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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

mir sein abgehärmtes Antlitz auf. Ich hatte nur wenige Worte mit ihm gewechselt und schon wußte ich alles. Liebe, tiefe glühende leidenschaftliche Liebe sprach aus jedem Worte, aus seinem ganzen Wesen!

Ich sank vernichtet in einen Stuhl und hielt die Hände vor die Augen. Bruno selbst war tief erschüttert. ‚Ich würde mein Leben hingeben, wenn ich Ihnen und ihr diesen Schmerz erspart hätte. Sie will mich ja nicht hören, will ihrem Worte nicht untreu werden. Sie ist Ihnen so gut ...‘

Mich trieb es fort – ins Freie.

Wie Du Dir denken kannst, Leonore – es fiel mir nicht ein, die jungen Leute zur Rechenschaft zu ziehen. Alles schien mir jetzt so selbstverständlich, unausbleiblich. Meine Wuth, meine Verzweiflung kehrte sich gegen mich selbst. Ich Thor, der ich glaubte, einem Kinde Liebe einzuflößen, der ich es an mich ketten wollte! Beschämung, Reue, das unerträgliche Gefühl, mich lächerlich gemacht zu haben, gesellten sich zu meinem Schmerze, zu dem tiefen Mitleid mit dem armen Mädchen, das durch meine Verblendung gelitten hatte.

Als ich ruhiger geworden, schrieb ich an Ella, an ihre Mutter, an Bruno. Die Mama war schwer zu versöhnen – arme Ella, sie mag unerquickliche Tage verlebt haben, bis Brunos Freunde es endlich erreichten, dem außerordentlich begabten jungen Künstler eine Stellung mit bestimmtem, wenn auch mäßigem Gehalte zu sichern. Erst nach Jahresfrist konnten die beiden ein Paar werden.“

„Hast Du Ella seither wiedergesehen?“

„Nein! Anfangs wünschte ich es nicht; später – später nahmen mich andere Dinge in Anspruch. Bald nachher starb auch Euer Vater. Die Entwirrung der etwas zerrütteten Verhältnisse auf dem Rüdenhof gab mir alle Hände voll zu thun, und seither, Du weißt es ja, Lore – seither bin ich bei Euch mehr zu Hause als in Hartenberg. Es bleibt mir weder Zeit noch Lust, mich nach alten Lieben umzusehen. Ihr seid jetzt meine Familie, meine Welt.“

„Und wir wissen Dir Dank dafür, Onkel Christian! Was wäre aus dem Rüdenhof, was aus uns geworden ohne Dich!“

Er wehrte meinen Erguß ab und seufzte tief. Die Erinnerung hatte ihn trübe gestimmt. Doch – ich wollte gar so gerne noch mehr hören.

„Onkel,“ begann ich zögernd, „ich habe erst sechs Lieben gezählt; die siebente steht noch aus.“

„Du bist unersättlich, Leonore,“ lachte er, „ich alter Mann ...“

„Weißt Du auch, Onkel,“ fiel ich ihm ins Wort, „es ist eine Koketterie, stets sein Alter im Munde zu führen, wenn man so aussieht wie Du – rüstig, stramm, kein graues Haar! Wir haben es neulich besprochen. Es fängt an, komisch zu sein, wenn wir Alten Dich ‚Onkel‘ nennen. August und Philipp haben Dich im Aussehen nahezu eingeholt ...“

Wieder klang sein Lachen eigenthümlich gezwungen, als er sagte. „Also nach Deiner Ansicht, Leonore, ist die siebente Liebe weder unmöglich, noch lächerlich?“

„Ganz natürlich ist sie nach meiner Ansicht, und ich bin erschrecklich neugierig, zu wissen, wer der Gegenstand ist. Wenn meine Rechnung stimmt, fällt dieser ‚Fall‘, um mit Philipp zu sprechen, in die Zeit Deines Aufenthaltes in Hartenberg und auf dem Rüdenhof; da sollte ich sie doch kennen, meine ich.“

„Vielleicht,“ entgegnete er lächelnd, und sein Blick ruhte wie fragend, schier verwundert auf mir. Ich besann mich, den Kopf in die Hand gestützt.

„Wohl erinnere ich mich einer Zeit,“ unterbrach ich nach einer Weile das Schweigen, „es mag ein paar Jahre nach Mamas Tod gewesen sein, zur Zeit, da Edwin einrücken mußte – da fiel uns Dein zerstreutes Wesen auf, wenn Du von Hartenberg zu uns herüber kamst. Sogar Miß Wood hatte es bemerkt. ‚Der Arme, er ist so einsam,‘ seufzte sie. ‚Paßt auf, er geht auf Freiersfüßen,‘ sagte Jette, die damals ein schrecklicher Naseweis war und nichts als Romane im Kopfe hatte. War es so, Onkel?“

