte Frater Severin dabei gezogen: er fand den Muth nicht, allein auf dem Steig zu warten, bis die anderen zurückkämen; und so trollte er seufzend und keuchend hinten nach, über Felsblöcke und Wurzelknorren, über Steinlöcher und Windbrüche.

Die Richtung der Fährte versprach Herrn Heinrich keine Jagd; der Bär hatte sich thalwärts gegen den See gewendet.

Als der Propst, Herr Schluttemann und Pater Desertus den Steig wieder erreichten, mußten sie geraume Weile auf Frater Severin warten. Als er endlich kam, fand Herr Heinrich in des Fraters Aussehen alle Ursache, um zu sagen: „Bruder, ich schätze Dich schon um fünf Pfund leichter. Gelt, das ist gesünder, als im Kellerstüblein hocken und die neuen Fässer kosten!“

„Wenn Ihr es sagt, muß es wohl wahr sein!“ klagte Frater Severin und suchte an dem Kuttenärmel ein noch trockenes Flecklein für seine Stirne. Im Weiterschreiten sandte er einen jammervollen Blick zum Himmel und seufzte: „Das Kellerstüblein!“ Wie war es dort so schon, so kühl! Und durch die offene Thüre sah man den schier endlosen Keller mit den vom Zwielicht umwobenen Fässern, welche in Reih’ und Glied lagen, eine stattliche Armee von Sorgenbrechern. Besaß doch das Stift Berchtesgaden in der Umgebung von Krems und Klosterneuburg zahlreiche Weingüter: im Tailland, auf der Frechau, zu Oberndorf, Eisenthür, Armstorf, Wank, Sattelsteig, Mörtal, Rechberg und Stein! Frater Severin war in keiner Litanei so sattelfest wie in der Kunde dieser seinem Ohr so lieblich klingenden Namen. „Rechberg und Stein!“ Das Beste hob er sich immer für zuletzt auf; und der Klaug dieser beiden Worte stimmte ihn so träumerisch, daß er, des Weges nimmer achtend, über ein Felsloch stolperte und seine Nase nur noch mit knapper Noth vor einem unsanften Kuß der Mutter Erde bewahrte. Wie eine Erlösung aus dem Fegefeuer begrüßte er bei Einbruch der Dämmerung den Anblick der beiden Jagdhäuser.

Da hielt Herr Heinrich, der berggewohnten Ganges den anderen voranschritt, plötzlich an. „Mir ist, als hätt’ ich einen Ruf gehört!“

Sie blieben alle stehen und lauschten. Deutlich tönte es von der Höhe des Steinthales hernieder, von dort her, wo die Hütten standen, mit langgezogenem, angstvollem Ruf. „Hoidoooh!“

„Eine Mädchenstimme!“ sagte Pater Desertus. „Und sie klingt wie der Schrei eines verzweifelnden Herzens!“

„Dort oben ist jemand in Noth! Lasset uns rascher ausschreiten! Vorwärts! Vorwärts!“ befahl Herr Heinrich.

Als sie eine gute Strecke weiter emporgekommen waren, klang abermals der Ruf: „Hoidoooh! Hoidoooh!“ Trotz der Dämmerung nahm Herr Heinrich mit seinem scharfen Auge auf vorspringendem Fels unfern der Jagdhütte das rufende Mädchen wahr. Er höhlte die Hände um den Mund und gab den Ruf zurück.

Das Mädchen mußte ihn vernommen haben, denn sie hörten einen schluchzenden Schrei, wie in Freude und doch in Jammer, und dann, vom Winde herabgetragen, die gellenden Worte: „Leut’, Leut’! Um Gotteswillen ... da her, da her! Hoidoooh!“

„Diese Stimme!“ murmelte Pater Desertus. „Ich habe sie schon gehört!“ Und den anderen voran eilte er, so rasch es der steile Weg gestattete, durch die Senkung des Thals empor.

Herr Heinrich hielt sich nahe hinter ihm, Herr Schluttemann blieb keuchend zurück, Frater Severin rang athemlos die Hände und fiel auf einen Steinblock nieder.

Als Pater Desertus den Fuß der letzten Höhe erreichte, kam Gittli mit jammernden Worten ihm entgegengestürzt.

„Sie ist es!“ stammelte er und drückte, den Schritt verhaltend, die zitternde Hand auf seine Brust.

Nun stand sie vor ihm; wirr hingen ihr die Haare um das bleiche, von verzweiflungsvoller Angst verstörte Gesichtchen. Sie wollte sprechen, da erkannte sie ihn und erschrak. Sie machte eine Bewegung, als hätte sie fliehen mögen, aber die Sorge um jenen

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