„Miß Wood hatte recht; ich war einsam und litt darunter. In Hartenberg mehr denn anderswo, weil ich dort in allem und jedem auf die Gefährtin, die ich heimzuführen gehofft, Bedacht genommen hatte und die Erinnerungen mich nun wie bleiche Gespenster überall verfolgten. Doch Eure Angelegenheiten, die Sorgen auf dem Rüdenhof, die mich so häufig von meinem Gute fernhielten, wurden mir damals zum Segen. Es ergab sich eine Fülle von Beschäftigung und Anregung, auch manche Genugtuung, wenn ich den Samen aufgehen sah, den ich gestreut hatte. Allein die Einsamkeit in Hartenberg wurde mir dadurch auf die Dauer dennoch nicht erträglicher, im Gegentheil! Allmählich hatte sich den Geistern der Vergangenheit noch ein anderes Gefolge zugesellt – Kobolde, die aus jeder Ecke hervorhuschten, mich umgaukelnd, von Wünschen und Hoffnungen raunend ...“

„Also doch – doch auf Freiersfüßen!“

Er schüttelte verneinend das Haupt. „Ich fand den Muth nicht zum Werben und Freien, und mehr und mehr überzeuge ich mich – meine Feigheit war berechtigt. Was ich aber dabei eingesetzt habe an Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung, das kann ich Dir nicht sagen, Leonore, und Du würdest es auch nicht verstehen. Unter meinen Augen, an meiner Seite sah ich sie erblühen, heranreifen, sich zur edelsten Weiblichkeit entfalten – und sie glich Maria Pia, wodurch sie mir noch lieber, nach begehrenswerther erschien. Nicht nur Aehnlichkeiten der äußeren Erscheinung, auch innere Züge gemahnten mich an die Verstorbene: die Selbstlosigkeit, die Klugheit, der scharf ausgeprägte Sinn für Gerechtigkeit, und – was der Kranken gefehlt hatte – diese Eigenschaften waren gepaart mit rühriger Thatkraft, mit frischem lebensvollen Jugendmuth! So sah ich sie schalten und walten als guten Geist ihres Hauses, ihrer Anmuth und Schönheit ebensowenig sich bewußt wie der Pflichttreue, der rührenden Hingebung, mit welcher sie eine Riesenaufgabe bewältigte. Mein Gott, ist es da nicht selbstverständlich, daß ich sie lieben mußte, daß der Augenblick kam, wo der glühende Wunsch mich beseelte, diese herrliche Blume für mich zu pflücken, den guten Geist an mein Herz, mein Haus zu fesseln!“

„Und weshalb ...“ begann ich; doch wie er mir jetzt langsam das Gesicht zukehrte, stockte ich über dem merkwürdigen Ausdruck in seinen Zügen, über dem Leuchten in seinem Auge, und wie dieser leuchtende Blick dem meinen begegnete, sich darein versenkte, da durchzuckte es mich mit jähem Schrecke und jauchzender Freude. War es möglich – ich selbst! Dieser Mann, den ich höher stellte als alle, alle Menschen dieser Erde – er liebte mich! Wie geblendet mußte ich die Augen schließen, während er leise fortfuhr:

„Weshalb ich nicht um sie warb, meinst Du, Leonore? Weil mich nichts berechtigte, Erwiderung meiner Liebe zu hoffen. Die gleichmäßige Herzlichkeit in ihrem Verkehr mit mir ließ eben nur auf gute Freundschaft schließen. Diese aber war mir werth, war auch zu kostbar für unsere gemeinsame Arbeit, ich durfte sie nicht gefährden durch ein unbedachtes Wort. Ueberdies – ich sah sie erfüllt von einer schönen Aufgabe, fröhlichen Muthes und mit heiterer Sicherheit ihrem Ziele zustreben; wäre es nicht unrecht, ja frevelhaft gewesen, die Ruhe ihres Gemüthes durch meine eigennützigen Wünsche zu trüben?

So drängte ich es denn gewaltsam zurück – das Wort, das wiederholt auf meinen Lippen schwebte. Die Erinnerung an Ella half mir dabei. Wie hätte ich auch mit dieser Erfahrung, mit diesem Stachel im Herzen ein zweites Mal um ein viel jüngeres Mädchen freien mögen!“

„Onkel!“ stammelte ich, „sie war kein Kind, keine Ella – wenn sie hätte ahnen können ...“

„Sie hätte es ahnen können, Leonore – oft, oft, wenn ich starker Mann furchtsam und scheu an ihrer Seite stand; sie hätte es ahnen müssen – damals, als wir einer gemeinsamen Gefahr entgingen. Sie führte die Zügel des Wagens, über einem Schusse im nahen Walde scheuten die Pferde, in rasendem Laufe flogen sie feldeinwärts! Indem ich in die Zügel fiel, umfing ich sie mit den Armen, damit sie nicht hinausgeschleudert werde bei dem tollen Tanze über die Schollen ... Endlich gelang es, die Pferde zum Stehen zu bringen ..."

„Am Flusse,“ hauchte ich.

„Weißt Du es noch, Leonore? Und damals hast Du nicht geahnt, nicht gefühlt, daß es eines fast übermenschlichen Entschlusses bedurfte, meine Arme von der bebenden Gestalt zu lösen? Leonore – Du hast den Kampf nicht gesehen, als ich Deine Hand freigab in jener Mondnacht am Weiher?“

„Nach Hildas Verlobung ...“

„ ... als einer aus dem Quartett, das Lothar aus der Stadt mitgebracht hatte, jenes herrliche Lied von Schumann sang?“

„‚Ich sende einen Gruß ...‘“

„O, Du weißt es noch, Leonore?“

Wohl wußte ich es – und gern hätte ich sagen mögen, daß

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